#15 Liebling, der Herbst lässt dich grüßen

Lieber Horst,

Ich weiß genau, was Du meinst! So viel Natur, das ist verstörend für uns Großstädter. Heute früh, als ich wieder einmal auf dem Balkon stand, um frische Luft zu schnappen, hörte ich plötzlich ein markerschütterndes Zetern und Schreien. Erst dachte ich, es gäbe wieder Streit in der Warteschlange vor der Apotheke. Aber es war nur der Ruf eines paarungswilligen Fuchses. Und was Dein Problem mit diesem Marder angeht, da könnte sich ja vielleicht der Bussard drum kümmern, der neuerdings immer über unserem Haus kreist. Ich meine – was kommt als Nächstes, Delfine im Teltowkanal? 
Ob ich mal nachgucken gehe? Zeit hätte ich gerade, in der Warteschlange zum IBB-Soforthilfe-Antrag sind immer noch 163.546 Menschen vor mir…

Gestern war ja nun mein Geburtstag. Ich wollte gar nicht so recht, irgendwie fühlt sich das nicht richtig an, in so einer sorgenvollen Zeit so etwas Banales wie Geburtstag zu haben.
Zudem muss ich gestehen, dass das Älterwerden zu den Dingen gehört, die mir mit zunehmendem Alter immer schwerer fallen. Ein schöner Indikator dafür ist, welche Melodien mir in den Sinn kommen, wenn ich morgens in den Spiegel gucke. Du kannst nicht immer siebzehn sein. Oder Zombie. Oder wie hieß noch dieser 30er Jahre-Schlager, Liebling, der Herbst lässt dich grüßen? Aber das nur am Rande.

Letztlich war es dann doch ein überraschend schöner Tag. Hast Du diesen schönen Schnee gesehen? Und ich habe neben einem selbst gebackenen Kuchen (…) viele unglaublich nette Nachrichten und ganz herzerwärmende Post bekommen. Echte Post! Die Menschen schreiben wieder, ist das nicht ein wunderbarer Nebeneffekt dieser Zeit? Einige formulierten bei der Gelegenheit zwar auch sehr wortreich ihre aktuellen Sorgen (im Fall meiner Tante Elise war in der Glückwunschkarte eine ausgeschnittene Statistik der Corona-Toten von Italien aufgeklebt), aber die guten Wünsche überwogen. Die meisten wünschen mir demnach für das kommende Lebensjahr Gesundheit, Glück und Klopapier. Das hätte mich vor einem Jahr wohl noch ein wenig irritiert.

Der Knaller war meine Freundin Nina. Nina hat ihren Gruß nicht geschrieben, sondern getanzt. Mitten auf der Straße, mit Luftballons in der Hand. Ich habe ihr aus gebotener Distanz aus dem 4. Stock zugesehen und mich sehr, sehr reich gefühlt.
Freundinnen wie Nina kannste ja bei keiner IBB beantragen. 

Ein bißchen sentimental, aber bester Dinge grüßt Dich

Susanne


PS: Heute früh fiel mir beim Blick in den Spiegel übrigens kein Lied ein, sondern direkt Inge Meysel.

# 16 Wenn’s wieder geht, geht’s los

Liebe Susanne,

auch von mir noch nachträglich die besten Wünsche zu Deinem Geburtstag. Mögen auch Deine weiteren Jahre so gut zu Dir sein, wie es die bisherigen waren.

Immerhin hast Du schon gefeiert. Neben vielen anderen Staus kommt auf uns ja auch eine Familienfestwelle im Herbst zu. Also wenn dann größere Zusammenkünfte wieder möglich sind. Nicht nur die vielen Feiern, die von jetzt oder dem Sommer auf den Herbst verschoben werden, müssen dann ja nachgeholt werden. Auch praktisch alle Menschen, die ich kenne, die bislang nicht sicher waren, ob sie mal was „Größeres“ machen wollen, sind plötzlich fest entschlossen. 

