#47 Im Schatten des Basilikum

Lieber Horst, 

Beim Stichwort 31. April ist mir plötzlich ein ganzes Päckchen Erinnerungen aus dem Gedächtnis gepurzelt…

Die frühen Neunziger, ich wohnte damals in meiner ersten eigenen Wohnung und hatte es geschafft, diese in einem ansonsten wirklich formvollendeten Schreiben „zum 31. April“ zu kündigen. Der Hausbesitzer, ein Lankwitzer Blockwart mit Polyesterpulli und beigefarbener Schiebermütze, der noch dazu im Nebenhaus wohnte, hat dann extra bis zum Monatsersten gewartet, mich dann auf den Fehler aufmerksam gemacht – und mir mit süffisantem Lächeln erklärt, dass er in Ermangelung eines 31. April auch mein Schreiben als nicht existent betrachte. Meine Kündigungsfrist verlängerte sich so um einen Monat. 
Das war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Mit dem Mieterschutzverein. Aber nun – letztlich war es auch ein stimmiger Abschluss für ein ziemlich schräges Kapitel.
Nur ein Jahr hatte ich es dort ausgehalten und immerhin so einiges gelernt. Dass es Leute gibt, die den Rasen vor ihrem Fenster mit einer Nagelschere schneiden, zum Beispiel. Oder dass es Mietverträge gibt, in denen man zur „ortsüblichen Bepflanzung des Balkons (Geranien)“ verpflichtet wird.
Ich hatte dann neben den Geranien auch einen Basilikumtopf eingepflanzt. Im Treppenhaus sprach man hinter vorgehaltener Hand fortan nur noch über die „Kräuterhexe aus dem 3. Stock“…

Hach ja. Dabei war ich zu der Zeit eigentlich so menschenfreundlich drauf, gerade erst von einem halben Jahr auf Amrum zurückgekehrt und bester Dinge. 
Meine Amrumer Freunde – echte Insulaner, für die Föhr die große weite Welt war, weil es dort eine Ampel gab – riefen mich in den folgenden Jahren dann übrigens immer am 1. Mai an. Wenn ich ans Telefon ging, hörte ich aufgeregte Sätze wie „Ach, Gott sei Dank, Deern, bist du in Sicherheit? Brauchst du Hilfe?“, dann hatten sie im Fernsehen wieder Bilder vom 1. Mai in Kreuzberg gesehen. Das hat mich wirklich sehr gerührt. 

So, Schluss jetzt mit sentimentalen Erinnerungen.
Die Musik ist aus, nun gucke ich mal nach, wie es in der Küche aussieht. In einer pfiffigen Sekunde habe ich den Kindern nämlich erlaubt, ihre Wunschmusik volle Pulle aufzudrehen – solange sie sich währenddessen in der Küche nützlich machen.
Fröhliche Sätze wie „Darf ich den Geschirrspüler jetzt ausräumen?“ sind seither an der Tagesordnung. Ich liebe es. Und ihre ganz eigene Art, das Geschirr einzuräumen, sorgt obendrein für Abwechslung und Nervenkitzel.

Was will ich denn mehr? 

Heitere Grüße durch die verhagelte Stadt sendet Dir

Susanne

PS: Ich habe endlich eine Maske gefunden, die zu mir passt. Mehr morgen!

#49 Die Husche

Lieber Horst,

was schwebt Dir vor, so ein klassischer Jutesack oder mehr was Modernes? 
In beidem sehe ich sehr gut aus, ich habe es gerade mal ausprobiert, das kaschiert auch ungemein.  

Ich bin in puncto Begrüßung jedenfalls für Lösungsvorschläge aller Art offen. 
Wenn ich derzeit gute Freunde auf der Straße oder im Park treffe, ist es immer die gleiche traurige Szene:  ich laufe freudig auf sie zu – und erstarre dann mit ausgebreiteten Armen mitten in der Bewegung. So stehe ich dann erstmal da, in visueller Umarmung quasi. „Das sieht immer aus, als würdest Du gerade zur Pirouette ansetzen“, sagt mein Sohn, „wie zur Salzstange erstarrt.“ 

Mit Redewendungen haben wir manchmal so unsere Schwierigkeiten. Aber auch mit diesem Bild konnte ich was anfangen. 

