#25 Shutdown Blues

Lieber Horst,

Hörst Du diese klagende Melodie in der Ferne? 
Ich stehe in Küche und putze Gemüse, aber meine innere Drama-Queen steht gerade mit Smokey Eyes und Paillettenkleid auf dem Balkon und schluchzt den Shutdown Blues ins Saxophon…
Mann, wie ich das normale Leben vermisse. Jetzt sind wir durchs Adaptieren durch, jetzt kommt das Aushalten. 

Manchmal sind es ja ganz einfache Dinge, die mir fehlen. 

Mein Optiker zum Beispiel hat zu. Da gehe ich sonst regelmäßig hin, um die Schrauben an den Bügeln meiner Brille festziehen zu lassen. Jetzt ist meine Brille so locker, dass sie mir eben beim Runtergucken einfach aus dem Gesicht gefallen ist, fast direkt in die in die Möhren-Kurkuma-Suppe. Gott sei Dank ist auf meine Reflexe Verlass. Blitzschnell habe ich sie aufgefangen. Leider hatte ich dabei noch den Kochlöffel in der Hand. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der besagten Suppe findet sich deshalb inzwischen auf den Wänden, den Fliesen, der Obstschale und meinem Gesicht wieder. 
Andere Leute bemalen Ostereier. 

Es geht schon den ganzen Tag so, es scheint so eine Art persönlicher Black Friday zu sein. Vorhin hatte sich eine Biene in die Küche verirrt. Als ich das Fenster öffnete, blies ein Luftzug mit bemerkenswerter Präzision die Zwiebelschalen in den Toaster. Die Biene fand den Weg nach draußen trotzdem nicht, dafür kam nach einer Weile eine zweite von draußen hereingeflogen, jetzt hängen sie zu zweit an der Scheibe ab.
Beim Versuch, ihnen mit einer Postkarte den Weg zu wedeln, ist mir die Zuckerdose umgefallen. Und beim Staubsaugen – ich machte gleich im Bad weiter, wo ich schon mal dabei war – geriet mir das lose Ende der Klopapierrolle in das Staubsaugerrohr, was in der einen Sekunde, die ich brauchte, um den Aus-Schalter zu drücken, ein erstaunliches Ausmaß an Chaos verursachte…

Ausgedacht? Nix davon. Alles so passiert. Und es ist noch nicht mal Mittag…

Ich glaube, ich werde versuchen, heute einfach nichts mehr anzufassen. Zumindest nichts Wichtiges. Ich setze mich einfach ein bißchen auf den Balkon und schaue meiner Clematis beim Wachsen zu. Auch eine Drama-Queen, übrigens. Ich hänge Dir mal ein Foto an.

Hab ein schönes Osterwochenende, lieber Horst,
Always look on the bright side of life! (Füdüt-füdüdüdüdüdüt)

Susanne

#29 Alfons

Lieber Horst,

Schrebern ist ein schönes Verb, das werde ich sofort in meinen Wortschatz aufnehmen, danke. Bei uns hat sich auch gerade ein neues Wort etabliert, das heißt Restern und meint das Zubereiten einer Mahlzeit aus den Resten von gestern.

Wenn ich mal nicht am Herd stehe, pflege ich den Austausch mit Freunden auf den diversen Kanälen, die einem dafür während der Kontaktsperre zur Verfügung stehen. Meine Freundin Andrea schrieb mir gestern Abend per Whatsapp:
„Jetzt sitze ich mit einem Glas Wein im Garten, während endlich die Kinder nicht mehr schreien. Diese Reduzierung der Betreuung treibt mich noch in den Wahnsinn. 
Was sollen nur die Leute sagen, die selbst Eltern sind.“ 

Alle Welt lauscht im Moment mit gespitzten Ohren, wann die Kitas wieder aufmachen und der Schulbetrieb wieder aufgenommen wird. Mein Sohn auch, in erster Linie, weil er sich aufrichtig darauf freut, endlich seine Freunde wiederzusehen. Das müsste jetzt nicht unbedingt in der Schule stattfinden, wenn es nach ihm geht, aber nun, das Leben ist kein Streichelzoo. 
Ja, auch ich freue mich darauf, wenn es langsam wieder losgeht. Das mit dem Homeschooling ist nichts für uns. Du solltest mal dabei sein, Horst, wenn das Kind und ich zusammen Spanisch lernen. Das ist wie eine sehr eigene Version von Der Blinde und die Taube. Nur ohne Happy End. 