„Da man ja nun mal gesehen hat, wie schnell das gehen kann, daß es nicht mehr geht, sollte man  sobald es wieder geht, feiern was geht, solange es noch geht.“ 

Diesen Satz sagte gerade wortwörtlich meine Cousine am Telefon zu mir. Dann lud sie uns zu ihrer richtig großen Geburtstagsparty im Oktober ein. An einem Wochenende, an dem für mich jetzt schon zwei runde Wiegenfeste, eine grüne Hochzeit, eine goldene Hochzeit, zwei vom März verlegte Auftritte und eine Theatereröffnung liegen. Der eigentliche Geburtstag meiner Cousine wird übrigens im Mai gewesen sein.

Wir haben familienintern bereits beschlossen, daß wir uns wohl aufteilen müssen, um alle Feste in der zweiten Jahreshälfte zu schaffen. Wohlwissend, daß dies in Horrorfilmen immer der Anfang vom Ende ist. Also wenn man sich aufteilt. Aber da Familienfeiern schliesslich ein ganz anderes Genre als Horrorfilme sind, bleiben wir zuversichtlich. Falls die Einladungen sich allerdings noch mehr ballen, kommen wir wohl nicht drum rum, Leute einzustellen, die uns beim abfeiern helfen.

Wenigstens aber muss man sich im Moment mal keine Gedanken über Geschenke machen. Endlich sind die sonst als langweilig verschrieenen Gutscheine das angesagte Präsent der Stunde. Also eben Gutscheine für Restaurants, Cafés, Theater, Praxen und andere Läden, die im Moment geschlossen haben müssen und denen man mit so einem Gutschein ein bisschen über die Zeit hilft. 

Aber meine absolute Lieblingswerbeaktion kommt gerade von einem der tapferen Restaurants bei uns im Viertel, die immer noch Essen für Selbstabholer anbieten. Das wirbt nämlich mit: 

„20 Prozent auf alles außer Speisen und Getränke“

Da werde ich wahrscheinlich zur Belohnung für dieses Angebot meinen Geburtstag feiern.

100 Prozent von alles wünscht Dir

Horst

P.S.: Auf dem Foto trage ich übrigens eine elektrische Happy Birthday-Lichterkette. Sowas können ja nicht viele mit Würde tragen. Auch ich nicht. Aber für Dich mache ich es gerne.

#17 Krisenlocken und Kreuzworträtsel

Lieber Horst,

was für ein schönes Foto! Ich finde, Du solltest Deine Lichterkette öfter offen tragen. Glanz, Spannkraft, strahlend schöne Farben: alle Verheißungen des Shampoo-Regals auf einmal, zack fertig. Genial!

Wir haben hier noch keine rechte Lösung gefunden für die friseurlose Zeit. Wir verwildern so vor uns hin. Der Jüngste stand heute früh vorm Spiegel und sagte: „Oh. Ich kriege Krisenlocken“, befand dann aber, dass die Corona-Ferien, wie er die aktuelle Schulzeit zu nennen pflegt, super geeignet seien, um mal lange Haare auszuprobieren. Noch so ein Zeichen der Zeit also. Auch in der Warteschlange vor dem Supermarkt konnte ich manche Frisur in der Krise entdecken.

Vor unserer Lidl-Filiale gibt es jetzt einen Türsteher, der aussieht als hätte er bis vor kurzem noch im Berghain gearbeitet. Er ist auffallend breitschultrig und guckt sehr wichtig, ihn umweht eine gewisse Aura der Macht und der Gefahr. Sehr rührend ist allerdings, wie er immer wieder versucht, die Flasche Glasreiniger, mit der er die Griffe der Einkaufswagen desinfiziert, in der Hand zu drehen wie einen Colt. Dabei fällt sie ihm leider ständig runter, was dann letztlich unheimlich viel Zeit und Würde kostet. 