Heute früh hatte ich mit Blick in den Himmel gesagt: „Oh, ich glaube da kommt eine Husche!“
Er schaute darauf sehr skeptisch und folgte fragend meinem Blick. 
„Na… ein kurzer Regenschauer“ ergänzte ich deshalb, „eine Husche eben!“ 
„Ach so, ich hab jetzt nach irgendeinem Insekt geguckt!“ Auch eine schöne Idee. Eine Husche eben. Wir befanden dann, dass es auch ein guter Codename für die wirre Nachbarin von schräg gegenüber wäre, die wir manchmal beim Einkaufen treffen. 

Ich höre mich im Moment aber manchmal auch wirklich seltsame Sachen sagen.  
Dass es zieht, zum Beispiel. Kannst Du Dich erinnern, dass es in unseren jungen Jahren jemals gezogen hätte?! Zugluft, das war doch was für alte Leute. Ich habe das Nina mal erzählt, als wir neulich telefonierten.  „Ich weiß genau, was du meinst“ meinte sie. „Ich habe vorhin das Radio angemacht und dabei laut gesagt: Ich habe jetzt Lust auf was Flottes!“ 
Es ist immer wieder das Ridiculus-Prinzip, das uns rettet: Gemeinsam darüber zu lachen macht, dass das schlechte Gefühl verpufft. 

Was sonst so los ist? Nicht viel. 

Ich gehe immer wieder mal raus, am Flieder riechen. Ähnlich wie andere Leute eine rauchen gehen. Kette riechen, quasi. Ich liebe diesen Duft. 

Und so oft ich kann, gehe ich spazieren. Alle gehen spazieren. Lili sagt, der Hund ist schon ganz fertig, weil alle ständig mit ihm spazieren gehen. 

Mein Handy ist jetzt unter die Verschwörungstheoretiker gegangen. Wenn ich Vermummung schreibe, will es immer Verdummung daraus machen. 
Apropos, ich hatte doch erzählt, dass ich jetzt meine Lieblingsmaske gefunden habe. Ein Foto hänge ich an. 

Ach und guck, immerhin schon Text #49 heute, Horst. Kurz vor 50, wie im wirklichen Leben. Da darf man doch schon mal reden wie ne Alte?

Mit einem liebevollen Kniff in die Wange – zumal aus sicherer Entfernung –
grüßt Dich

Susanne

PS:  Ohrwurm des Tages: I´m on the Highway to Health!

#51 DJ Housearrest legt auf

Lieber Horst,

den Fünfzigsten begehen am 05.05. – wer hat das schon? 
Ich finde auch, wir haben uns ganz gut gehalten. Und nach Deinem gestrigen Brief hing mir dann doch tatsächlich ein kleiner Tropfen im Augenwinkel. Aber vielleicht war das auch der Regen. Ja, genau, so wird es gewesen sein, es hat ja viel geregnet gestern. Gehagelt sogar.

Kaum ist der Mai da, schon kommt das Aprilwetter, oder? Ich kann das ja gut haben. Wenigstens was los am Himmel, wo doch sonst alles so gebremst ist derzeit. Denn bei allem Tröstlichen des Frühlings – dieses andauernde Blau scheint mir angesichts der Sorgen der Welt manchmal auch ein bißchen übertrieben. Ein ehrlicher Regen zwischendurch ist wohltuend.
Und wenn es dann vielleicht doch mal eine Träne ist – die vermutlich auch…

Am allerliebsten würde ich mir ja den Himmel gerade vom Ostseestrand aus begucken. Den bräsigen Kopf ein bißchen durchpusten lassen und aufs Meer starren. 