Nun mögen weise Menschen nach bestem Wissen und Gewissen darüber entscheiden, wann der richtige Zeitpunkt dafür ist. 
Die Leopoldina, meinetwegen. Ich stolpere immer wieder kurz, wenn ich diesen Namen im Radio höre, ich finde, er klingt ein bißchen nach einer Hunderasse, also Berhardiner, Leopoldiner, … 
Der Hund der Freundin meines Sohnes ist ja eine Kreuzung aus Hovawart und Dackel. Ja, das kann man sich ruhig mal einen Moment vor dem inneren Auge zergehen lassen. Die Natur ist halt immer wieder für ein Abenteuer gut und wo ein Wille ist, ist auch ein Welpe. 
Als ich Alfi das erste Mal sah, war ich total beeindruckt von seinen goldbraunen Augen, die mich aufmerksam musterten, und seiner überhaupt sehr royalen Erscheinung. „Oha!“ dachte ich, „wenn der erstmal aufsteht!“  Aber er stand schon. 

Alfi heißt eigentlich Alfons. Er wird von seinen Menschen auch meist Alfons gerufen und hört wirklich sehr gut. Besonders rührend finde ich, dass er auch angelaufen kommt, wenn etwas so ähnlich klingt, wenn jemand in einem Gespräch I Phone sagt, zum Beispiel. 

Ich glaube, wir werden das umdrehen, und Telefone aller Art künftig Alfons nennen. Das finde ich nur gerecht. Und bei uns haben überhaupt viele Dinge einen eigenen Namen, wenn ich so drüber nachdenke.  
Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.
Ich gehe jetzt erstmal auf den Balkon, den Frieder gießen und ein bißchen Larry ernten fürs Restern. Es gibt Zipfelmützen mit Gehirngemüse und Wüstenmöhre. Lecker!

Viele Grüße aus der Krisenküche,

Susanne

#31 Wie ich mal nicht verschickt wurde

Lieber Horst,

hach ja, Urlaub, ein schönes Thema. Und so ein theoretisches, derzeit… 
Wie gerne würde ich jetzt am Lecko Mio in der Sonne liegen und ein Dolomiti essen, die Grillen zirpen, aus dem Radio dudelt Santa Maria. Die Sonne brennt und die scharfen Ränder der abgezogenen Fantadosen-Verschlüsse funkeln im Sand, während ich in der Tasche nach der Sonnencreme (LSF 2) krame, aber leider sind die Erfrischungsstäbchen wieder ausgelaufen…   

Neulich hörte ich jemanden sagen, dass die Achtziger jetzt vierzig Jahre her sind. Ich persönlich halte das für ein gemeines Gerücht. Ich meine, das macht doch gar keinen Sinn, vor allem, weil ja noch Siebziger waren, als ich in der Grundschule war.

Unterhielten wir uns damals über die Ferien, waren immer einige Kinder dabei, die verschickt wurden. Das war damals groß in Mode in West-Berlin. 
Als meine Eltern mal wieder einen Urlaub auf Balkonien planten (Balkonien, die kleine langweilige Schwester des Lecko Mio), fragten sie mich, ob ich nicht auch einmal verschickt werden wolle in den großen Ferien. Ich lehnte sofort und vehement ab. Ich fand die Vorstellung, in so einen Pappkarton zu steigen und einfach irgendwohin verschickt zu werden, einfach viel zu gruselig. Und von meiner Tante Biggi in Premnitz wußte ich schließlich, dass Pakete von uns gerne auch mal ganz verschwanden. Und nie wieder auftauchten. Und dann half einem auch Aktenzeichen XY nicht mehr.
Allein die Tatsache, dass meine Eltern überhaupt in Erwägung zogen, mich zu verschicken, fand ich damals zutiefst verstörend. Immerhin war mein Nein so vehement, dass sie nie wieder fragten.

O Mann, und jetzt werde ich wieder den ganzen Tag Santa Maria vor mich hinsingen, ich merke es schon, in meinem Kopf summt die ganze Zeit so ein leises Umnana-umnana-umnana-hua… Ich bin wirklich extrem anfällig für Ohrwürmer, das ist manchmal ziemlich anstrengend. 

