#25 Shutdown Blues

Lieber Horst,

Hörst Du diese klagende Melodie in der Ferne? 
Ich stehe in Küche und putze Gemüse, aber meine innere Drama-Queen steht gerade mit Smokey Eyes und Paillettenkleid auf dem Balkon und schluchzt den Shutdown Blues ins Saxophon…
Mann, wie ich das normale Leben vermisse. Jetzt sind wir durchs Adaptieren durch, jetzt kommt das Aushalten. 

Manchmal sind es ja ganz einfache Dinge, die mir fehlen. 

Mein Optiker zum Beispiel hat zu. Da gehe ich sonst regelmäßig hin, um die Schrauben an den Bügeln meiner Brille festziehen zu lassen. Jetzt ist meine Brille so locker, dass sie mir eben beim Runtergucken einfach aus dem Gesicht gefallen ist, fast direkt in die in die Möhren-Kurkuma-Suppe. Gott sei Dank ist auf meine Reflexe Verlass. Blitzschnell habe ich sie aufgefangen. Leider hatte ich dabei noch den Kochlöffel in der Hand. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der besagten Suppe findet sich deshalb inzwischen auf den Wänden, den Fliesen, der Obstschale und meinem Gesicht wieder. 
Andere Leute bemalen Ostereier. 

Es geht schon den ganzen Tag so, es scheint so eine Art persönlicher Black Friday zu sein. Vorhin hatte sich eine Biene in die Küche verirrt. Als ich das Fenster öffnete, blies ein Luftzug mit bemerkenswerter Präzision die Zwiebelschalen in den Toaster. Die Biene fand den Weg nach draußen trotzdem nicht, dafür kam nach einer Weile eine zweite von draußen hereingeflogen, jetzt hängen sie zu zweit an der Scheibe ab.
Beim Versuch, ihnen mit einer Postkarte den Weg zu wedeln, ist mir die Zuckerdose umgefallen. Und beim Staubsaugen – ich machte gleich im Bad weiter, wo ich schon mal dabei war – geriet mir das lose Ende der Klopapierrolle in das Staubsaugerrohr, was in der einen Sekunde, die ich brauchte, um den Aus-Schalter zu drücken, ein erstaunliches Ausmaß an Chaos verursachte…

Ausgedacht? Nix davon. Alles so passiert. Und es ist noch nicht mal Mittag…

Ich glaube, ich werde versuchen, heute einfach nichts mehr anzufassen. Zumindest nichts Wichtiges. Ich setze mich einfach ein bißchen auf den Balkon und schaue meiner Clematis beim Wachsen zu. Auch eine Drama-Queen, übrigens. Ich hänge Dir mal ein Foto an.

Hab ein schönes Osterwochenende, lieber Horst,
Always look on the bright side of life! (Füdüt-füdüdüdüdüdüt)

Susanne

#26 Ziehst Du mich, zieht es sich

Liebe Susanne,

ich weiß nicht, ob es tröstet, aber mit Deinem Corona-Koller befindest Du Dich derzeit in der Mitte der Gesellschaft. Man kommt sich vor, wie in einem Wartezimmer, in dem einem niemand sagen kann, wie lange es ungefähr noch gehen kann. Nur ab und zu laufen Leute durch den Raum die „Oh, oh, oh, oh, oh“ raunen. Oder „Weiß man nicht, wann’s wieder losgeht. Kann noch lange dauern, kann sich aber auch richtig ziehen:“ 

Also beschäftigen wir uns. Irgendwie. Unser Nachbar zum Beispiel wollte wohl den Karfreitag nutzen, um mal die Fahrräder der Familie zu reparieren. Im Innenhof. So daß ich ihn stundenlang  dabei beobachten konnte. Denn leider war seine Vorgehensweise der meinen sehr, sehr ähnlich. Zunächst hat er alles vor sich aufgebaut. Dann offensichtlich Hunger bekommen und mehr als eine Stunde lang Proviant und Getränke für die Arbeiten organisiert, bis er endlich ein Buffet hatte, dem er soweit vertraute, daß er daraufhin erstmal alle Räder irgendwie auseinander genommen hat. Er wirkte dabei fröhlich und energiegeladen.