Ich erinnere mich an meinen letzten Ostseetrip, Anfang letzten Jahres. Das war im Winter, absolut außerhalb jeder Saison. Deshalb hatte ich auch nicht die Bohne damit gerechnet, dass dort ausgerechnet an dem Wochenende eine große Feier angesagt war. 
Die Fressmeile erstreckte sich den gesamten Strand entlang, bis zum Leuchtturm. Aus der ganzen Region waren Menschen angereist, die nun hackedicht zur Schlagermusik johlten, welche aus den diversen Boxen schepperte. Ich erinnere mich unter anderem an den fröhlichen Refrain „Geh ma Bier hol´n, du wirst schon wieder hässlich“.  
Dass ich an der Ostsee war, merkte ich in erster Linie daran, dass auf den Wurstbuden Möwen saßen statt Tauben. 

Einige Schreckstunden und diverse Fluchtgedanken später hatte ich dann beschlossen, mir die Laune nicht vermiesen zu lassen, meinen Erholungsbedarf wegzuatmen und einfach mitzufeiern. 

Am Abend gab es eine große Party im Zelt am Strand, „DJ Housearrest“ legte auf (der hieß wirklich so) und gab alles, um ein bißchen Stimmung zu machen. Es gab die üblichen Fragen an die Menge „Hände hooooch, wer ein echter Rostocker ist!“ und so weiter. Nur bei „Hände hoch, wer nicht aus Deutschland ist!“, traute sich niemand, sich zu melden. Danach spielte er unter viel Beifall „einen Protestsong gegen das Nichtraucherschutzgesetz“. Ein Smokie Medley. Ich wollte mir was zu trinken holen, ich erinnere mich, auf den handgeschriebenen Preislisten standen Bier, Weinschorle, Caipirinha, Sex on the Beach und AFG zur Auswahl. 
AFG kannte ich noch nicht, das klang interessant, ich fragte die Frau am Tresen, was genau das sei. Sie guckte wie ein Schaf. 
„Na, alkoholfreie Getränke“ sagte sie dann, „AFG halt.“ Später merkte ich, dass sie immer guckte wie ein Schaf, aber in diesem Moment fühlte ich mich halt einfach sehr gemeint. Und darüber kann man schon auch mal einen Moment nachdenken. Ich meine, andere müssen womöglich fragen, was sich hinter den Namen der Cocktails verbirgt, das einzige, was ich nicht kenne, sind die alkoholfreien Getränke.

Um es kurz zu machen, ich bestellte daraufhin alles außer AFG, in unterschiedlicher Reihenfolge, trank mir die Musik schön und hatte eine sehr lustige Party. Ich erinnere mich verschwommen, dass ich irgendwann lauthals „Ich will zurück nach Westerland“ mitsang, was für Warnemünde bei näherer Betrachtung doch ein recht seltsames Lied ist.

Am nächsten Morgen, als ich den Frühstücksraum der kleinen Pension betrat, in der ich untergekommen war, hörte ich die eine Angestellte zur anderen bei meinem Anblick raunen: „Oha, da kommt ein doppelter Espresso.“ Das fand ich sehr schön.

Mein Bruder und seine Freundin gehen beim Mexikaner immer Cocktails trinken. Wenn sie da zur Tür reinkommen, ruft der Barmann schon von Weitem: „Zwei Zombies!“
Das muss man ja auch erstmal aushalten können. 

Au weia, jetzt habe ich mich ja heute ganz schön verplaudert.
Aber so ist das halt im Leben. Wenn nix mehr geht, zehrt man von den Erinnerungen. 

Mit einer frischen Ostseebrise aus Südwest grüßt Dich
ganz herzlich

Susanne  

PS: Wäre mein heutiger Gemütszustand ein Obst, es wäre ein Erdbeer-Daiquiri.

#53 Cheese!

Lieber Horst,

Stadionbesuch ohne Fußball finde ich eine geniale Idee. Man könnte sich auf das Wesentliche konzentrieren und auch der Rasen käme mal ein bißchen zur Ruhe. Aber uns fragt ja wieder keiner.
Um den Mangel an Publikum zu kompensieren wurde ja inzwischen sogar eine App entwickelt, mit der die Leute von zu Hause aus Stimmung machen sollen. Es gibt vier Buttons: Jubel, Klatschen, Singen, Pfeifen, die dann entsprechend ins Stadion übertragen werden. Für die Berliner Edition soll es zusätzlich noch die Funktionen BengalosSchiri beschimpfen und Senf an die Jacke vom Nachbarn schmieren geben. Okay, das habe ich mir jetzt ausgedacht, aber der Rest stimmt wirklich. In manchen Stadions soll man sogar einen Sitzplatz und so eine Art Pappfigur mit dem eigenen Gesicht drauf mieten können. Ich glaube, dann wird es wirklich spooky. 