Im Laden selbst fühle ich mich derzeit immer wieder mal an die frühen Computerspiele der Achtziger erinnert. Pac Man oder Lady Bug, so muss das aus der Vogelperspektive aussehen wie die Leute versuchen, in größtmöglichem Abstand umeinander herum durch die Gänge zu fahren und dabei ihre goldenen Hefewürfel und andere Begehrlichkeiten einzusammeln. Beim letzten Einkauf habe ich mich tatsächlich dabei erwischt, wie ich den Sound dazu vor mich hin gemurmelt habe, diese Atari-Belohnungsgeräusche, Crabcrabcrab. Und Tüdelidütü. Ich glaube, wenn Corona irgendwann durch ist, werde ich mir den Ruf der durchgeknallten Frau aus der Nachbarschaft endgültig erarbeitet haben.

Und zu Hause? Eine schräge Art Alltag etabliert sich allmählich und alle sind redlich bemüht, sich nicht allzu sehr auf die Nerven zu gehen. Manchmal gibt es auch überraschend schöne Momente. Als ich mich neulich an einem Kreuzworträtsel zu schaffen machte, zum Beispiel, da legte mein Sohn doch glatt sein Smartphone zur Seite, setzte sich zu mir und wollte miträtseln. 
„Indisches Frauengewand?“ fragte ich also. „Wasabi“, rief er stolz.
„Unterwelt der nordischen Mythologie?“ „Berghain.“
Wir haben das abschließende Lösungswort auf diese Weise natürlich nicht herausbekommen, aber wir hatten viel Spaß. Wie hieß es so klug auf einer meiner Geburtstagskarten? Wenn der Weg schön ist, dann frage nicht, wohin er führt. 
In diesem Sinne:

Ein fröhliches Tüdelidütü aus Steglitz,

Susanne

#18 Ich sehe nur, was ich glaube

Liebe Susanne,

„Frisuren der Krise“ wäre eigentlich eine sehr schöne Idee für eine Fotoserie. Du solltest das im Auge behalten.

Ich kann da ja leider kaum mitreden. Die Krise meiner Frisur begann schon vor vielen, vielen Jahren und tragischerweise hat es da nie einen Rettungsschirm gegeben. Meine Frisur war allerdings auch nie systemrelevant.

Um etwas mehr Zeit für die persönliche Körperpflege zu gewinnen, haben wir in unserer Familie übrigens mittlerweile die Wahrnehmung der Außenwelt in Ressorts unterteilt. 

Also damit nicht mehr alle alles lesen müssen, hat nun jeder sein Spezialgebiet und informiert die anderen beim Morgen-Briefing nur über die neuesten Entwicklungen. 

Die Frau macht zum Beispiel dankenswerterweise den gesamten Bereich Trump/Bolsonaro, sowie andere Idioten und fasst dann nur kurz den größten Schwachsinn der Trottel für uns zusammen. Seit ich das alles selbst nicht mehr lesen muss, habe ich viel Zeit und auch Lebensqualität gewonnen. 

Die Kinder kümmern sich um den ganzen Komplex neue Fallzahlen, Statistik, aktuelle Gesetzeslagen der Kontaktsperre, Exit-Diskussion und so weiter und so fort. Die sind noch jung. Die macht das noch nicht so verrückt, wenn alle was anderes sagen und trotzdem jeder recht hat. Es ist toll, wie sie einem das alles jeden Tag in drei Minuten zusammenfassen und man sich dennoch absolut ausreichend informiert fühlt.

Ich hingegen hatte wieder großes Glück. Für mich blieb der Bereich der Verschwörungstheorien. Die Königsdisziplin in jeder Krise. Es gibt unfassbar viele im Netz. Neben den sehr langweiligen, vorhersehbaren und unoriginellen Theorien wie: 

Welteroberungsplan von China, 

DDR/Stasi/Erich Honneker-Verschwörung, 

Finanzblasenplatzen-Ablenkungsmanöver, 

Veganer-Angriff (da Corona-Viren meist durch den Verzehr von Tieren entstehen), Klopapierproduzentenverschwörung und all den Modellen, die darauf basieren, daß es gar keinen Corona-Virus gibt, 

habe ich aber auch eine aktuelle Lieblingsverschwörungstheorie.