Gestern war es I would do anything for love von Meat Loaf. Das kam mir in den Sinn, als ich im Bad vor dem Spiegel stand und mich schminkte, und ging dann den ganzen Tag nicht mehr weg. 
Erinnerst Du Dich an das Video? Das war so eine Die-Schöne-und-das-Biest-Inszenierung. Am Ende küsst die schöne Frau das Biest und Licht fällt ein und die Kamera zoomt ran und dann ist es – Meat Loaf. 

Heute ein wenig retro grüßen Dich

Susanne & der Braune Bär

#33 Ein bißchen Gaga

Lieber Horst,

als die Kinder noch klein waren, kamen sie manchmal an und jaulten mit Schippchen im Gesicht: „Mir ist lannngweilig…“ Während ich die Augen rollte und sofort überlegte, welcher sinnvollen Beschäftigung ich sie als Nächstes zuführen könnte, rief meine kluge Freundin Nina an dieser Stelle nur begeistert aus „Super, dann hast Du gleich eine tolle Idee!“ und schickte sie mit verheißungsvollem Zwinkern wieder in ihr Zimmer. Das funktionierte nicht nur, sondern hat auch meine Meinung über Langeweile als solche nachhaltig beeinflusst.
Ja, auch ich vermisse dieses gesunde Maß an Langeweile, freundlicher leichtsinniger Langeweile.  Aber für die Kultur sieht es ja nun wohl noch eine ganze Weile schlecht aus. Das einzige mit Kultur- sind bei mir zu Hause gerade die Champignons. 

Die Meinung Deiner Kassiererin teile ich voll und ganz. Man möchte so gerne mal wieder was verpassen. Ich zum Beispiel habe heute ganz bewußt meine Chance verpasst, Toilettenpapier zu kaufen. Es gab zwar welches, aber von der Marke „Origami“, das war mir einfach zu albern.

Ansonsten kompensiere ich die mangelnde Action oft in meinen Träumen, wie es scheint.
Letzte Nacht zum Beispiel war ich eine Art Superheldin, mit Cape und allem, ich sah toll aus! Als solche half ich alten Damen mit Gehbehinderung, ihren Zug zu finden. Elastigirl bei der Bahnhofsmission – Heldenträume einer Sozialarbeiterin. 
Aber auch Du tauchst manchmal auf, zuletzt als Barkeeper im Jurassic Park. Darüber können wir ja jetzt beide mal nachsinnen.

Die Psychologenvereinigung hat gestern darum gebeten, so erzählte mir meine Cousine, die völlig überlasteten Krisen-Hotlines mit Bedacht zu nutzen. Es sei völlig in Ordnung, in diesen Zeiten der sozialen Distanzierung mit Pflanzen und Gegenständen zu sprechen. Man solle erst anrufen, wenn sie antworten. 
Ich fand das sehr schlüssig und habe eine Weile gebraucht, um zu begreifen, dass es sich dabei um einen Witz handelt. Soweit ist es schon, Horst, man muss mir Witze erklären.

Apropos Witz, Donald Trump hat – (das mal ne Überleitung, oder?) –
Nein, im Ernst, Donald Trump hat ja nun der WHO das Geld eingefroren. Nun muss Lady Gaga ran. Eine Meldung, die wir vor wenigen Wochen vermutlich auch noch als Witz gewertet hätten. Das Online-Konzert „One World – Together at home“ jedenfalls beginnt heute Abend. Ob sie ein Cape trägt? Vielleicht schaue ich mal rein. 

Ich habe Dir ja schon von meiner ausgeprägten Neigung zu Ohrwürmern erzählt. Seit dieser Meldung singe ich natürlich unentwegt We are the World vor mich hin, diesen Achtziger-Jahre-Schinken, der heute Morgen allerdings jäh abgelöst wurde von Smells like Teen Spirit. Aber vielleicht lag das auch nur daran, dass ich am Wäschekorb vorbeigelaufen bin. 

Mit dem inbrünstigen Refrain dieses Meilensteins der Musikgeschichte, das mein gegenwärtiges geistiges Level auszudrücken vermag wie kein anderes, will ich also schließen, und sende ein fröhliches Hallo? Hallo? Hallo? nach Kreuzberg. 

Schwing den Cocktailshaker, Horst, klopf den Staub vom Cape und lass Dich nicht unterkriegen.

