#21 Siri vs. Hilde

Lieber Horst,

Draußen nur Eimer gefällt mir. Es muss ja auch nicht immer Sangria sein, so einen Eimer Gin Tonic könnte ich mir auch gut vorstellen. Und draußen ist sowieso gut. Alles, was draußen ist, ist gerade gut, Draußen ist mein Freund. Ich habe lange nicht so intensiv den Wunsch verspürt, draußen zu sein, wie jetzt in der Zeit der Ausgangsbeschränkungen. 
In den Neunzigern gab es in Mitte übrigens mal einen Underground-Club namens Eimer, da konnte man dann getrost sagen „Ich bin im Eimer“ und hatte damit meist in jeder Hinsicht recht. Aber das nur am Rande.

Trägst Du eigentlich schon Mundschutz, Horst? Oder nähst Du noch? 
Gestern habe ich für meinen täglichen Spaziergang so einen OP-Kittel-grünen Standardlappen hervorgekramt, den ich vor Jahren mal in meiner Hausapotheke archiviert hatte. Ich dachte, ich zeige mal Engagement und lege ein wenig Compliance an den Tag. Aber hast Du Dich mal umgeguckt?  Mit so einem schlichten Modell kann man sich ja kaum noch aus dem Haus trauen. Blümchenmuster, bunte Bändchen, feinste Stoffe, bei vielen Leuten ist da inzwischen richtig was los im Gesicht! Und viele nähen ja jetzt auch selbst. Davon verstehe ich leider überhaupt nichts. Häkeln könnte ich. Aber ein gehäkelter Mundschutz wird´s in puncto fiese Viren wohl nicht bringen, der würde mich maximal vor dem Einatmen von Maikäfern beschützen. 

Ein recht unterhaltsamer Aspekt des Mundschutzes ist ja, dass der Mann jetzt nicht mehr von seinem I-Phone erkannt wird. Er ist ein bißchen gekränkt. 
In der Zeitung habe ich über eine Designerin gelesen, die diese Lücke schließen will: man kann ihr ein eingescanntes Portrait schicken, sie druckt dann den entsprechenden Bereich des Gesichts auf den Mundschutz drauf, damit die Gesichtserkennung keine Schwierigkeiten bereitet. Hammer. Krisen setzen ja immer eine gewisse Kreativität frei bei den Menschen. Ich bin nur manchmal erstaunt, an welchen Stellen. 

Das I-Phone des Mannes ist sowieso so ein Thema. Dieses erotische Gesäusel von Siri macht mich nochmal ganz verrückt. Selbst wenn es nur um Abfahrzeiten oder Kochrezepte geht, ich habe irgendwie immer ein bißchen das Gefühl, ich würde stören, wenn die zwei sich unterhalten. Er provoziert mich damit auch gerne mal, indem er im Vorbeigehen so Sätze raunt wie „Siri, kommst Du mit mir in die Badewanne?“ und Siri haucht dann wirklich zurück „Das ist alleine Deine Entscheidung, Alexander…“ Irgendwann werde ich sagen „Komm, Siri, lass uns vor die Tür gehen und das regeln wie Frauen“, und dann bin ich mal gespannt, wer das letzte Wort hat.

Ich hätte überhaupt große Lust, mal eine eigene Sprachassistentin zu programmieren. So eine renitente, mit ein bißchen Berliner Schnauze.  Ich würde sie vielleicht Hilde nennen, nach meiner alten Tante. Dann fragt der geneigte I Phone-Mann vielleicht „Hilde, suche Rezepte für Sellerieauflauf“ und Hilde antwortet „Such doch selber, du fauler Sack“. Oder „Hilde, wann fährt der nächste Bus zum Rathaus Steglitz?“ „Die fahrn doch eh wie se wollen, und n bißchen loofen würde dir ooch nich schaden“. Und bei „Hilde, kommst Du mit mir in die Badewanne?“ würde ein energisches „ABA SONZ JEHT`S JUT, JA?“ reichen. 

Oooh ja, ich glaube, das würde mir wirklich Spaß machen.

Und Du so, Hotte? Allet frisch oder drehste ooch langsam am Rad?