In dem Moment aber, wo er endlich quasi alle Räder komplett in die Einzelteile zerlegt hatte, wurde er schlagartig unglaublich müde. Ab da saß er regungslos ihm Hof, starrte auf die auseinander geschraubten Räder, aß, trank und dachte nach. 

Ich kenne dieses Gefühl extrem gut. Es war, als würde ich mich dort unten sitzen sehen. An diesem Punkt gibt es noch genau zwei Möglichkeiten. Entweder man erwischt einen magischen Augenblick, rafft sich schlagartig auf und schraubt doch noch alles wieder leidlich funktionstüchtig zusammen. 

Oder man holt eine Kiste. Wo alles reingelegt wird. Erstmal. Bis man es irgendwann fertig macht. Unser Keller steht voll solcher Kisten.

Nun jedoch sitzt unser Nachbar im Hof und starrt regungslos die ihm immer fremder werdenden Fahrradteile an. Ich würde ihm so gerne helfen. Doch die einzig sinnvolle Hilfe, zu der ich mich in der Lage sehe, wäre ihm eine passende Kiste für die Einzelteile zu bringen. 

Könnte das eine Metapher sein? Also für unser gesellschaftliches Leben, das wir auch gerade komplett auseinander genommen haben. Und nun sitzen wir da, starren es an und fühlen uns urplötzlich nur noch unsäglich müde?

Wenn, dann wäre es eine schlechte Metapher. Also ich zumindest würde mir, wenn ich mir eine Metapher ausdenken würde, gewiss eine sehr viel bessere ausdenken. Doch wozu sollte ich?

Stattdessen geschieht etwas, was man sich nicht ausdenken kann. Eine andere Anwohnerin, die offensichtlich so wie ich den ganzen Tag den Nachbarn beobachtet hat, ruft laut in den Hof:

„Komm, es ist Karfreitag. Für die Auferstehung der Fahrräder hast Du noch bis Sonntag Zeit!“ Das ist mal ein wirklich einleuchtendes Argument, was auch ihm einen gutgelaunten Feierabend ermöglicht. So einfach kann es sein.

Als ich im letzten Herbst endlich mal in Kurve gekriegt habe und tatsächlich das alte schöne Schuhregal aus einer der Kisten zusammengebaut habe, war ich ziemlich stolz. Zumindest solange, bis ich rund vier Wochen später, bei einem erneuten Gang in den Keller feststellen musste, daß das alte schöne Schuhregal offensichtlich in einer anderen Kiste lagerte. 

Bis heute weiß ich nicht, aus was ich da eigentlich das alte schöne Schuhregal zusammengebaut habe. Immerhin erklärte sich so, warum das alte schöne Schuhregal nach meinem wieder zusammen bauen, überhaupt nicht mehr schön war.

Mögen alle Deine Kisten immer gut beschriftet sein

Horst

#28 Was die Blume weiß, weiß nur die Blume

Liebe Susanne,

Was der einen das Backen, ist dem anderen das ins Grüne gucken.

Eine sehr, sehr gute Freundin hat eine Art Schrebergarten im Norden Berlins. Dort konnten wir erfreulicher Weise die Ostertage verbringen. Wenn wir gemeinsam in diesem Schrebergarten sind, haben wir eine ziemlich genaue und gut funktionierende Aufteilung der Pflichten. Sie macht den Garten und ich das Schrebern. 

Wenn Du mich jetzt fragst, was Schrebern ganz genau eigentlich ist, muss ich Dir leider sagen, daß ich nicht die geringste Ahnung habe. Und das beschreibt aber wiederum sehr gut, was ich da mache. Ich verbringe meine Tage dort, damit keine Ahnung zu haben. Das ist sehr erholsam. Gerade für jemanden, der ja normalerweise so viel weiß, wie ich. 

Wusstest Du beispielsweise, daß ich weiß woher der Schrebergarten zu seinem Namen gekommen ist. Vom Leipziger Arzt Daniel Gottlob Moritz Schreber nämlich. So Sachen weiß mein Gedächtnis ohne zu googeln. Aber wie der Großteil der Pflanzen dort heisst, kann es sich nicht merken. Dennoch mache ich ihm keinen Vorwurf.