Die basiert auf der Annahme, daß es schon in Kürze plötzlich einen Impfstoff gegen diesen Virus gibt, mit dem sich dann die gesamte Weltbevölkerung impfen lassen muss. In diesem Impfstoff ist dann aber noch was drin. Hier wiederum gibt es im Wesentlichen drei Varianten. Ein Wirkstoff der 

a) alle Menschen dieser Welt gehorsam macht (wem gegenüber ist umstritten) 

b) allen Menschen dieser Welt einen geheimen Sender implantiert (warum ist umstritten) 

oder c) die Gene aller Menschen dieser Welt so verändert, daß für sie eine andere Erdatmosphäre besser wäre. Nämlich eine, die den Bedürfnissen der Außerirdischen entspricht, die kurz danach auf der Erde landen (welcher Art diese Außerirdischen sind, ist umstritten, auch ob grundsätzlich freundlich oder feindlich)

Ich tippe bei dieser Auswahl natürlich auf c und halte das eigentlich auch für das wahrscheinlichste, da ich sowas ähnliches auch schonmal geträumt habe. Ein Traum, in dem ich übrigens sehr viele gepflegte lange Haare hatte. Womit sich der Kreis ja irgendwie schliesst, was ja wohl auch für die Theorie spricht.

Eine Welt der Wunder wünscht Dir

Horst   

#19 Kornkreise und andere Baustellen

Lieber Horst,

ja, so schließt sich der Kornkreis. In unserer Familie sind die Kinder für das tägliche Update der Verschwörungstheorien zuständig, die sind da immer sehr gut informiert. Weißt Du denn schon von den Maschinenelfen in den Führungsetagen des Silicon Valley? Das erklärt ja so viel!

Mir persönlich gefiel auch die knappe Meldung „Zewa hat Apple gekauft“ sehr gut. Aber möglicherweise handelte es sich dabei auch nur um einen schlichten Aprilscherz. Wer weiß das schon noch zu unterscheiden, dieser Tage?! Wo Regierungen auf Flughäfen Mundschutzraub betreiben wie die Piraten, angeführt von einem verwirrten Mann, der aussieht als hätte er ein Eichhörnchen, um genau zu sein: ein schon sehr lange verstorbenes Eichhörnchen auf dem Kopf und der seinen Teint auf das böse Licht der Energiesparlampenindustrie zurückführt. 
Also, bei all dem Reden über alte weiße Männer – wir müssen auch die alten orangen Männer dringend im Auge behalten.     

Ansonsten wackeln bei uns weiterhin die Wände: Eines der wenigen Dinge, die auch in dieser seltsamen Zeit der Corona-Krise Bestand haben, ist der Lärm der nahgelegenen Baustelle. Homeoffice hat sich hier noch nicht durchgesetzt. 
Seit anderthalb Jahren ist die Birkbuschstraße auf knapp 1 km Länge aufgerissen. Ich erinnere mich noch an diese Ankündigung der „vorübergehenden Einschränkungen“, die 2018 an unserer Haustür klebte. Die Kinder hatten erstmal nur die Überschrift gelesen – „Ausbau des Netzes“ – und waren in unbändigen Jubel ausgebrochen, bis sie feststellten, dass es um Warmwasserrohre ging.  

Ich mag es ja immer, wenn Dinge Namen haben, die zu ihnen passen. Die Baufirma, die nun also seit anderthalb Jahren lautstark, Tag für Tag und vor allem ohne jeden ersichtlichen Fortschritt die Straße in Schutt und Asche legt, heißt Alda. Das ist doch sehr Berlin, oder? Und entspricht auch ziemlich genau dem, was ich jeden Morgen um 7 Uhr vor mich hin brumme, wenn der Presslufthammer seinen Morgengruß morst. Alda. Ob es schon eine Firma namens Digga gibt?
Tagsüber sieht man dann immer wieder mal Anzugträger mit Bauhelmen auf dem Kopf und Verzweiflung im Blick die Straße abschreiten… Ja, ich spreche es jetzt einfach mal aus, Horst:
Nach Lage der Dinge glaube ich, dass hier heimlich ein Flughafen gebaut wird.