Tschüssikowski,

Susanne & Hilde

#22 Das brutzelt Dir das Obst weg

Liebe Susanne,

danke der Nachfrage. Hier ist alles prächtig. Also mal so vom Eingelegten her.

Weißt Du übrigens, daß ich einige Zeit meines Lebens damit verbracht habe, mir alte Berliner Redewendungen auszudenken?

Sowas wie: „Jetzt steht der mir hier wieder die Ecken voll!“ „Der guckt mir noch die Brille schmutzig“ oder „Das brutzelt Dir das Obst weg!“

Apropos Obst. Hast Du die Pressekonferenz der österreichischen Regierung gesehen? Alle mit Mundschutz. Irgendwie hat mich das auch an die früheren Videos der RAF-Terroristen erinnert. Ach die RAF. Da wird sich der Staat in ruhigen Momenten jetzt womöglich auch ab und an denken: Das waren noch Zeiten, als die mein größtes Problem waren.

Apropos Zeiten: Die Kinder haben gestern mit einem Programm gespielt, welches Menschen jünger machen kann. Also nicht in echt. So erfolgreich war das home-schooling nun auch nicht. Nur am Computer. Man macht ein Foto von sich und dann kann das Programm Dir mal eben so zwanzig, dreissig Jahre aus dem Gesicht rausmorphen. Das ist schon interessant. Aber auch erschreckend. Denn als mein dreißigjähriges Erscheinungsbild errechnet war, musste ich feststellen: So habe ich nie ausgesehen. Mit 40 war ich mir noch ähnlich gewesen, mit 20 auch wieder. Doch den dreißigjährigen Horst hatte ich noch nie gesehen.

 Die Kinder meinen, ein Irrtum des Programms sei quasi ausgeschlossen. Somit muss ich davon ausgehen, daß das Leben mir meine dreißiger Jahre vorenthalten hat. Also zumindest mal vom Gesicht her. Da bin ich offensichtlich ein Frühentwickler. Also hatte schon mit Mitte zwanzig das Niveau eines Vierzigjährigen erreicht. Im Gesicht. Das erklärt im Rückblick nun doch so einiges.

Noch irritierender wurde es allerdings, als wir später auch noch rumgespielt haben. Also andere Dinge, wie zum Beispiel Obst fotografiert und dann verjüngt haben. Denn ein etwas alter, schon eher runzliger Apfel hat tatsächlich, nachdem wir ihn rund fünfzig Jahre verjüngt hatten, ziemlich genau so ausgesehen, wie ich heute. Da war aber ein Hallo in der Familie und mir fiel auch nichts weiter mehr ein als die alte Berliner Redewendung:

„Da guckt einen doch der Trottel aussem Spiegel an.“

Immer eine handbreit Mampe im Glas wünscht Dir

Horst

P.S.: Anbei das Bild von mir als Hundertdreijähriger. Ich finde, hätte schlimmer kommen können.

#23 Gesundheit!

Lieber Horst, 

Das Alter wird es gut mit Dir gemeint haben, wie schön! Mit so einem Bild könnte man doch dann theoretisch heute schon die Kontaktanzeige von morgen entwerfen, überlege ich gerade? 
Ich habe in der Tat auch schon mal mit so einem Morphing-Programm herumgespielt. Eine Freundin hatte mir ganz aufgewühlt gezeigt, dass ihr gealtertes Ich genau so aussehen würde wie ihre Mutter, es war wirklich verblüffend, und sie wußte nicht so genau wie sie das finden sollte. Ich hatte es daraufhin auch ausprobiert, und tatsächlich, auch ich fand es sehr verblüffend, denn demnach werde ich in dreißig Jahren genau so aussehen wie mein Vater. Und wußte auch recht spontan wie ich das finde. 

Mein Vater hat seine späte Liebe ja noch offline kennengelernt, beim Plausch auf dem Friedhof. Ich glaube, das ist nach wie vor die gängigste Plattform in seiner Altersgruppe. Also die Platt-Form, sozusagen. Im Rheinland gibt es unter älteren Frauen übrigens die schöne Formulierung „Ich geh ma den Mann gießen“, hat mir eine Freundin erzählt, aber das nur am Rande. 