Ab und zu zieht mich die Frau aber doch ins Vertrauen. Also einzelne gartenspezifische Dinge betreffend. Es geht dann meist um irgendwelche Pflanzen, die aus irgendwelchen Gründen, irgendwelche Sachen machen oder nicht. Meistens nicht. Wachsen zum Beispiel. Oft wachsen sie nicht so, wie sie eigentlich wachsen müssten oder sollten, wenn alles mit rechten Dingen zugehen würde. Was es aber selten tut. Weil irgendwelche Pflanzen dann eben doch wohl oft einen eigenen Kopf haben. Wo einem auch alles Wissen nichts nützt. Denn was die Pflanze weiß, weiß nur die Pflanze und die sagt ja nichts. 

Deshalb wird dann also mit großer Empathie und Hingabe geforscht, was wohl dem Gewächs das Wachsen verleidet. Überlegungen werden angestellt, wie man es für die Pflanze angenehmer machen könnte. Das ist rührend mit anzusehen, bis die Frau schliesslich sagt: „Es tut mir so leid, aber ich glaube, die Pflanze fühlt sich hier einfach nicht richtig wohl.“ Gefolgt von einem ehrlichen Seufzen. Tiefster Traurigkeit. Die auch mich packt. Wo man sich natürlich wünscht diese Pflanze zu sein, die so viel Mitgefühl und Liebe bekommt. 

Bis zu dem Punkt, wo die Frau plötzlich durchatmet, die Schultern zuckt und recht sachlich sagt: „Ja gut, dann mach ich sie eben weg.“ Und dann kannst Dun nicht gucken, wie schnell diese Pflanze weg ist. Zack, da geht sie hin.

Das beeindruckt mich schon und führt dazu, daß ich mich eben ganz aufs Schrebern beschränke. Nichts anderes mache, als keine Ahnung zu haben und mich so wohl zu fühlen, daß man das auch sieht. Eins mit den Pflanzen zu werden. Zu einer fein und genügsam blühenden Blume. Klingt einfach. Ist aber für jemanden wie mich auch richtig anspruchsvolle Gartenarbeit.

Von Blume zu Blume alles Gute wünscht

Horst

#29 Alfons

Lieber Horst,

Schrebern ist ein schönes Verb, das werde ich sofort in meinen Wortschatz aufnehmen, danke. Bei uns hat sich auch gerade ein neues Wort etabliert, das heißt Restern und meint das Zubereiten einer Mahlzeit aus den Resten von gestern.

Wenn ich mal nicht am Herd stehe, pflege ich den Austausch mit Freunden auf den diversen Kanälen, die einem dafür während der Kontaktsperre zur Verfügung stehen. Meine Freundin Andrea schrieb mir gestern Abend per Whatsapp:
„Jetzt sitze ich mit einem Glas Wein im Garten, während endlich die Kinder nicht mehr schreien. Diese Reduzierung der Betreuung treibt mich noch in den Wahnsinn. 
Was sollen nur die Leute sagen, die selbst Eltern sind.“ 

Alle Welt lauscht im Moment mit gespitzten Ohren, wann die Kitas wieder aufmachen und der Schulbetrieb wieder aufgenommen wird. Mein Sohn auch, in erster Linie, weil er sich aufrichtig darauf freut, endlich seine Freunde wiederzusehen. Das müsste jetzt nicht unbedingt in der Schule stattfinden, wenn es nach ihm geht, aber nun, das Leben ist kein Streichelzoo. 
Ja, auch ich freue mich darauf, wenn es langsam wieder losgeht. Das mit dem Homeschooling ist nichts für uns. Du solltest mal dabei sein, Horst, wenn das Kind und ich zusammen Spanisch lernen. Das ist wie eine sehr eigene Version von Der Blinde und die Taube. Nur ohne Happy End. 

