#33 Ein bißchen Gaga

Lieber Horst,

als die Kinder noch klein waren, kamen sie manchmal an und jaulten mit Schippchen im Gesicht: „Mir ist lannngweilig…“ Während ich die Augen rollte und sofort überlegte, welcher sinnvollen Beschäftigung ich sie als Nächstes zuführen könnte, rief meine kluge Freundin Nina an dieser Stelle nur begeistert aus „Super, dann hast Du gleich eine tolle Idee!“ und schickte sie mit verheißungsvollem Zwinkern wieder in ihr Zimmer. Das funktionierte nicht nur, sondern hat auch meine Meinung über Langeweile als solche nachhaltig beeinflusst.
Ja, auch ich vermisse dieses gesunde Maß an Langeweile, freundlicher leichtsinniger Langeweile.  Aber für die Kultur sieht es ja nun wohl noch eine ganze Weile schlecht aus. Das einzige mit Kultur- sind bei mir zu Hause gerade die Champignons. 

Die Meinung Deiner Kassiererin teile ich voll und ganz. Man möchte so gerne mal wieder was verpassen. Ich zum Beispiel habe heute ganz bewußt meine Chance verpasst, Toilettenpapier zu kaufen. Es gab zwar welches, aber von der Marke „Origami“, das war mir einfach zu albern.

Ansonsten kompensiere ich die mangelnde Action oft in meinen Träumen, wie es scheint.
Letzte Nacht zum Beispiel war ich eine Art Superheldin, mit Cape und allem, ich sah toll aus! Als solche half ich alten Damen mit Gehbehinderung, ihren Zug zu finden. Elastigirl bei der Bahnhofsmission – Heldenträume einer Sozialarbeiterin. 
Aber auch Du tauchst manchmal auf, zuletzt als Barkeeper im Jurassic Park. Darüber können wir ja jetzt beide mal nachsinnen.

Die Psychologenvereinigung hat gestern darum gebeten, so erzählte mir meine Cousine, die völlig überlasteten Krisen-Hotlines mit Bedacht zu nutzen. Es sei völlig in Ordnung, in diesen Zeiten der sozialen Distanzierung mit Pflanzen und Gegenständen zu sprechen. Man solle erst anrufen, wenn sie antworten. 
Ich fand das sehr schlüssig und habe eine Weile gebraucht, um zu begreifen, dass es sich dabei um einen Witz handelt. Soweit ist es schon, Horst, man muss mir Witze erklären.

Apropos Witz, Donald Trump hat – (das mal ne Überleitung, oder?) –
Nein, im Ernst, Donald Trump hat ja nun der WHO das Geld eingefroren. Nun muss Lady Gaga ran. Eine Meldung, die wir vor wenigen Wochen vermutlich auch noch als Witz gewertet hätten. Das Online-Konzert „One World – Together at home“ jedenfalls beginnt heute Abend. Ob sie ein Cape trägt? Vielleicht schaue ich mal rein. 

Ich habe Dir ja schon von meiner ausgeprägten Neigung zu Ohrwürmern erzählt. Seit dieser Meldung singe ich natürlich unentwegt We are the World vor mich hin, diesen Achtziger-Jahre-Schinken, der heute Morgen allerdings jäh abgelöst wurde von Smells like Teen Spirit. Aber vielleicht lag das auch nur daran, dass ich am Wäschekorb vorbeigelaufen bin. 

Mit dem inbrünstigen Refrain dieses Meilensteins der Musikgeschichte, das mein gegenwärtiges geistiges Level auszudrücken vermag wie kein anderes, will ich also schließen, und sende ein fröhliches Hallo? Hallo? Hallo? nach Kreuzberg. 

Schwing den Cocktailshaker, Horst, klopf den Staub vom Cape und lass Dich nicht unterkriegen.

Liebe Grüße,
Susanne