Ach ja, apropos offline. Um mich herum machen jetzt alle Online-Sport. Ich konnte mich bisher noch nicht durchringen. Aber Frau Merkels erster Auftritt nach der 14tägigen Quarantäne hat mich nachdenklich werden lassen.
Hefe ist übrigens durch, Langhanteln sind das neue Klopapier, habe ich mir sagen lassen. Aber auch das möchte man sich ja plastisch nicht vorstellen. 

Ansonsten: Der Frühling blüht, die Pollen fliegen. Ich merke es daran, dass ich morgens jetzt manchmal vom Niesen der Bauarbeiter geweckt werde. Achte mal drauf, die wenigsten Menschen niesen ja auf Hatschi. Heute morgen zum Beispiel war es Letscho und Hassan. 

Tja, man muss die Abwechslung halt auch mal würdigen, die der so Alltag bereithält. 

Viele Grüße und Gesundheit,
Susanne

PS: Anbei ein Jugendfoto.

#24 failed mate

Liebe Susanne,

daß die Ostereinkäufe mal als nationale Bewährungsprobe gelten würden, gehört zu den vielen Dingen dieser Zeit, die ich mir nie hätte vorstellen können.

Wir kaufen ja schon länger gemäß der Corona-Regeln ein. Lieber ein großer Einkauf, als viele kleine. Haushaltsübliche Mengen. Nur ein Einkäufer pro Markt. Konkret heisst dies bei uns: Wir mieten uns ein Auto, fahren zu viert zu einem zentralen Parkplatz und gehen dann zeitgleich in Supermarkt, Getränkehandel, Bioladen und Discounter. Jeder in ein Geschäft. Mit durchgehender  Konferenzschaltung, damit nichts vergessen oder mehrfach erworben wird. Das Ganze fühlt sich an, wie eine koordinierte Geheimagentenmission, was mir natürlich ausgezeichnet gefällt.

Irgendwie hat es sich ergeben, daß die anfänglich zufällige Verteilung der Geschäfte beibehalten wurde. Dies bedeutet, daß ich immer in den Discounter gehe, die Tochter hingegen jedesmal in den Biomarkt. Da wir ja aber sonst praktisch keine sozialen Kontakte außerhalb der Wohnung mehr haben, lebt sie also in einer Bioladen-Welt und ich in einem Discounter-Universum.

Manchmal habe ich das Gefühl, sie hält sich dadurch mittlerweile insgeheim für etwas Besseres. Dies wird noch verstärkt, da im Bio-Markt vor allem Obst und Gemüse eingekauft werden. Die ganzen Quarantäne-Süßigkeiten hingegen vornehmlich von mir beim Discounter eingesackt.

Sie steht für gesunde Vitamine. Ich bin der Kalorienbomber. Das schlägt sich längst auch aufs Erscheinungsbild nieder. Während sie auch in der Krise auf ihr Äußeres achtet, habe ich irgendwann aufgehört, mich zum Einkaufen umzuziehen. Eigentlich habe ich sogar ganz aufgehört, mich umzuziehen. Stattdessen werde ich jetzt oft auch für die Süßigkeiten, die andere essen, verantwortlich gemacht. Da ich sie ja in die Wohnung gebracht habe. Ich bin der schlechte Einfluss. Der gefallene Freund. The „failed mate“…

Nachdem ich der Familie von meinem Leid, also meinem gefühlten sozialen Absturz berichtet hatte, durfte ich gestern für die Ostereinkäufe in den Bioladen. Das war toll.

Ich habe mich trotzdem nicht umgezogen und dann da vor allem Süßigkeiten gekauft. Hat niemanden gestört. Die Tochter hingegen war im Discounter und hat dort das Biogemüse und -obst erstanden. Geht doch.