Liebe Grüße,
Susanne

#35 Leise rieselt der Putz

Lieber Horst,

Gestern rief mich eine Freundin an – man telefoniert ja wieder – und fragte, ob mir denn auch schon die Decke auf den Kopf fällt. 
Über diese Formulierung habe ich im Nachhinein tatsächlich noch eine Weile nachgedacht, und komme zu dem Schluss, dass sie meinen derzeitigen Zustand nicht wirklich gut beschreibt. Da fällt nichts mit Krawumms herab. Vielmehr rieselt leise und stet der Putz … Und das macht auf Dauer ganz schön nervös. 

Ab und zu mit lieben Menschen zu sprechen tut gut. Oder wer halt sonst gerade da ist. Apropos, mein Deckenfluter lässt Deine Schreibtischlampe herzlich grüßen, schön, dass sie Dich von Berlin überzeugt hat, lässt er ausrichten. (Ja, er ist ganz nett, aber ehrlich gesagt, taugt er nur bedingt als Gesprächspartner. Ist mehr so der zerstreute Typ, mit integriertem Diffusor, da kann er wahrscheinlich nicht anders).

Doch zurück zur Decke auf dem Kopf. Mit Redewendungen ist es ja so eine Sache. Ich mag diese bildhafte Sprache und nutze sie sehr gerne, aber nicht jeder versteht sie. 
Nehmen wir zum Beispiel meine Söhne. Bei Tisch erzählte einer der beiden neulich eine sehr anrührende Geschichte, da hielt ich kurz inne und sagte „Oh, mir wird das Herz ganz weit!“ …
Beide guckten mich daraufhin für einen Moment erschrocken an, sahen dann aber, dass es mir offenbar gut ging.  „Kennt Ihr den Ausdruck nicht?“ fragte ich erstaunt. „Nee“ sagten sie „Aber das klingt doch voll ungesund, nach Anabolikamissbrauch oder so.“
So hat halt jeder seine Assoziationen. 

Aber nun, auch mir ist das ja nicht fremd, dieses fatale Wörtlich-Nehmen, also zumindest im Kopf. Nehmen wir beispielsweise diese berüchtigte Reproduktionszahl, über die im Zusammenhang mit Corona immer wieder gerne gesprochen wird, und die im besten Fall unter 1 liegen sollte. Ein Wissenschaftler erklärte das im Inforadio heute mit den schönen Worten „Das bedeutet, dass ein Infizierter etwas weniger als einen Menschen ansteckt“. Da wird es mit den Bildern in meinem Kopf schon schwierig. Das ist wie mit den 1,6 Kindern pro Frau. Aber egal. 

Was sie im Radio jedenfalls noch gesagt haben, ist, dass Bruno Labbadia als neuer Hertha-Trainer vorerst „auf weite Teile seines Gehalts verzichtet“. 
Lieber Horst, ich sag´s jetzt mal wie es ist: wenn ich groß bin, will ich auch mal ein Gehalt haben, das man in „weiten Teilen“ bemessen kann. 

So, jetzt gehe ich erstmal einkaufen. Im Kühlschrank ist Ebbe, wir haben uns das Wochenende wieder schön gegessen. 
Ich war heute früh mal auf der Waage. Also – ich will hier keine Zahlen nennen, aber so langsam nähern wir uns den Frequenzbereichen gängiger Berliner Radiosender. 
Wenn also bei den Nachbarn unter uns auch langsam der Putz von der Decke rieselt, könnte das ganz verschiedene Gründe haben.

Irgendwo zwischen Schwer und Mut,
Galgen und Humor,
Kaffee und Gin 

grüßt Dich herzlich

Susanne 

#37 Sehnsucht nach Gewitter

Lieber Horst,

Das mit der persönlichen Wachstumskurve finde ich einen interessanten Ansatz. Toi toi toi! Und für den Fall, dass das alles nichts hilft, möchte ich Dir ein tröstliches Wort anbieten, das mir jüngst begegnete und das ich sehr lange nicht gehört hatte: das Wort „vollschlank“. 
Ich hatte auch als Kind mal eine Phase, in der ich etwas runder war. Da aber alle Erwachsenen immer davon sprachen, dass ich „voll schlank“ sei, dachte ich: Na, dann kann es so schlimm ja nicht sein. Frei nach Pippi Langstrumpf, ich mach mir die Welt wie sie mir gefällt. Und letzten Endes doch auch irgendwie eine frühe Form von Resilienz. 
Ich beschließe also ab heute, voll schlank zu sein. Wir treten ja eh meist im Schummerlicht auf, Horst, und auf der Straße können viele Leute uns gerade eh nicht so genau erkennen, weil über diesem elenden Mundschutz die Brillengläser immer so beschlagen. 
So hat doch alles auch sein Gutes. Man könnte weinen. 