Nun mögen weise Menschen nach bestem Wissen und Gewissen darüber entscheiden, wann der richtige Zeitpunkt dafür ist. 
Die Leopoldina, meinetwegen. Ich stolpere immer wieder kurz, wenn ich diesen Namen im Radio höre, ich finde, er klingt ein bißchen nach einer Hunderasse, also Berhardiner, Leopoldiner, … 
Der Hund der Freundin meines Sohnes ist ja eine Kreuzung aus Hovawart und Dackel. Ja, das kann man sich ruhig mal einen Moment vor dem inneren Auge zergehen lassen. Die Natur ist halt immer wieder für ein Abenteuer gut und wo ein Wille ist, ist auch ein Welpe. 
Als ich Alfi das erste Mal sah, war ich total beeindruckt von seinen goldbraunen Augen, die mich aufmerksam musterten, und seiner überhaupt sehr royalen Erscheinung. „Oha!“ dachte ich, „wenn der erstmal aufsteht!“  Aber er stand schon. 

Alfi heißt eigentlich Alfons. Er wird von seinen Menschen auch meist Alfons gerufen und hört wirklich sehr gut. Besonders rührend finde ich, dass er auch angelaufen kommt, wenn etwas so ähnlich klingt, wenn jemand in einem Gespräch I Phone sagt, zum Beispiel. 

Ich glaube, wir werden das umdrehen, und Telefone aller Art künftig Alfons nennen. Das finde ich nur gerecht. Und bei uns haben überhaupt viele Dinge einen eigenen Namen, wenn ich so drüber nachdenke.  
Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.
Ich gehe jetzt erstmal auf den Balkon, den Frieder gießen und ein bißchen Larry ernten fürs Restern. Es gibt Zipfelmützen mit Gehirngemüse und Wüstenmöhre. Lecker!

Viele Grüße aus der Krisenküche,

Susanne

#30 Ferien am Lecko Mio

Liebe Susanne,

na da habe ich jetzt doch eine Weile überlegt, was es bei Euch zum Essen gegeben haben könnte. Ich tippe mal, die Zipfelmützen sind Orecchiette-Nudeln, das Gehirngemüse Blumenkohl und die Wüstenmöhren Pommes. Was dann allerdings ein sehr seltsames Menü wäre. Daher sind die Zipfelmützen wohl doch eher irgendwelche Bratlinge in Mützenform oder tatsächlich panierte Zipfelmützen, was sicher auch lecker sein kann, wenn man richtig Hunger hat.

Im Rahmen der vielen, sich oft heftig widersprechenden Coronaprophezeiungen dieser Tage hat übrigens gerade jemand im Radio geunkt, es könnte auch sein, daß dieses Jahr die Sommerferien ausfallen. Das erinnert mich jetzt doch irgendwie an meinen Onkel, der auch ständig seiner Familie mit Urlaubsentzug gedroht hat. „Wenn das hier so weitergeht, machen wir dieses Jahr Ferien am Lecko Mio!“, war sein Lieblingsspruch. Seine Tochter hat daher tatsächlich lange gedacht, der Lecko Mio wäre ein See in Italien, wo es ganz doof ist. Ich halte das nach wie vor für nicht ausgeschlossen.

Ich selbst komme ja gebürtig aus einer Urlaubsregion. Dem Dümmer-See. Allerdings muss ich zugeben, daß wir die Urlauber, die zum urlauben zu uns gekommen sind, immer etwas skeptisch betrachtet haben. Also insgeheim haben wir gedacht: „Wie verzweifelt muss jemand sein, der seinen Sommer freiwillig bei uns verbringt. Da sogar noch Geld für bezahlt. Solchen Leuten sollte man doch wohl eher mit Vorsicht begegnen.“

Einem Campingplatzbesitzer am See ist in einer Gemeinderatssitzung sogar mal der später viel zitierte Satz rausgerutscht: „Unser Zielpublikum hier sind ja die Leute, die kein Geld für richtige Ferien haben. Oder denen das zu weit ist.“ Vor allem dieser zweite Satz, der wohl gemeint war, wie „denen richtige Ferien zu weit sind“ begeistert mich bis heute. Mir ist ja auch manchmal der Weg zum richtigen Sitzen zu weit, weshalb ich nach dem Heimkommen zeitweise sehr lange auf der Fußbank im Flur hocke.

Beobachtet man nun allerdings, wie die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern gerade ihren Berliner Urlaubern begegnen, hat man das Gefühl, die haben an sich auch keine allzu hohe Meinung von ihren Gästen.