Weil ja heute Tag der Befreiung und deshalb Feiertag ist, gibt es endlich mal wieder andere Gesprächsthemen bei Tisch und im Radio. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich mit meinen Söhnen mal einen so spannenden und ausführlichen Austausch über die Familiengeschichten aus dem Zweiten Weltkrieg hatte.
„Das waren ja heute mal richtig unterflächliche Gespräche“ sagte der eine beim Tischabräumen. Das trifft es ziemlich gut.

Und nicht nur bei meinen Kindern scheint der Feiertag gut anzukommen. Beim Spazierengehen vorhin schnappte ich in einem Gespräch zwischen zwei Teenagern den schönen Satz auf „Warum ist das nicht immer ein Feiertag, Mann? Ich meine, ist doch viel wichtiger, so ein Kriegsende, als dass Jesus vor Ewigkeiten mal irgendwelche Eier versteckt hat.“
Zugegeben, da kriegt der geneigte Protestant ein bißchen Schnappatmung. Aber diesen Gedankengang fand ich schon auch bemerkenswert. 

Auch bemerkenswert ist, dass unser Junior gerade seine Begeisterung für die klassische Fotografie entdeckt. Wir haben einiges an alten Kameras und Objektiven, die er nun durchprobiert, und ab und zu muss ich als Motiv herhalten, wenn er was ausprobieren will. 
Früher haben wir für das Lächeln auf dem Klassenfoto immer Cheese gesagt, in den letzten Jahren hat sich ja mehr und mehr Ameisenscheiße durchgesetzt.
Auch mein Sohn hat beim Fotos machen vorhin versucht, mich zum Lächeln zu bringen: „Okay“ sagte er, „jetzt denk mal an Döner!“
Hat geklappt.

Mit Salat alles  
grüßt Dich

Susanne 

#55 Was dich nicht glücklich macht

Lieber Horst,

ein guter Freund hat mir Anfang des Jahres eine Postkarte geschickt mit dem Spruch darauf: 
„Was dich nicht glücklich macht, kann weg!“ 
Ich habe sie an den Kühlschrank gebappt, weil mir der Ansatz gut gefiel, und heute gerade wieder drüber nachgedacht.

Corona könnte dann jetzt weg, Horst. 

Die aktuellen Lockerungen stimmen mich zwar verhalten fröhlich – aber verhalten überwiegt. Die Skepsis bleibt unsere stete Begleiterin, der Übermut hat Pause.
Jetzt patrouillieren auch hier am Kanalweg Polizeiautos, das hattest Du auch schon mal beobachtet, wie dann die Massen immer ganz eng zusammenrücken, um sie durchzulassen. Und beim Einkaufen neulich hat einer seine Maske kurz abgenommen, weil er niesen musste. Danach hat er sie wieder aufgesetzt. 
Bei solchen Szenen gehen mir immer so ungeduldige Comiclaute durch den Kopf (Gnggnggng!) und ich würde mir gerne mit der Hand vor die Stirn schlagen, aber ins Gesicht fassen darf man sich ja gerade nicht. 
Möglicherweise bin ich selbst ja auch keine Heilige, was Hygienevorschriften anbelangt – aber immerhin konsequent genug, um mir hier jetzt nicht in aller Öffentlichkeit an die eigene Nase zu fassen.
Ha!