Und apropos Fliegen: die ersten Störche sind da!
In einem Bericht im Info-Radio habe ich gelernt, dass Störche nicht unbedingt partnertreu, aber durchaus „horsttreu“ sind.

Mit diesem schönen Wort grüßt Dich

Susanne

#20 Draußen nur Ständchen

Liebe Susanne,

jetzt wird es Ernst. Der Frühling fängt an. Mitten in die Kontaktsperre rein. Jetzt wird sich zeigen, wer wirklich gut im zuhause bleiben ist. Bei Regen und Kälte kann ja jeder. Aber jetzt… Ich bin heute mal rausgegangen, um zu gucken, wer es so alles nicht gepackt hat. Es waren einige, aber die im Großen und Ganzen erstaunlich diszipliniert. Auch in den Kreuzberger Parks. Alle halten den Mindestabstand ein. Oder versuchen es zumindest aufrichtig. Nur wenn die großen Polizeiwannen zur Kontrolle durch die Grünanlage rollen, muss man manchmal kurz ein bisschen zusammenrücken, damit die durchkommen. Doch ich will gar nicht meckern. Über nichts und niemanden. Ich bin im Gegenteil gerade einigermaßen stolz auf die Stadt. Oder auf das, was ich von ihr sehe. Wie entspannt, freundlich, rücksichtsvoll und verantwortungsbewusst alle miteinander umgehen. Nicht, daß ich es nicht auch genau so erwartet hätte. Aber ich gehöre ja zu den Menschen, die immer eher überrascht sind, wenn sie tatsächlich mal recht gehabt haben. Ich suche dann immer nach dem Fehler. Aber vielleicht liegt es auch nur daran, daß in einer Stadt, in der es sonst 90 % der Menschen eilig haben, fast jeder Zeit hat.
Eines meiner Lieblingscafés wirbt heute mit „Draußen nur Ständchen“. Ich weiß nicht genau, ob sie damit verquast ausdrücken wollen, daß man nichts, was man dort gekauft hat, vor dem Lokal im Sitzen verzehren soll. Oder ob sie die Menschen dazu animieren möchten, auf der Strasse im Stehen zu singen. Mit Mindestabstand. Das fände ich hübsch, habe es mich aber erstmal nicht getraut.

Am Dümmer-See im Landkreis Diepholz gibt es eine Strandbar, die früher immer Themenabende veranstaltet hat. Also Thema war jeweils Malediven, Karibik, Seychellen und so. Man braucht viel Phantasie, um sich im Landkreis Diepholz an einem kühlen Regenabend im April wie auf den Malediven zu fühlen. War aber für uns kein Problem. Phantasie konnten wir. Wir hatten ja sonst nichts.

Manchmal gab es im Landkreis auch Wettbewerbe, wo man sich Slogans für Diepholz ausdenken sollte. Ich habe da immer mitgemacht und nie gewonnen. Als der Landkreis beispielsweise junge Unternehmen anlocken wollte, habe ich für die Kampagne eingereicht:„Wer sich aus dem Nichts etwas aufbauen will, braucht erstmal ein ordentliches Nichts. Wir haben jede Menge davon.“An den damaligen Gewinnerspruch erinnere ich mich nicht mehr. Aber daran, daß sich kein Unternehmen daraufhin angesiedelt hat. Weshalb ich bis heute der Meinung bin, man hätte meine Sätze nehmen sollen. Mit denen hätten wir zwar auch niemanden angelockt, aber alle hätten vermutet, daß es am Slogan lag. Das wäre weniger demütigend gewesen. Doch das wollte ich ja gar nicht erzählen. Ich wollte vom einzigen Werbespruch von mir berichten, der jemals genommen wurde. Nämlich für den Themenabend Mallorca in der Strandbar. Für den habe ich getextet: „Draußen nur Eimer“. Ich finde, wenn ich heute eine derart dunkle Episode aus meinem Schaffen, so frei heraus erzählen kann, ist das ein gutes Zeichen. Wofür auch immer.

Wie sagen wir bei den Frühschoppenliedern stets so schön: „Wer nicht mitsingen will, muss hören“.