Doch das ist ja sicherlich nur so eine Momentaufnahme. Wie so vieles gerade. Denn auch einige Leute, von denen ich immer dachte, sie wären Idioten, die ich aber dann kurzzeitig doch nicht mehr für Idioten gehalten habe, halte ich mittlerweile wieder für Idioten. 

Und das stimmt mich zuversichtlich, daß wir auf dem Weg zurück zur Normalität sind. Also ganz, ganz langsam natürlich. Noch hocken wir auf der Fußbank im Flur. Aber demnächst…was weiß denn ich.

Guten Appetit wünscht Dir

Horst

#31 Wie ich mal nicht verschickt wurde

Lieber Horst,

hach ja, Urlaub, ein schönes Thema. Und so ein theoretisches, derzeit… 
Wie gerne würde ich jetzt am Lecko Mio in der Sonne liegen und ein Dolomiti essen, die Grillen zirpen, aus dem Radio dudelt Santa Maria. Die Sonne brennt und die scharfen Ränder der abgezogenen Fantadosen-Verschlüsse funkeln im Sand, während ich in der Tasche nach der Sonnencreme (LSF 2) krame, aber leider sind die Erfrischungsstäbchen wieder ausgelaufen…   

Neulich hörte ich jemanden sagen, dass die Achtziger jetzt vierzig Jahre her sind. Ich persönlich halte das für ein gemeines Gerücht. Ich meine, das macht doch gar keinen Sinn, vor allem, weil ja noch Siebziger waren, als ich in der Grundschule war.

Unterhielten wir uns damals über die Ferien, waren immer einige Kinder dabei, die verschickt wurden. Das war damals groß in Mode in West-Berlin. 
Als meine Eltern mal wieder einen Urlaub auf Balkonien planten (Balkonien, die kleine langweilige Schwester des Lecko Mio), fragten sie mich, ob ich nicht auch einmal verschickt werden wolle in den großen Ferien. Ich lehnte sofort und vehement ab. Ich fand die Vorstellung, in so einen Pappkarton zu steigen und einfach irgendwohin verschickt zu werden, einfach viel zu gruselig. Und von meiner Tante Biggi in Premnitz wußte ich schließlich, dass Pakete von uns gerne auch mal ganz verschwanden. Und nie wieder auftauchten. Und dann half einem auch Aktenzeichen XY nicht mehr.
Allein die Tatsache, dass meine Eltern überhaupt in Erwägung zogen, mich zu verschicken, fand ich damals zutiefst verstörend. Immerhin war mein Nein so vehement, dass sie nie wieder fragten.

O Mann, und jetzt werde ich wieder den ganzen Tag Santa Maria vor mich hinsingen, ich merke es schon, in meinem Kopf summt die ganze Zeit so ein leises Umnana-umnana-umnana-hua… Ich bin wirklich extrem anfällig für Ohrwürmer, das ist manchmal ziemlich anstrengend. 

Gestern war es I would do anything for love von Meat Loaf. Das kam mir in den Sinn, als ich im Bad vor dem Spiegel stand und mich schminkte, und ging dann den ganzen Tag nicht mehr weg. 
Erinnerst Du Dich an das Video? Das war so eine Die-Schöne-und-das-Biest-Inszenierung. Am Ende küsst die schöne Frau das Biest und Licht fällt ein und die Kamera zoomt ran und dann ist es – Meat Loaf. 

Heute ein wenig retro grüßen Dich

Susanne & der Braune Bär

#32 Wenn’s wenigstens langweilig wäre

Liebe Susanne,

als ich der Familie gerade sagte, ich würde noch etwas für unseren Blog schreiben, fragte die mich doch tatsächlich, ob mir dieser Krisenkalender denn nicht langsam mal langweilig werde. 

Meine (auch für mich recht überraschende) Antwort war: „Wenn ich mit Dingen aufhören würde, wenn sie mir langweilig werden, wäre ich schon seit über dreissig Jahren tot.“

Ich fürchte, ich meine das ernst. Es soll ja Menschen geben, die Angst haben, daß sie vor Langeweile sterben könnten. Diese Angst hatte ich noch nie. Langeweile war schon immer mein Freund. Langeweile ist Frieden. Die Ruhe, in der die Kraft liegt. Die meiste Zeit meines Lebens sehne ich mich nach Langeweile, denn sie macht es möglich, daß man endlich mal Zeit für richtig interessante Dinge hat.