Momentan reden ja gerade alle über diese vermaledeite 50. Versteh mich nicht falsch, ich habe das mit den Neuinfektionen pro Einwohner von der wissenschaftlichen Dimension her schon genau verstanden. Und dennoch zuckt etwas in mir jedesmal ganz unwissenschaftlich zusammen, wenn von 50 als Obergrenze gesprochen wird.
Ich gehe immerhin auf die Fünfzig zu, wie man es gemeinhin ausdrückt. Wobei ich diese Formulierung bei näherer Betrachtung auch nicht wirklich stimmig finde. Ich gehe nämlich überhaupt nicht auf die Fünfzig zu, die blöde Kuh kommt mir entgegen! Aber das ist ein anderes Thema.

Älterwerden. Älterwerden kann auch weg. 

Bei Deiner wirklich sehr berührenden Geschichte vom Herrn Major ist mir gleich meine Tante Gisela eingefallen. Tante Gisela hatte auch Schwierigkeiten mit dem Älterwerden und irgendwann offenbar beschlossen, bestimmte Veränderungen an sich einfach nicht mehr wahrzunehmen. Noch in ihren späten Achtzigern, als sie schon sehr lange komplett schneeweißes Haar hatte, war sie der Meinung, ihr „Blondton“ sei „eine Nuance heller geworden“. Damit kokettierte sie immer ein bißchen. „Andere müssen ja färben in meinem Alter, aber ich…“ sagte sie dann stolz. Ich glaube, auch das ist Resilienz. Nie hätten wir ihr widersprochen.

Meine Tante Gisela war die Schwester meiner Mutter, an die ich heute natürlich auch schon gedacht habe: Es ist Muttertag! 
Oh, was hat sie nicht alles mitgemacht… Selbstgemalte Bilder, getöpferte Aschenbecher (sie rauchte gar nicht), Gutscheine für Hilfe im Haushalt, die wir nie einlösten… Die Krönung war sicher, dass wir ihr in einem Jahr mal ein Waffeleisen schenkten. Wir fanden das eine tolle Idee, wir aßen sehr gerne Waffeln.

Auch aufgrund dieser etwas deprimierenden Erinnerungen wird der Muttertag in meiner Familie heute nicht wirklich begangen. Bei uns ist es ohnehin eher … – sagen wir so, als der Mann mal Basilikum eingekauft hatte, fragte der Kleine „Oh, hast du Mama wieder Blumen mitgebracht?“ 
Aber die Rose auf dem Balkon ist über Nacht von ganz allein aufgeblüht, der Mann hat Kaffee gemacht , die Kinder haben ganz entspannt den Frühstückstisch gedeckt und etwas in der Art von „Herzlichen Glückwunsch zu Deinen wohlgeratenen Kindern!“ gesagt. Das war wirklich sehr schön.
Zum Dank gehe ich vielleicht glatt mal gucken, ob ich das alte Waffeleisen finde. 

In diesem Sinne heute auch mal
glückliche Grüße von

Susanne

#57 Ich bin nicht wütend

Lieber Horst,

der Mann hat aus Schweden Lupinen mitgebracht. Jetzt wo der Flieder langsam verblüht ist, sind sie meine tägliche Freude, besonders wenn die Regentropfen sich darin fangen, sieht das spektakulär aus. 
Heute früh als ich gerade ein Foto davon machte, betrachtete mein Sohn die Blätter. „Hm. Sieht ein bißchen aus wie Hanf für Arme“ sagte er. 
Ich fürchte, er hat recht. Wie so oft.
Er sagt ja auch Sätze wie „Karl Lauterbach klingt ein bißchen wie Max Raabe in deprimiert“. Denk da mal kurz drüber nach… Ist was dran, oder? Das kriegt man nicht so leicht wieder aus dem Kopf, Horst, aber ich verspreche Dir, es steigert den Unterhaltungswert der Tagesschau enorm.

Auch mein anderer Sohn hatte schon früh einen sehr eigenen Blick für die Dinge.
Ich glaube, er war vier als wir ihm den Helmut Newton Fotoband wegnahmen und er sagte „Ach schade, ich wollte doch nur mal wieder mein Lieblingsfoto angucken.“
Im Museum hingegen blieb er schon mal ein paar Minuten gebannt vor dem Feuerlöscher stehen, im Zoo freute er sich an den Spatzen während hinter ihm die Giraffen flanierten. Und während andere Kinder Benjamin Blümchen hörten, lief bei uns Malediva rauf und runter. 