Einen schönen Karfreitag (Jeder nur ein Kreuz!)

wünscht Dir

Horst

#25 Shutdown Blues

Lieber Horst,

Hörst Du diese klagende Melodie in der Ferne? 
Ich stehe in Küche und putze Gemüse, aber meine innere Drama-Queen steht gerade mit Smokey Eyes und Paillettenkleid auf dem Balkon und schluchzt den Shutdown Blues ins Saxophon…
Mann, wie ich das normale Leben vermisse. Jetzt sind wir durchs Adaptieren durch, jetzt kommt das Aushalten. 

Manchmal sind es ja ganz einfache Dinge, die mir fehlen. 

Mein Optiker zum Beispiel hat zu. Da gehe ich sonst regelmäßig hin, um die Schrauben an den Bügeln meiner Brille festziehen zu lassen. Jetzt ist meine Brille so locker, dass sie mir eben beim Runtergucken einfach aus dem Gesicht gefallen ist, fast direkt in die in die Möhren-Kurkuma-Suppe. Gott sei Dank ist auf meine Reflexe Verlass. Blitzschnell habe ich sie aufgefangen. Leider hatte ich dabei noch den Kochlöffel in der Hand. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der besagten Suppe findet sich deshalb inzwischen auf den Wänden, den Fliesen, der Obstschale und meinem Gesicht wieder. 
Andere Leute bemalen Ostereier. 

Es geht schon den ganzen Tag so, es scheint so eine Art persönlicher Black Friday zu sein. Vorhin hatte sich eine Biene in die Küche verirrt. Als ich das Fenster öffnete, blies ein Luftzug mit bemerkenswerter Präzision die Zwiebelschalen in den Toaster. Die Biene fand den Weg nach draußen trotzdem nicht, dafür kam nach einer Weile eine zweite von draußen hereingeflogen, jetzt hängen sie zu zweit an der Scheibe ab.
Beim Versuch, ihnen mit einer Postkarte den Weg zu wedeln, ist mir die Zuckerdose umgefallen. Und beim Staubsaugen – ich machte gleich im Bad weiter, wo ich schon mal dabei war – geriet mir das lose Ende der Klopapierrolle in das Staubsaugerrohr, was in der einen Sekunde, die ich brauchte, um den Aus-Schalter zu drücken, ein erstaunliches Ausmaß an Chaos verursachte…

Ausgedacht? Nix davon. Alles so passiert. Und es ist noch nicht mal Mittag…

Ich glaube, ich werde versuchen, heute einfach nichts mehr anzufassen. Zumindest nichts Wichtiges. Ich setze mich einfach ein bißchen auf den Balkon und schaue meiner Clematis beim Wachsen zu. Auch eine Drama-Queen, übrigens. Ich hänge Dir mal ein Foto an.

Hab ein schönes Osterwochenende, lieber Horst,
Always look on the bright side of life! (Füdüt-füdüdüdüdüdüt)

Susanne

#26 Ziehst Du mich, zieht es sich

Liebe Susanne,

ich weiß nicht, ob es tröstet, aber mit Deinem Corona-Koller befindest Du Dich derzeit in der Mitte der Gesellschaft. Man kommt sich vor, wie in einem Wartezimmer, in dem einem niemand sagen kann, wie lange es ungefähr noch gehen kann. Nur ab und zu laufen Leute durch den Raum die „Oh, oh, oh, oh, oh“ raunen. Oder „Weiß man nicht, wann’s wieder losgeht. Kann noch lange dauern, kann sich aber auch richtig ziehen:“ 

Also beschäftigen wir uns. Irgendwie. Unser Nachbar zum Beispiel wollte wohl den Karfreitag nutzen, um mal die Fahrräder der Familie zu reparieren. Im Innenhof. So daß ich ihn stundenlang  dabei beobachten konnte. Denn leider war seine Vorgehensweise der meinen sehr, sehr ähnlich. Zunächst hat er alles vor sich aufgebaut. Dann offensichtlich Hunger bekommen und mehr als eine Stunde lang Proviant und Getränke für die Arbeiten organisiert, bis er endlich ein Buffet hatte, dem er soweit vertraute, daß er daraufhin erstmal alle Räder irgendwie auseinander genommen hat. Er wirkte dabei fröhlich und energiegeladen.