Das ist ja auch praktisch mein Hauptvorwurf an diese Corona-Krise. Sie ist nicht langweilig. Sie ist anstrengend, zerrt an den Nerven und macht Angst. 

Wobei ich ja auch eigentlich nichts gegen Angst habe. Angst schärft die Sinne. Diese unerträgliche Angst vor einem Auftritt, einer Premiere zum Beispiel, ist eine großartigsten Sachen, die ich je erleben durfte. Diese Angst macht lebendig und zeigt mir immer wieder, wie sehr sie mir hilft, Dinge zu tun, die ich ohne Angst niemals schaffen würde. Diese Angst ist eine unabdingbare Zutat zum Glück. Ohne sie würde das Ganze sehr viel weniger Spaß machen.

Doch die Corona-Angst gebärt kein Glück. Sie ist nur dumpf und doof und lähmend.

Daher würde ich mir natürlich wünschen, daß es mir endlich langweilig würde. Denn das wäre ein aufregendes Zeichen der Hoffnung. Und  ich könnte endlich wieder eine Angst haben, die sich auch lohnt. 

Hoppla, nun ist mir der heutige Beitrag doch ein wenig selbstmitleidig geraten. Daher noch zwei Sätze die die Supermarktkassiererin heute wörtlich so sagte:

 „Wenn die wenigstens wieder Fussball spielen würden. Denn wüsste ich endlich wieder, was ich verpasse, wenn ich die ganze Zeit kein Fernsehen gucke.“ 

Da hat sie recht. Auch mir fehlen besonders die Dinge, die mich nicht interessieren, immer mehr.

Auf ein Helles, aufs Gemüt

Horst

#33 Ein bißchen Gaga

Lieber Horst,

als die Kinder noch klein waren, kamen sie manchmal an und jaulten mit Schippchen im Gesicht: „Mir ist lannngweilig…“ Während ich die Augen rollte und sofort überlegte, welcher sinnvollen Beschäftigung ich sie als Nächstes zuführen könnte, rief meine kluge Freundin Nina an dieser Stelle nur begeistert aus „Super, dann hast Du gleich eine tolle Idee!“ und schickte sie mit verheißungsvollem Zwinkern wieder in ihr Zimmer. Das funktionierte nicht nur, sondern hat auch meine Meinung über Langeweile als solche nachhaltig beeinflusst.
Ja, auch ich vermisse dieses gesunde Maß an Langeweile, freundlicher leichtsinniger Langeweile.  Aber für die Kultur sieht es ja nun wohl noch eine ganze Weile schlecht aus. Das einzige mit Kultur- sind bei mir zu Hause gerade die Champignons. 

Die Meinung Deiner Kassiererin teile ich voll und ganz. Man möchte so gerne mal wieder was verpassen. Ich zum Beispiel habe heute ganz bewußt meine Chance verpasst, Toilettenpapier zu kaufen. Es gab zwar welches, aber von der Marke „Origami“, das war mir einfach zu albern.

Ansonsten kompensiere ich die mangelnde Action oft in meinen Träumen, wie es scheint.
Letzte Nacht zum Beispiel war ich eine Art Superheldin, mit Cape und allem, ich sah toll aus! Als solche half ich alten Damen mit Gehbehinderung, ihren Zug zu finden. Elastigirl bei der Bahnhofsmission – Heldenträume einer Sozialarbeiterin. 
Aber auch Du tauchst manchmal auf, zuletzt als Barkeeper im Jurassic Park. Darüber können wir ja jetzt beide mal nachsinnen.

Die Psychologenvereinigung hat gestern darum gebeten, so erzählte mir meine Cousine, die völlig überlasteten Krisen-Hotlines mit Bedacht zu nutzen. Es sei völlig in Ordnung, in diesen Zeiten der sozialen Distanzierung mit Pflanzen und Gegenständen zu sprechen. Man solle erst anrufen, wenn sie antworten. 
Ich fand das sehr schlüssig und habe eine Weile gebraucht, um zu begreifen, dass es sich dabei um einen Witz handelt. Soweit ist es schon, Horst, man muss mir Witze erklären.