Kennst Du Malediva? Ein begnadetes Kabarettduo, dereinst, von dem bei uns zu Hause noch heute öfter die Rede ist, weil bestimmte Zitate von den CDs über die Jahre zu geflügelten Worten geworden sind. Rund um Weihnachten zum Beispiel singen wir gerne mal Lieder wie  Die dicken Mädchen sind nie die Maria, was aber vor allem geblieben ist, und zwar ganzjährig, das ist der Begriff der Muttihölle.

Die Muttihölle, so erzählen es Malediva, ist jenes emotionale Desaster, in das alle auch die noch so Erwachsenen geraten, wenn sie ihre Eltern enttäuschen.

Es ist der Moment, wo die Mutter sagt „Ich bin nicht wütend, ich bin nur enttäuscht…“ 
Ich glaube, fast alle kennen diese Muttihölle. Alle außer meinen Kindern. Sie haben das dank der Malediva-CD schon als Kleinkinder durchschaut. 
Wenn es denn doch mal vorkommt, dass ich auf irgendwas ein wenig verschnupft reagiere, aber meinen Ärger nicht offen äußere, wenn ich also so Dinge sage wie „Nee nee, lass, ist schon ok…“ – dann gucken sie sich nur an und sagen im Chor „Ich bin nicht wütend, ich bin nur enttäuscht!“  
Meist lachen wir dann alle einmal herzlich und können das Thema danach etwas entspannter weiterbereden.  Frei nach Professor Lupin: Ridiculus!
Manchmal funktioniert das auch im Alltag.

Warum ich gerade über all das nachdenke? 
Meine Nachrichten-App ploppte gestern auf und vermeldete: „Merkel enttäuscht von den Deutschen.“
Muttihölle, schoss es mir da durch den Kopf. 
Aber nur ganz kurz. 

Liebe Grüße,

Susanne & die Eisheiligen

PS: Cooler Bandname, eigentlich?  

#59 …und es hat Zoom gemacht

Lieber Horst,

14. Mai – der Namenstag der Heiligen Corona. 
Was es nicht alles gibt.
Man erbittet von ihr traditionell „Beistand und Schutz bei Hagel und Viehseuchen“, habe ich gerade gelesen, das klingt ja erstmal nicht verkehrt, da kann man seinen Aluhut ja mal in den Ring werfen.

Nach Deinem gestrigen Brief habe ich noch den ganzen Tag Malediva vor mich hingeträllert, hach, das war schön. Also für mich war das schön, für meine Familie, naja.  Und dieser wirklich zauberhafte Reim, an den Du Dich noch erinnern konntest, hat mir dann wiederum ins Gedächtnis gerufen, wie der Mann und ich vor ein paar Wochen mal auf dem Balkon gesessen und gedichtet haben. Ich weiß auch nicht, was da los war. Jedenfalls – an leisen Abenden mit leeren Straßen, wie wir sie nun öfter haben, kann man manchmal in der Ferne die S-Bahn hören. Eines Nachts hupte diese aus unerfindlichen Gründen, da haben wir uns so unsere Gedanken gemacht. Heraus kam dabei (Achtung, räusper)

Am Bahndamm sitzen Rassekröten
Und hören nicht die krassen Tröten 
Weshalb sie jetzt die Trasse röten.

Großes Kino, oder? Ich gestehe, es war Gin im Spiel. 

Doch zu etwas völlig anderem.
Mein Ohrwurm des heutigen Tages ist zur Abwechslung mal von Klaus Lage:  „…und es hat Zoom gemacht!“
Zoom
, Horst.
Diese unumschiffbare Geißel der Homeoffice-Debütanten.
Alle zoomen.
Heute Abend habe auch ich wieder eine Zoom-Konferenz, hurra.