Mögest Du immer einen Zusammenhang finden

Horst

#21 Siri vs. Hilde

Lieber Horst,

Draußen nur Eimer gefällt mir. Es muss ja auch nicht immer Sangria sein, so einen Eimer Gin Tonic könnte ich mir auch gut vorstellen. Und draußen ist sowieso gut. Alles, was draußen ist, ist gerade gut, Draußen ist mein Freund. Ich habe lange nicht so intensiv den Wunsch verspürt, draußen zu sein, wie jetzt in der Zeit der Ausgangsbeschränkungen. 
In den Neunzigern gab es in Mitte übrigens mal einen Underground-Club namens Eimer, da konnte man dann getrost sagen „Ich bin im Eimer“ und hatte damit meist in jeder Hinsicht recht. Aber das nur am Rande.

Trägst Du eigentlich schon Mundschutz, Horst? Oder nähst Du noch? 
Gestern habe ich für meinen täglichen Spaziergang so einen OP-Kittel-grünen Standardlappen hervorgekramt, den ich vor Jahren mal in meiner Hausapotheke archiviert hatte. Ich dachte, ich zeige mal Engagement und lege ein wenig Compliance an den Tag. Aber hast Du Dich mal umgeguckt?  Mit so einem schlichten Modell kann man sich ja kaum noch aus dem Haus trauen. Blümchenmuster, bunte Bändchen, feinste Stoffe, bei vielen Leuten ist da inzwischen richtig was los im Gesicht! Und viele nähen ja jetzt auch selbst. Davon verstehe ich leider überhaupt nichts. Häkeln könnte ich. Aber ein gehäkelter Mundschutz wird´s in puncto fiese Viren wohl nicht bringen, der würde mich maximal vor dem Einatmen von Maikäfern beschützen. 

Ein recht unterhaltsamer Aspekt des Mundschutzes ist ja, dass der Mann jetzt nicht mehr von seinem I-Phone erkannt wird. Er ist ein bißchen gekränkt. 
In der Zeitung habe ich über eine Designerin gelesen, die diese Lücke schließen will: man kann ihr ein eingescanntes Portrait schicken, sie druckt dann den entsprechenden Bereich des Gesichts auf den Mundschutz drauf, damit die Gesichtserkennung keine Schwierigkeiten bereitet. Hammer. Krisen setzen ja immer eine gewisse Kreativität frei bei den Menschen. Ich bin nur manchmal erstaunt, an welchen Stellen. 

Das I-Phone des Mannes ist sowieso so ein Thema. Dieses erotische Gesäusel von Siri macht mich nochmal ganz verrückt. Selbst wenn es nur um Abfahrzeiten oder Kochrezepte geht, ich habe irgendwie immer ein bißchen das Gefühl, ich würde stören, wenn die zwei sich unterhalten. Er provoziert mich damit auch gerne mal, indem er im Vorbeigehen so Sätze raunt wie „Siri, kommst Du mit mir in die Badewanne?“ und Siri haucht dann wirklich zurück „Das ist alleine Deine Entscheidung, Alexander…“ Irgendwann werde ich sagen „Komm, Siri, lass uns vor die Tür gehen und das regeln wie Frauen“, und dann bin ich mal gespannt, wer das letzte Wort hat.

Ich hätte überhaupt große Lust, mal eine eigene Sprachassistentin zu programmieren. So eine renitente, mit ein bißchen Berliner Schnauze.  Ich würde sie vielleicht Hilde nennen, nach meiner alten Tante. Dann fragt der geneigte I Phone-Mann vielleicht „Hilde, suche Rezepte für Sellerieauflauf“ und Hilde antwortet „Such doch selber, du fauler Sack“. Oder „Hilde, wann fährt der nächste Bus zum Rathaus Steglitz?“ „Die fahrn doch eh wie se wollen, und n bißchen loofen würde dir ooch nich schaden“. Und bei „Hilde, kommst Du mit mir in die Badewanne?“ würde ein energisches „ABA SONZ JEHT`S JUT, JA?“ reichen. 

Oooh ja, ich glaube, das würde mir wirklich Spaß machen.