Ansonsten bin ich heute eher auf Krawall gebürstet. Wohl dem, der nicht zu meinen Kontaktpersonen gehört. 
Ich kann das C-Wort einfach nicht mehr hören.
Von morgens bis abends auf allen Kanälen, nichts anderes. Und dieser ewig blaue Himmel provoziert mich langsam auch, strahlt da vor sich hin als ob nichts wäre. Von mir aus könnte es jetzt ruhig mal gewittern, so ein richtiges Donnerwetter, das fände ich einfach angemessen. Aber nix. Alles muss man selber machen. 

Ich bin nicht sonderlich stolz darauf, aber es ist nicht zuletzt das Thema Homeschooling, das mich zunehmend in den Wahnsinn treibt. 
Oder Hassaufgaben, wie es der Sohn einer Freundin inzwischen nennt. 
Mein Jüngster gehört ja zu denen, die nun doch noch planmäßig ihre MSA-Prüfungen ablegen sollen, was nach derzeitiger Lage wirklich schwer vollstellbar ist. Auch er ist also auf Krawall gebürstet – aber gut, er ist 16, da gehört sich das auch so.

In der Vergangenheit hat er sich oft darüber beklagt, dass die Themen des Lehrplans so gar keinen Bezug zum wirklichen Leben hätten und aktuelles politisches Geschehen viel zu selten diskutiert würde.  Das kriegt er jetzt gerade doppelt und dreifach zurück, denn – sämtliche Fächer werden mit Corona-Bezug präsentiert. 
Mathe? Darstellung der Corona Ausbreitung mit exponentiellen Graphen.
Geo? Landesspezifische Maßnahmen zur Ausbreitung der Corona-Pandemie. 
Deutsch: Politische Lyrik am Beispiel eines Corona-Songs. 
Ethik: Freiheit und Verantwortung in Zeiten von Corona. 

Hurra.

Das Thema, das er sich für seine MSA-Präsentationsprüfung ausgesucht hat, lautet übrigens „Anspruch und Wirklichkeit der schulischen Ausbildung in Deutschland“, hatte ich das schon erwähnt? So sucht sich halt jeder seinen Kanal. 
Als ich gestern etwas sorgenvoll zu ihm sagte „Hauptsache, Du schaffst den Abschluss irgendwie!“ antwortete er nur:
„Klar, mach Dir keine Sorgen. Notfalls mache ich halt so einen Job, wo ich den ganzen Tag Rezepte ausstelle. Dafür habe ich auf jeden Fall schon mal die richtige Handschrift.“ 

Manche sagen, den Humor hat er von mir. Ich weiß nur noch nicht so genau, wie ich das finde.

Liebe Grüße sendet Dir

Susanne 

PS: Wenn es noch einen Beleg braucht, dass die Welt aus den Fugen ist:
Das Oktoberfest ist abgesagt und der BER soll eröffnet werden! (*hysterisches Kichern*) 

#39 Ganz andere Sorgen

Lieber Horst,

Heute Morgen, ich gebe es zu, habe ich zunächst wieder ein wenig Trübsal in meinen Kaffee geblasen. Heute Abend hätte ich eine Lesung gehabt, auf die ich mich schon sehr lange gefreut hatte. Aber nu. Hätte, hätte, … was weiß ich. Infektionskette vielleicht.
Mittlerweile konnte ich die trüben Gedanken wieder etwas beiseite schieben. Alles ist relativ, sage ich mir, andere Leute hatten vielleicht noch viel weitreichendere Pläne, die sie nun verschieben müssen?

An der Bushaltestelle bei uns gegenüber hängt seit gestern ein Hochzeitskleid.
Das ist wirklich ein seltsamer Anblick. Es ist an einem Stock befestigt und frei schwebend im Wartehäuschen aufgehängt, dadurch sieht es wirklich ein wenig unheimlich aus, vielleicht hast Du Fluch der Karibik gesehen.
Die Haltestelle ist gerade stillgelegt, wegen der Straßenarbeiten. 
Es ist sozusagen ein stillgelegtes Hochzeitskleid an einer stillgelegten Haltestelle. Wenn es noch ein Symbolbild für den Shutdown braucht – voilà! 
Ein umsichtiger Anwohner, der es vermutlich nicht aushielt, dass da so ohne jede Erklärung einfach ein Kleid hängt, hat nun einen Zettel daran angebracht:
„Motiv des Besitzers unklar. Vor Benutzung vorsichtshalber waschen.“
Irgendwie nett. Aber irgendwie auch sehr Steglitz. Mal gucken, wie es weitergeht. 