Apropos Witz, Donald Trump hat – (das mal ne Überleitung, oder?) –
Nein, im Ernst, Donald Trump hat ja nun der WHO das Geld eingefroren. Nun muss Lady Gaga ran. Eine Meldung, die wir vor wenigen Wochen vermutlich auch noch als Witz gewertet hätten. Das Online-Konzert „One World – Together at home“ jedenfalls beginnt heute Abend. Ob sie ein Cape trägt? Vielleicht schaue ich mal rein. 

Ich habe Dir ja schon von meiner ausgeprägten Neigung zu Ohrwürmern erzählt. Seit dieser Meldung singe ich natürlich unentwegt We are the World vor mich hin, diesen Achtziger-Jahre-Schinken, der heute Morgen allerdings jäh abgelöst wurde von Smells like Teen Spirit. Aber vielleicht lag das auch nur daran, dass ich am Wäschekorb vorbeigelaufen bin. 

Mit dem inbrünstigen Refrain dieses Meilensteins der Musikgeschichte, das mein gegenwärtiges geistiges Level auszudrücken vermag wie kein anderes, will ich also schließen, und sende ein fröhliches Hallo? Hallo? Hallo? nach Kreuzberg. 

Schwing den Cocktailshaker, Horst, klopf den Staub vom Cape und lass Dich nicht unterkriegen.

Liebe Grüße,
Susanne

#34 Abtanzball

Liebe Susanne,

ich würde es wirklich niemals wagen, Deine Träume zu deuten oder gar zu kritisieren. Doch wenn Du Dich schon in den Jurassic Park träumst. Wo es ja nun wahrlich viel Spektakuläres und Aufregendes zu erleben gäbe. Warum verbringst Du dort dann Deine Zeit in der Bar? 

Klar, es ist Dein Traum. Aber wäre das denn nicht mal der Moment, wo man mit seinem Unterbewusstsein auch mal Tacheles reden sollte und ihm ganz klar sagen, da hätte man sich nun echt mal mehr von ihm erhofft? Ich hoffe, ich habe beim barkeepen nicht auch noch gesungen. Womöglich „Pokerface“.

Auch interessant finde ich hingegen den Hinweis der Psychologenvereinigung. Seit wann ist es denn nicht mehr normal, wenn einem Blumen und Gegenstände antworten? Ich habe einige der wichtigsten Ratschläge meines Lebens von meinen Einrichtungsgegenständen bekommen. 

Einen Tag und zwei Nächte habe ich mit meiner Jugendzimmerschreibtischlampe diskutiert, bis sie mich endlich überredet hatte, zum studieren nach Berlin zu gehen. 

Diese Lampe hatte mir übrigens Jahre zuvor Ingo geschenkt, der keinen Hund haben durfte und deshalb einem Ferkel das Stöckchen holen beigebracht hatte. Eigentlich hatte die aber seinem Bruder Jens gehört, der später fast seinen Hauptschulabschluss nicht bekommen hätte, weil er einem Lehrer mit der nackten Faust ins Gesicht geschlagen hat. Was aber ein Missverständnis war, da er sich einfach verhört hat, wie Jens später immer wieder beteuerte. Was er eigentlich gehört haben wollte, hat er nie verraten. 

Es kann aber sein, daß es ihm die Schultafel geraten hat. Das vermutete zumindest Sonja, die auch mehrfach das Gefühl hatte, diese Tafel würde zu ihr sprechen. Sonja hatte ich kennengelernt, weil ihr Tanzschulpartner unmittelbar vor dem Abtanzball erkrankt war und meine Partnerin Katrin sich auch kurz vor diesem Abschlussabend in Detlef verliebt hatte, wodurch nun Sonja und ich zum Paar wurden.

 Allerdings haben sich dann Detlef und Katrin noch am Abend des Balles wieder zerstritten und getrennt, weshalb am Ende Detlef grußlos gegangen und schließlich Sonja und Katrin zusammen getanzt haben.