Und Du so, Hotte? Allet frisch oder drehste ooch langsam am Rad?

Tschüssikowski,

Susanne & Hilde

#22 Das brutzelt Dir das Obst weg

Liebe Susanne,

danke der Nachfrage. Hier ist alles prächtig. Also mal so vom Eingelegten her.

Weißt Du übrigens, daß ich einige Zeit meines Lebens damit verbracht habe, mir alte Berliner Redewendungen auszudenken?

Sowas wie: „Jetzt steht der mir hier wieder die Ecken voll!“ „Der guckt mir noch die Brille schmutzig“ oder „Das brutzelt Dir das Obst weg!“

Apropos Obst. Hast Du die Pressekonferenz der österreichischen Regierung gesehen? Alle mit Mundschutz. Irgendwie hat mich das auch an die früheren Videos der RAF-Terroristen erinnert. Ach die RAF. Da wird sich der Staat in ruhigen Momenten jetzt womöglich auch ab und an denken: Das waren noch Zeiten, als die mein größtes Problem waren.

Apropos Zeiten: Die Kinder haben gestern mit einem Programm gespielt, welches Menschen jünger machen kann. Also nicht in echt. So erfolgreich war das home-schooling nun auch nicht. Nur am Computer. Man macht ein Foto von sich und dann kann das Programm Dir mal eben so zwanzig, dreissig Jahre aus dem Gesicht rausmorphen. Das ist schon interessant. Aber auch erschreckend. Denn als mein dreißigjähriges Erscheinungsbild errechnet war, musste ich feststellen: So habe ich nie ausgesehen. Mit 40 war ich mir noch ähnlich gewesen, mit 20 auch wieder. Doch den dreißigjährigen Horst hatte ich noch nie gesehen.

 Die Kinder meinen, ein Irrtum des Programms sei quasi ausgeschlossen. Somit muss ich davon ausgehen, daß das Leben mir meine dreißiger Jahre vorenthalten hat. Also zumindest mal vom Gesicht her. Da bin ich offensichtlich ein Frühentwickler. Also hatte schon mit Mitte zwanzig das Niveau eines Vierzigjährigen erreicht. Im Gesicht. Das erklärt im Rückblick nun doch so einiges.

Noch irritierender wurde es allerdings, als wir später auch noch rumgespielt haben. Also andere Dinge, wie zum Beispiel Obst fotografiert und dann verjüngt haben. Denn ein etwas alter, schon eher runzliger Apfel hat tatsächlich, nachdem wir ihn rund fünfzig Jahre verjüngt hatten, ziemlich genau so ausgesehen, wie ich heute. Da war aber ein Hallo in der Familie und mir fiel auch nichts weiter mehr ein als die alte Berliner Redewendung:

„Da guckt einen doch der Trottel aussem Spiegel an.“

Immer eine handbreit Mampe im Glas wünscht Dir

Horst

P.S.: Anbei das Bild von mir als Hundertdreijähriger. Ich finde, hätte schlimmer kommen können.

#23 Gesundheit!

Lieber Horst, 

Das Alter wird es gut mit Dir gemeint haben, wie schön! Mit so einem Bild könnte man doch dann theoretisch heute schon die Kontaktanzeige von morgen entwerfen, überlege ich gerade? 
Ich habe in der Tat auch schon mal mit so einem Morphing-Programm herumgespielt. Eine Freundin hatte mir ganz aufgewühlt gezeigt, dass ihr gealtertes Ich genau so aussehen würde wie ihre Mutter, es war wirklich verblüffend, und sie wußte nicht so genau wie sie das finden sollte. Ich hatte es daraufhin auch ausprobiert, und tatsächlich, auch ich fand es sehr verblüffend, denn demnach werde ich in dreißig Jahren genau so aussehen wie mein Vater. Und wußte auch recht spontan wie ich das finde. 