Ich habe meinen Söhnen übrigens von dem jungen Mann mit der Fritteuse erzählt, beide kriegten sofort so einen Glanz in den Augen. „Stark“ meinte der eine ehrfürchtig. „Dann hat er alles“ befand auch der andere.
Meine Söhne sagen ja auch mal Sätze wie „Der Donut ist der coole Bruder vom Eierkuchen“. Sie probieren durchaus mal die Ingwer-Koriander-Suppe an Dinkelbaguette – aber irgendwas frittieren, das ist für sie der Olymp der Kochkunst. Sie würden auch Spargel frittieren. 
Wenn der junge Mann also irgendwann Mitbewohner sucht, hier wären zwei Anwärter. Eine zusätzliche Anschaffung würden sie dann vielleicht doch noch tätigen, haben sie sich gerade überlegt: eine Microwelle. Wegen des Popcorns. Und so schließt sich dann wieder der Kreis, Horst. Didi didi didi dit.  

Was sie bei einem Auszug auf jeden Fall auch mitnehmen würden, wäre die Spielkonsole.
Zurzeit spielen sie ein Spiel namens Animal Crossing, ein recht harmloses Real Time-Game, wie mir scheint, bei dem man als Dorfbewohner umherstreift, ab und zu einen Fisch fängt und Obst vom Baum schüttelt, um es im Laden von Tom Nook und seinen Neffen Nepp und Schlepp zu verkaufen. Es gibt Eugen, die Eule, und Thorsten, den Bären. Thorsten ist gut gebräunt und durchtrainiert, schenkt man ihm einen Fisch, kann es sein, dass er einem eine Klimmzugstange zurückschenkt. Ich glaube, Du hast ein Bild. 
Die PETA hat nun eine Art Tutorial veröffentlicht, wie man dieses Spiel vegan spielt. Keine Fische fangen, Muscheln am Strand liegen lassen, achtsamer Umgang mit Bäumen und Früchten. Hammer. Und ein weiteres Beispiel dafür, dass manche Menschen tatsächlich ganz andere Sorgen haben.
Sind Ego Shooter Spiele eigentlich vegan?

Ach, apropos vegan. Letztes Jahr wollte der Jüngste nicht mit zum Sommerfest in Opas Pflegeheim, Begründung: „Die tanzen bestimmt wieder Bolognaise.“
Mit diesem schönen Bild lasse ich Dich jetzt mal alleine.

Sonnige Grüße aus dem Wartehäuschen
von

Susanne

#41 Für Sie empfohlen

Lieber Horst,

heute muss ich mal einen schlimmen Verdacht äußern: Ich glaube, Amazon liest mit. 

Du kennst das sicher, dass immer wieder mal ungefragt Werbung aufploppt, wenn man im Internet unterwegs ist. 
Normalerweise bin ich wirklich sehr, sehr gut darin, diese zu ignorieren. Heute früh war ich wohl noch ein bißchen verschlafen und so blieb mein müder Blick dann doch aus Versehen hängen. 
Amazon empfiehlt mir demnach aktuell folgende Bücher:

  1. „Wie man Selbstdisziplin aufbaut, um Sport zu treiben“
  2. „Pubertät – wenn Erziehen nicht mehr geht“
  3. „Ratgeber narzisstische Persönlichkeitsstörung“

Zack, da isses. Mein Leben in drei Buchtiteln. In den nächsten Texten muss ich vielleicht mal unauffällig ein paar Schlagworte einbauen, die mein Profil wieder glattbügeln. Bikinifigur, Familienglück, Therapieerfolg. Ha! Nimm das, Amazon. 