Für mich war somit das Ganze sehr unglücklich verlaufen. Bis kurz vor Schluss, Da habe ich nämlich Susanne (der Name stimmt wirklich!), die Tochter des Wirtes kennengelernt, die am Tresen ausgeholfen hat. Sie hat für mich den Abend und noch viele weitere Wochen gerettet. Und hätte das Lokal meines Abtanzballes jetzt Jurassic Park geheißen, wäre das eine richtig runde Geschichte. 

Doch leider ist das aber ja das richtige Leben nie rund, sondern nur eine Abfolge kruder Erinnerungen, die meistens erst dann einen Sinn ergeben, wenn man sie vergessen hat.

Doch wer kennt das nicht.

Bis demnächst in der Jurassic Park Bar

Horst

#35 Leise rieselt der Putz

Lieber Horst,

Gestern rief mich eine Freundin an – man telefoniert ja wieder – und fragte, ob mir denn auch schon die Decke auf den Kopf fällt. 
Über diese Formulierung habe ich im Nachhinein tatsächlich noch eine Weile nachgedacht, und komme zu dem Schluss, dass sie meinen derzeitigen Zustand nicht wirklich gut beschreibt. Da fällt nichts mit Krawumms herab. Vielmehr rieselt leise und stet der Putz … Und das macht auf Dauer ganz schön nervös. 

Ab und zu mit lieben Menschen zu sprechen tut gut. Oder wer halt sonst gerade da ist. Apropos, mein Deckenfluter lässt Deine Schreibtischlampe herzlich grüßen, schön, dass sie Dich von Berlin überzeugt hat, lässt er ausrichten. (Ja, er ist ganz nett, aber ehrlich gesagt, taugt er nur bedingt als Gesprächspartner. Ist mehr so der zerstreute Typ, mit integriertem Diffusor, da kann er wahrscheinlich nicht anders).

Doch zurück zur Decke auf dem Kopf. Mit Redewendungen ist es ja so eine Sache. Ich mag diese bildhafte Sprache und nutze sie sehr gerne, aber nicht jeder versteht sie. 
Nehmen wir zum Beispiel meine Söhne. Bei Tisch erzählte einer der beiden neulich eine sehr anrührende Geschichte, da hielt ich kurz inne und sagte „Oh, mir wird das Herz ganz weit!“ …
Beide guckten mich daraufhin für einen Moment erschrocken an, sahen dann aber, dass es mir offenbar gut ging.  „Kennt Ihr den Ausdruck nicht?“ fragte ich erstaunt. „Nee“ sagten sie „Aber das klingt doch voll ungesund, nach Anabolikamissbrauch oder so.“
So hat halt jeder seine Assoziationen. 

Aber nun, auch mir ist das ja nicht fremd, dieses fatale Wörtlich-Nehmen, also zumindest im Kopf. Nehmen wir beispielsweise diese berüchtigte Reproduktionszahl, über die im Zusammenhang mit Corona immer wieder gerne gesprochen wird, und die im besten Fall unter 1 liegen sollte. Ein Wissenschaftler erklärte das im Inforadio heute mit den schönen Worten „Das bedeutet, dass ein Infizierter etwas weniger als einen Menschen ansteckt“. Da wird es mit den Bildern in meinem Kopf schon schwierig. Das ist wie mit den 1,6 Kindern pro Frau. Aber egal. 

Was sie im Radio jedenfalls noch gesagt haben, ist, dass Bruno Labbadia als neuer Hertha-Trainer vorerst „auf weite Teile seines Gehalts verzichtet“. 
Lieber Horst, ich sag´s jetzt mal wie es ist: wenn ich groß bin, will ich auch mal ein Gehalt haben, das man in „weiten Teilen“ bemessen kann. 

So, jetzt gehe ich erstmal einkaufen. Im Kühlschrank ist Ebbe, wir haben uns das Wochenende wieder schön gegessen. 
Ich war heute früh mal auf der Waage. Also – ich will hier keine Zahlen nennen, aber so langsam nähern wir uns den Frequenzbereichen gängiger Berliner Radiosender. 
Wenn also bei den Nachbarn unter uns auch langsam der Putz von der Decke rieselt, könnte das ganz verschiedene Gründe haben.

Irgendwo zwischen Schwer und Mut,
Galgen und Humor,
Kaffee und Gin 

grüßt Dich herzlich

Susanne