Mein Vater hat seine späte Liebe ja noch offline kennengelernt, beim Plausch auf dem Friedhof. Ich glaube, das ist nach wie vor die gängigste Plattform in seiner Altersgruppe. Also die Platt-Form, sozusagen. Im Rheinland gibt es unter älteren Frauen übrigens die schöne Formulierung „Ich geh ma den Mann gießen“, hat mir eine Freundin erzählt, aber das nur am Rande. 

Ach ja, apropos offline. Um mich herum machen jetzt alle Online-Sport. Ich konnte mich bisher noch nicht durchringen. Aber Frau Merkels erster Auftritt nach der 14tägigen Quarantäne hat mich nachdenklich werden lassen.
Hefe ist übrigens durch, Langhanteln sind das neue Klopapier, habe ich mir sagen lassen. Aber auch das möchte man sich ja plastisch nicht vorstellen. 

Ansonsten: Der Frühling blüht, die Pollen fliegen. Ich merke es daran, dass ich morgens jetzt manchmal vom Niesen der Bauarbeiter geweckt werde. Achte mal drauf, die wenigsten Menschen niesen ja auf Hatschi. Heute morgen zum Beispiel war es Letscho und Hassan. 

Tja, man muss die Abwechslung halt auch mal würdigen, die der so Alltag bereithält. 

Viele Grüße und Gesundheit,
Susanne

PS: Anbei ein Jugendfoto.

#24 failed mate

Liebe Susanne,

daß die Ostereinkäufe mal als nationale Bewährungsprobe gelten würden, gehört zu den vielen Dingen dieser Zeit, die ich mir nie hätte vorstellen können.

Wir kaufen ja schon länger gemäß der Corona-Regeln ein. Lieber ein großer Einkauf, als viele kleine. Haushaltsübliche Mengen. Nur ein Einkäufer pro Markt. Konkret heisst dies bei uns: Wir mieten uns ein Auto, fahren zu viert zu einem zentralen Parkplatz und gehen dann zeitgleich in Supermarkt, Getränkehandel, Bioladen und Discounter. Jeder in ein Geschäft. Mit durchgehender  Konferenzschaltung, damit nichts vergessen oder mehrfach erworben wird. Das Ganze fühlt sich an, wie eine koordinierte Geheimagentenmission, was mir natürlich ausgezeichnet gefällt.

Irgendwie hat es sich ergeben, daß die anfänglich zufällige Verteilung der Geschäfte beibehalten wurde. Dies bedeutet, daß ich immer in den Discounter gehe, die Tochter hingegen jedesmal in den Biomarkt. Da wir ja aber sonst praktisch keine sozialen Kontakte außerhalb der Wohnung mehr haben, lebt sie also in einer Bioladen-Welt und ich in einem Discounter-Universum.

Manchmal habe ich das Gefühl, sie hält sich dadurch mittlerweile insgeheim für etwas Besseres. Dies wird noch verstärkt, da im Bio-Markt vor allem Obst und Gemüse eingekauft werden. Die ganzen Quarantäne-Süßigkeiten hingegen vornehmlich von mir beim Discounter eingesackt.

Sie steht für gesunde Vitamine. Ich bin der Kalorienbomber. Das schlägt sich längst auch aufs Erscheinungsbild nieder. Während sie auch in der Krise auf ihr Äußeres achtet, habe ich irgendwann aufgehört, mich zum Einkaufen umzuziehen. Eigentlich habe ich sogar ganz aufgehört, mich umzuziehen. Stattdessen werde ich jetzt oft auch für die Süßigkeiten, die andere essen, verantwortlich gemacht. Da ich sie ja in die Wohnung gebracht habe. Ich bin der schlechte Einfluss. Der gefallene Freund. The „failed mate“…

Nachdem ich der Familie von meinem Leid, also meinem gefühlten sozialen Absturz berichtet hatte, durfte ich gestern für die Ostereinkäufe in den Bioladen. Das war toll.

Ich habe mich trotzdem nicht umgezogen und dann da vor allem Süßigkeiten gekauft. Hat niemanden gestört. Die Tochter hingegen war im Discounter und hat dort das Biogemüse und -obst erstanden. Geht doch.

Einen schönen Karfreitag (Jeder nur ein Kreuz!)

wünscht Dir

Horst