Nach den letzten Texten ist wohl auch damit zu rechnen, dass wir Hochzeitsratgeber oder sowas empfohlen bekommen. Ich behalte das mal im Auge. 
Das Kleid hängt übrigens immer noch an der Bushaltestelle und weht ein wenig melancholisch in der Frühlingsbrise vor sich hin. Ich schaue nachher mal nach der Größe. Und Du kennst wirklich Frauen, die Größe S tragen? Unheimlich… 

Ich neige neuerdings dazu, Sachen zu tragen, die mir etwas zu groß sind, das ist total gut für die Psyche. Ich erinnere mich, dass Georgette Dee auf die Frage, warum sie immer mit dieser extrem langen Zigarettenspitze raucht, sinngemäß mal geantwortet hat: weil meine Hände dann zierlicher aussehen

Jetzt hab ich also überlegt, was man mit diesem Ansatz noch machen kann. Im Altbau wohne ich ja schon, die hohen Decken stehen mir sehr gut. Was meinst Du, ob es vorteilhaft wäre, von der Gitarre zum Bass zu wechseln? Für weitere Ideen bin ich offen. 

So, nun gehe ich mal in die Küche, das Abendessen vorbereiten. 
Auch ich vermisse im Corona-Alltag ja Dinge, von denen ich das nicht erwartet hätte. Fußball zum Beispiel! Kochen bei der Bundesligakonferenz vom Inforadio, ein festes Ritual. 
Aber die Berichte, die sie stattdessen bringen, sind mitunter auch ganz interessant. Auf der langen Liste der „Dinge, die ich nach Corona unbedingt mal machen will“ steht jetzt zum Beispiel auch „In Bremen mal einen Ahlenfelder bestellen und gucken, was passiert“. 
Ahlenfelder ist dieser Schiedsrichter, der bei einer Partie Hannover – Bremen so besoffen war, dass er schon nach 31 Minuten zur Halbzeit gepfiffen hat. Es heißt, man kriege heute noch ein Pils und einen Malteser, wenn man in Bremen einen Ahlenfelder ordert. 

Im Schrank liegt übrigens auch noch eine Tüte Chips der Geschmacksrichtung Stadionwurst. Hatten die Jungs mir vom Einkaufen mitgebracht, zum Trost. Womit wir jetzt nicht unbedingt bei der Bikinifigur, aber unbedingt beim Familienglück wären.

Fröhliche Grüße aus der Westkurve,

Susanne  

PS: Mein Ohrwurm des heutigen Tages ist The Lion sleeps tonight . 
Es gibt eine aktuelle Version von Roy Zimmerman:
In the White House, the mighty White House, the Liar tweets tonight …

#43 Aber machen se das Grüne raus

Lieber Horst,

ich gestehe, auch ich sage immer noch Kaiser´s zu manchem Rewe.  Auch Butter Lindner zu Lindner und Twix wird für mich immer Raider sein. Dabei habe ich früher immer mit den Augen gerollt, wenn meine Mutter stur Brenninkmeijer sagte, wenn doch von C&A die Rede war.
Aber gut, meine Oma hat schließlich auch immer Heinz zu meinem Vater gesagt und der heißt Horst. Und zu Heinz Herbert und zu Herbert dann meist Horst. Manchmal variierte sie auch. Sie hatte es aber auch wirklich nicht leicht mit den Namen ihrer drei Schwiegersöhne, und mit zunehmendem Alter ging sie dazu über, nicht mehr nachzudenken und einfach immer alle drei Namen zu rufen, also: Herbertheinzhorst. Funktionierte einwandfrei. Und ist mir vor allem im Zusammenhang mit einer Rüge in Erinnerung, wenn die drei bei einer eigentlich beschaulichen Kaffeetafel mal wieder lauthals über Politik stritten. Herbertheinzhorst hatte deshalb auch immer sowas von Alle in einen Sack, Du triffst immer den Richtigen.

Was ich aber eigentlich erzählen wollte – beim Stichwort Kaiser´s fiel mir eine Szene wieder ein, die ich dort dereinst an der Wursttheke beobachten durfte. Ein Highlight aus der Rubrik Nonsens in Supermarkt.
Eine alte Dame, die vor mir dran war, bestellte wörtlich:
„…Und dann noch 100 g Mortadella mit Pistazien, bitte, aber machen se das Grüne raus!“ 

Ist das nicht wunderbar?
Gespannt wartete ich damals auf die Reaktion des Verkäufers, doch der seufzte nur resigniert und tat wie ihm geheißen, offenbar kannte er das Spiel schon. In seinem Gesicht lag das milde Lächeln desjenigen, der einen Weg gefunden hat, sich mit mit etwas zu arrangieren, das ihn eigentlich in den Wahnsinn treibt. 