In dem Moment aber, wo er endlich quasi alle Räder komplett in die Einzelteile zerlegt hatte, wurde er schlagartig unglaublich müde. Ab da saß er regungslos ihm Hof, starrte auf die auseinander geschraubten Räder, aß, trank und dachte nach. 

Ich kenne dieses Gefühl extrem gut. Es war, als würde ich mich dort unten sitzen sehen. An diesem Punkt gibt es noch genau zwei Möglichkeiten. Entweder man erwischt einen magischen Augenblick, rafft sich schlagartig auf und schraubt doch noch alles wieder leidlich funktionstüchtig zusammen. 

Oder man holt eine Kiste. Wo alles reingelegt wird. Erstmal. Bis man es irgendwann fertig macht. Unser Keller steht voll solcher Kisten.

Nun jedoch sitzt unser Nachbar im Hof und starrt regungslos die ihm immer fremder werdenden Fahrradteile an. Ich würde ihm so gerne helfen. Doch die einzig sinnvolle Hilfe, zu der ich mich in der Lage sehe, wäre ihm eine passende Kiste für die Einzelteile zu bringen. 

Könnte das eine Metapher sein? Also für unser gesellschaftliches Leben, das wir auch gerade komplett auseinander genommen haben. Und nun sitzen wir da, starren es an und fühlen uns urplötzlich nur noch unsäglich müde?

Wenn, dann wäre es eine schlechte Metapher. Also ich zumindest würde mir, wenn ich mir eine Metapher ausdenken würde, gewiss eine sehr viel bessere ausdenken. Doch wozu sollte ich?

Stattdessen geschieht etwas, was man sich nicht ausdenken kann. Eine andere Anwohnerin, die offensichtlich so wie ich den ganzen Tag den Nachbarn beobachtet hat, ruft laut in den Hof:

„Komm, es ist Karfreitag. Für die Auferstehung der Fahrräder hast Du noch bis Sonntag Zeit!“ Das ist mal ein wirklich einleuchtendes Argument, was auch ihm einen gutgelaunten Feierabend ermöglicht. So einfach kann es sein.

Als ich im letzten Herbst endlich mal in Kurve gekriegt habe und tatsächlich das alte schöne Schuhregal aus einer der Kisten zusammengebaut habe, war ich ziemlich stolz. Zumindest solange, bis ich rund vier Wochen später, bei einem erneuten Gang in den Keller feststellen musste, daß das alte schöne Schuhregal offensichtlich in einer anderen Kiste lagerte. 

Bis heute weiß ich nicht, aus was ich da eigentlich das alte schöne Schuhregal zusammengebaut habe. Immerhin erklärte sich so, warum das alte schöne Schuhregal nach meinem wieder zusammen bauen, überhaupt nicht mehr schön war.

Mögen alle Deine Kisten immer gut beschriftet sein

Horst

#27 Vom Backen und Hoffen

Lieber Horst,

Danke, heute ist ja auch schon wieder viel bessere Stimmung in meinem persönlichen Wartezimmer. Und ich will mich auch nicht so anstellen, andere sind schon von Schlimmerem auferstanden.
Apropos Ostern. In einem Lied habe ich neulich die bemerkenswerte Zeile aufgeschnappt „Gott sei Dank ist Jesus nicht gevierteilt worden, sonst hätten wir heute in jeder Kirche ein Mobilé“. Es gibt Bilder, die kriegt man einfach nicht mehr aus dem Kopf, so sehr man sich auch bemüht. Und ich bemühe mich wirklich redlich.

Wann immer ich mich von etwas ablenken will, fange ich ja an zu kochen und zu backen. Das bringt mich irgendwie runter, es ist etwas klischeehaft, aber was soll ich machen. Heute Nacht zum Beispiel habe ich Hefezöpfe gebacken. Hefezöpfe, die aussehen wie Knautschhundewelpen, um genau zu sein, und nun liegen sie da und ich kriege ich es nicht übers Herz, sie anzuschneiden und … Na gut. Möglicherweise neige ich momentan wirklich ein bißchen zum Drama.

Ich habe mal von der Theorie gehört, dass Kochen und Backen total gut sei, wenn man abnehmen will. Weil man von all den köstlichen Gerüchen dann quasi schon satt sei und im Endeffekt viel weniger essen würde. Ich habe es ausprobiert und kann sagen – nein.
Aber wenigstens gehe ich regelmäßig spazieren.  Alle Welt geht ja jetzt regelmäßig spazieren.  Auch Leute, die noch nie in ihrem Leben spaziert sind, gehen jetzt spazieren. Regelmäßig. 
Und ich spaziere mit. Was mich angeht, ist das ganz klar die direkte Reaktion auf die Ausgangsbeschränkungen. Das hat schon immer funktioniert: Sobald ich etwas nicht mehr darf, will ich das, ganz unbedingt. Ich wünschte, mir würde mal jemand das Salatessen verbieten.

Aber eigentlich wollte ich noch etwas zu Deiner Keller- und Kistengeschichte erzählen. Oder, ich fang mal anders an: Kennst Du das, wenn man einen Satz schon laut gesagt hast, bevor man mit Nachdenken fertig war? Mir ist das neulich gerade wieder passiert. Ich hörte mich beim Abendessen aus heiterem Himmel sagen:
„Jetzt hätten wir ja mal richtig Zeit, den Keller aufzuräumen!“ 

Alle schwiegen. Ich auch, ich war schließlich genauso entsetzt, aber so einen Satz kann man ja nicht einfach wieder zurücknehmen. Daran muss ich wirklich arbeiten.
Die Polizei hat übrigens am gleichen Abend an allen Haustüren unserer Straße Aushänge angebracht, auf denen darauf hingewiesen wird, dass in unserer Gegend derzeit sehr viele Kellereinbrüche stattfinden. Nicht dass jemand von uns wagen würde, es auszusprechen – aber ich glaube, unser aller Hoffnung ruht nun auf den Einbrechern. 

Frohe Ostern wünscht Dir

Susanne 

P.S.: Am gleichen Tag kam auch diese charismatische Wurfsendung an, bei Euch auch? Ich dachte, Möbel Höffner hätte geschrieben, aber dann war es doch der Bürgermeister. 

#28 Was die Blume weiß, weiß nur die Blume

Liebe Susanne,

Was der einen das Backen, ist dem anderen das ins Grüne gucken.

Eine sehr, sehr gute Freundin hat eine Art Schrebergarten im Norden Berlins. Dort konnten wir erfreulicher Weise die Ostertage verbringen. Wenn wir gemeinsam in diesem Schrebergarten sind, haben wir eine ziemlich genaue und gut funktionierende Aufteilung der Pflichten. Sie macht den Garten und ich das Schrebern. 

Wenn Du mich jetzt fragst, was Schrebern ganz genau eigentlich ist, muss ich Dir leider sagen, daß ich nicht die geringste Ahnung habe. Und das beschreibt aber wiederum sehr gut, was ich da mache. Ich verbringe meine Tage dort, damit keine Ahnung zu haben. Das ist sehr erholsam. Gerade für jemanden, der ja normalerweise so viel weiß, wie ich. 

Wusstest Du beispielsweise, daß ich weiß woher der Schrebergarten zu seinem Namen gekommen ist. Vom Leipziger Arzt Daniel Gottlob Moritz Schreber nämlich. So Sachen weiß mein Gedächtnis ohne zu googeln. Aber wie der Großteil der Pflanzen dort heisst, kann es sich nicht merken. Dennoch mache ich ihm keinen Vorwurf.

Ab und zu zieht mich die Frau aber doch ins Vertrauen. Also einzelne gartenspezifische Dinge betreffend. Es geht dann meist um irgendwelche Pflanzen, die aus irgendwelchen Gründen, irgendwelche Sachen machen oder nicht. Meistens nicht. Wachsen zum Beispiel. Oft wachsen sie nicht so, wie sie eigentlich wachsen müssten oder sollten, wenn alles mit rechten Dingen zugehen würde. Was es aber selten tut. Weil irgendwelche Pflanzen dann eben doch wohl oft einen eigenen Kopf haben. Wo einem auch alles Wissen nichts nützt. Denn was die Pflanze weiß, weiß nur die Pflanze und die sagt ja nichts. 