Apropos. Diese Masken!
Ich bemühe mich wirklich sehr um das besagte milde Lächeln, aber es ist gerade mal Ende April und mir wird jetzt schon warm unter dem Ding. 
Nun gut, vermutlich braucht es auch einfach ein bißchen Geduld und Gewöhnung, wir üben ja alle noch.
Auch die Pflege der Dinger will gelernt sein. Die Tante einer Freundin hat ihren Mundschutz gestern zum Desinfizieren in die Mikrowelle gelegt. Davon hatte ich auch schon mal gehört. Leider sind ihre Masken dann in der Mikrowelle in Flammen aufgegangen. Wir vermuten stark, dass es synthetische Masken waren, vielleicht solche mit einem eingenähten Metallbügel für die Nase. 
Metall in der Mikrowelle ist ja ähnlich gesund wie Desinfektionsmittel in der Spritze, aber das ist ein anderes Thema. 

Ich pflege derweil meine Rituale. 
Morgens gehe ich mit meinem Pott Kaffee auf den Balkon und bestaune erstmal die neuesten Kapriolen der Clematis. Die kennst Du ja auch schon.  Heute früh hat sie gerade den Sonnengruß geübt, das fand ich sehr berührend. Vielleicht probiere ich das auch mal irgendwann. 

Mit mildem Lächeln grüßt Dich, lieber Heinz,

Susanne

#45 Pasta Arrabiata

Lieber Horst,

Als Kellner muss man wohl so einiges abkönnen, solche lustigen Kunden wie Deinen Onkel gibt es ja überall. Meist dicht gefolgt von denen, die darauf bestehen, sehr wortreich und umständlich in der jeweiligen Landessprache des Restaurants zu bestellen. Da helfen der Bedienung nur heiteres Nicken und ein stabiles Lächeln. Zumal die Araber, zum Beispiel, die die Pizzeria bei uns um die Ecke betreiben, ja selber gar kein Italienisch können. Ich liebe es sehr, wie sie trotzdem konsequent Prego sagen, mit so einer Prise Neukölln, zu Stammkunden auch gerne mal Prego, Bruder.

Hach ja.
Mit Freunden treffen, im Getümmel sitzen, plauschen, ein Glas Wein trinken und die Welt begucken – das wird wohl noch ein Weilchen dauern, bis das wieder geht. 
Ersatzweise machen wir im Freundeskreis jetzt manchmal Zoom-Konferenzen. Wir besprechen vorher, was wir trinken, dann wird angestoßen und geplaudert. Ich bin noch etwas unsicher, wie ich das auf Dauer finde, es ist sowas zwischen tröstlich und traurig.  

Ohrwurm des Tages? Jetzt dachtest Du bestimmt, Azzurro – aber nein. Eigentlich wäre ja heute Tanz in den Mai angesagt, ich singe deshalb schon den ganzen Tag Dancing with myself vor mich hin. Das kriegst Du jetzt bestimmt auch nicht mehr aus dem Kopf. Prego.
Jedenfalls habe ich soeben die Einladung eines Freundes erhalten: Zum Dis-Tanz. Online. Ich bin sehr gespannt, Bericht folgt.

Apropos, wie siehst Du denn dem 1. Mai entgegen? Die Polizei hat erklärt, dass die Hygieneschutzbestimmungen diesmal im Vordergrund stehen sollen. Ich kann mir das noch nicht so richtig vorstellen. Vor meinem inneren Auge sehe ich verstörte Demonstranten Steine desinfizieren.  Aber im Ernst, nie war das Vermummen so uncool wie in diesem Jahr, oder?

Leider habe ich das Gefühl, dass insgesamt eine gewisse Gereiztheit über der Stadt liegt.  Sagen wir so – vorhin im Park gab es einen Moment, da war ich mir nicht sicher, ob die Leute die Enten wirklich füttern. Oder die Enten mit Brot bewerfen. 

So, jetzt schnappe ich mir mal meine Mund-Nasen-Maske vom Schlüsselbrett und sehe nach, wie die Stimmung im Supermarkt heute ist. Ich drücke mich schon die ganze Zeit. Nicht wegen der Gereiztheit, vielmehr wegen meiner beachtlichen Knoblauchfahne. 
Tja, so sind wir dieser Tage wohl alle auf die eine oder andere Art auf uns zurückgeworfen.

Aus sicherer Entfernung grüßt Dich

Susanne

PS: Neulich gab es Küchenrolle im Retrodesign. Bei dem Slogan Dick& Durstig fühlte ich mich spontan sehr angesprochen. Deshalb hab ich es auch nicht gekauft.