Deshalb wird dann also mit großer Empathie und Hingabe geforscht, was wohl dem Gewächs das Wachsen verleidet. Überlegungen werden angestellt, wie man es für die Pflanze angenehmer machen könnte. Das ist rührend mit anzusehen, bis die Frau schliesslich sagt: „Es tut mir so leid, aber ich glaube, die Pflanze fühlt sich hier einfach nicht richtig wohl.“ Gefolgt von einem ehrlichen Seufzen. Tiefster Traurigkeit. Die auch mich packt. Wo man sich natürlich wünscht diese Pflanze zu sein, die so viel Mitgefühl und Liebe bekommt. 

Bis zu dem Punkt, wo die Frau plötzlich durchatmet, die Schultern zuckt und recht sachlich sagt: „Ja gut, dann mach ich sie eben weg.“ Und dann kannst Dun nicht gucken, wie schnell diese Pflanze weg ist. Zack, da geht sie hin.

Das beeindruckt mich schon und führt dazu, daß ich mich eben ganz aufs Schrebern beschränke. Nichts anderes mache, als keine Ahnung zu haben und mich so wohl zu fühlen, daß man das auch sieht. Eins mit den Pflanzen zu werden. Zu einer fein und genügsam blühenden Blume. Klingt einfach. Ist aber für jemanden wie mich auch richtig anspruchsvolle Gartenarbeit.

Von Blume zu Blume alles Gute wünscht

Horst

#29 Alfons

Lieber Horst,

Schrebern ist ein schönes Verb, das werde ich sofort in meinen Wortschatz aufnehmen, danke. Bei uns hat sich auch gerade ein neues Wort etabliert, das heißt Restern und meint das Zubereiten einer Mahlzeit aus den Resten von gestern.

Wenn ich mal nicht am Herd stehe, pflege ich den Austausch mit Freunden auf den diversen Kanälen, die einem dafür während der Kontaktsperre zur Verfügung stehen. Meine Freundin Andrea schrieb mir gestern Abend per Whatsapp:
„Jetzt sitze ich mit einem Glas Wein im Garten, während endlich die Kinder nicht mehr schreien. Diese Reduzierung der Betreuung treibt mich noch in den Wahnsinn. 
Was sollen nur die Leute sagen, die selbst Eltern sind.“ 

Alle Welt lauscht im Moment mit gespitzten Ohren, wann die Kitas wieder aufmachen und der Schulbetrieb wieder aufgenommen wird. Mein Sohn auch, in erster Linie, weil er sich aufrichtig darauf freut, endlich seine Freunde wiederzusehen. Das müsste jetzt nicht unbedingt in der Schule stattfinden, wenn es nach ihm geht, aber nun, das Leben ist kein Streichelzoo. 
Ja, auch ich freue mich darauf, wenn es langsam wieder losgeht. Das mit dem Homeschooling ist nichts für uns. Du solltest mal dabei sein, Horst, wenn das Kind und ich zusammen Spanisch lernen. Das ist wie eine sehr eigene Version von Der Blinde und die Taube. Nur ohne Happy End. 

Nun mögen weise Menschen nach bestem Wissen und Gewissen darüber entscheiden, wann der richtige Zeitpunkt dafür ist. 
Die Leopoldina, meinetwegen. Ich stolpere immer wieder kurz, wenn ich diesen Namen im Radio höre, ich finde, er klingt ein bißchen nach einer Hunderasse, also Berhardiner, Leopoldiner, … 
Der Hund der Freundin meines Sohnes ist ja eine Kreuzung aus Hovawart und Dackel. Ja, das kann man sich ruhig mal einen Moment vor dem inneren Auge zergehen lassen. Die Natur ist halt immer wieder für ein Abenteuer gut und wo ein Wille ist, ist auch ein Welpe. 
Als ich Alfi das erste Mal sah, war ich total beeindruckt von seinen goldbraunen Augen, die mich aufmerksam musterten, und seiner überhaupt sehr royalen Erscheinung. „Oha!“ dachte ich, „wenn der erstmal aufsteht!“  Aber er stand schon. 

Alfi heißt eigentlich Alfons. Er wird von seinen Menschen auch meist Alfons gerufen und hört wirklich sehr gut. Besonders rührend finde ich, dass er auch angelaufen kommt, wenn etwas so ähnlich klingt, wenn jemand in einem Gespräch I Phone sagt, zum Beispiel. 

Ich glaube, wir werden das umdrehen, und Telefone aller Art künftig Alfons nennen. Das finde ich nur gerecht. Und bei uns haben überhaupt viele Dinge einen eigenen Namen, wenn ich so drüber nachdenke.  
Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.
Ich gehe jetzt erstmal auf den Balkon, den Frieder gießen und ein bißchen Larry ernten fürs Restern. Es gibt Zipfelmützen mit Gehirngemüse und Wüstenmöhre. Lecker!

Viele Grüße aus der Krisenküche,

Susanne

#30 Ferien am Lecko Mio

Liebe Susanne,

na da habe ich jetzt doch eine Weile überlegt, was es bei Euch zum Essen gegeben haben könnte. Ich tippe mal, die Zipfelmützen sind Orecchiette-Nudeln, das Gehirngemüse Blumenkohl und die Wüstenmöhren Pommes. Was dann allerdings ein sehr seltsames Menü wäre. Daher sind die Zipfelmützen wohl doch eher irgendwelche Bratlinge in Mützenform oder tatsächlich panierte Zipfelmützen, was sicher auch lecker sein kann, wenn man richtig Hunger hat.

Im Rahmen der vielen, sich oft heftig widersprechenden Coronaprophezeiungen dieser Tage hat übrigens gerade jemand im Radio geunkt, es könnte auch sein, daß dieses Jahr die Sommerferien ausfallen. Das erinnert mich jetzt doch irgendwie an meinen Onkel, der auch ständig seiner Familie mit Urlaubsentzug gedroht hat. „Wenn das hier so weitergeht, machen wir dieses Jahr Ferien am Lecko Mio!“, war sein Lieblingsspruch. Seine Tochter hat daher tatsächlich lange gedacht, der Lecko Mio wäre ein See in Italien, wo es ganz doof ist. Ich halte das nach wie vor für nicht ausgeschlossen.

Ich selbst komme ja gebürtig aus einer Urlaubsregion. Dem Dümmer-See. Allerdings muss ich zugeben, daß wir die Urlauber, die zum urlauben zu uns gekommen sind, immer etwas skeptisch betrachtet haben. Also insgeheim haben wir gedacht: „Wie verzweifelt muss jemand sein, der seinen Sommer freiwillig bei uns verbringt. Da sogar noch Geld für bezahlt. Solchen Leuten sollte man doch wohl eher mit Vorsicht begegnen.“

Einem Campingplatzbesitzer am See ist in einer Gemeinderatssitzung sogar mal der später viel zitierte Satz rausgerutscht: „Unser Zielpublikum hier sind ja die Leute, die kein Geld für richtige Ferien haben. Oder denen das zu weit ist.“ Vor allem dieser zweite Satz, der wohl gemeint war, wie „denen richtige Ferien zu weit sind“ begeistert mich bis heute. Mir ist ja auch manchmal der Weg zum richtigen Sitzen zu weit, weshalb ich nach dem Heimkommen zeitweise sehr lange auf der Fußbank im Flur hocke.

Beobachtet man nun allerdings, wie die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern gerade ihren Berliner Urlaubern begegnen, hat man das Gefühl, die haben an sich auch keine allzu hohe Meinung von ihren Gästen.

Doch das ist ja sicherlich nur so eine Momentaufnahme. Wie so vieles gerade. Denn auch einige Leute, von denen ich immer dachte, sie wären Idioten, die ich aber dann kurzzeitig doch nicht mehr für Idioten gehalten habe, halte ich mittlerweile wieder für Idioten. 

Und das stimmt mich zuversichtlich, daß wir auf dem Weg zurück zur Normalität sind. Also ganz, ganz langsam natürlich. Noch hocken wir auf der Fußbank im Flur. Aber demnächst…was weiß denn ich.

Guten Appetit wünscht Dir

Horst