Von Vorteil ist immerhin, dass der Bildausschnitt der Videos in der Regel nicht viel mehr zeigt als Kopf und Oberkörper des Teilnehmenden. Das ist mir in Anbetracht der bereits besungenen Folgen des Bewegungsmangels sehr angenehm und ermöglicht businessmäßiges Auftreten trotz Homealone-Hose.  
(Als ich mich vor einigen Jahren mal für ein Vorstellungsgespräch aufgebrezelt hatte und kritisch in den Spiegel schaute, sagte mein Sohn: „Mach Dir keine Sorgen, Mum, Du siehst voll aus wie ne Professionelle!“ … Aber das ist eine andere Geschichte.)

Immer wieder interessant ist ja auch der Einblick, den man beim Zoomen in die Alltagsumgebung des einen und der anderen bekommt. Dieses kleine bißchen Hintergrund, das lenkt mich immer total ab. Welche Bücher hat wer im Bücherregal, ist das ein Plattenspieler dort hinten, was steht da für ein Spruch auf dem Kaffeebecher?
Fabienne sagt, sie legt jetzt immer wie zufällig eine Yogamatte in den Hintergrund, wenn sie zoomt. „Dann denken die Leute: Was ne coole Socke.  Wer ne Yogamatte hat, denken die dann – der hat auch ne Obstschale!“
Ich glaube, von Fabienne kann ich noch eine Menge lernen. 

Ach ja, und André hatte neulich eine riesige Blumenvase direkt neben sich auf dem Tisch stehen, als wir privat miteinander zoomten, das fand ich etwas seltsam. Das sei noch das Überbleibsel aus der letzten Video-Konferenz mit seiner Chefin, sagte er etwas zerknirscht. Der Vorabend sei ihm etwas entglitten, und er war um 8 Uhr morgens noch im Niemandsland zwischen noch hackedicht und schon schlimm verkatert, konnte diesen sehr wichtigen Gesprächstermin aber auf gar keinen Fall absagen. 
Die Blumenvase war seine Absicherung für den Fall, dass er sich spontan hätte übergeben müssen. 

Womit wieder bewiesen wäre, dass auch hinter den profanen Dingen zuweilen die erstaunlichsten Geschichten lauern. 

Und Du so, Horst? Welche Geschichten lauern in Deinem Hintergrund? 

Neugierige Grüße von

Susanne

#61 Im Angesicht der Outdoor-Socke

Lieber Horst,

Das mit der Funktionskleidung …
Ich fange mal anders an. 

Ich mag es nicht, wenn mich schon früh am Morgen jemand zutextet. Manchmal quatscht einen ja schon der Teebeutel zu, mit so seichten Lebensweisheiten in weißer Schrift auf rotem Grund. Und dann ziehst Du Deine Socken an und wenn Du Pech hast, dann sind es Funktionssocken, die sagen nämlich Bescheid, wo rechts und links ist. R und L. Klugscheißersocken! Ich gebe zu, manchmal regt mich das so auf, dass ich sie absichtlich falsch rum anziehe. 
Nur um es ihnen zu zeigen. Weil ich´s kann!

Ich bin nicht so der Morgenmensch…

Der große Bruder von Funktions- ist ja Outdoor
Und was nicht alles Outdoor ist, inzwischen. Ich habe im Onlineversand kürzlich sogar die Kategorie „Outdoor-Regenschirme“ entdeckt. Ich meine – wo benutzt Du Deinen Regenschirm? Und was kommt als Nächstes? Der Outdoor-Geländewagen? Der Outdoor-Baum?

Wenn man übrigens „Outdoor Aluhut“ in die Produktsuche eingibt, wird auch eine beträchtliche Zahl von Angeboten angezeigt.
Der Verschwörungsmarkt boomt. Die Welt ist gestern zwar wieder mal nicht untergegangen und bisher habe ich auch keine Reptiloiden in den Straßen entdeckt – aber die Nachfrage scheint weiterhin enorm. 

Und deshalb – verzeih, Horst, ich komme einfach nicht umhin, diese Frage zu stellen: 
Ist der Aluhut das neue Klopapier? 

Mir scheint das mal ein passender Verwendungszweck. 

Warst Du denn heut schon outdoor?
Oder bist Du gar eingekehrt?
Hier machen gerade nach und nach die Restaurants wieder auf. Es liegt noch eine gewisse Behutsamkeit über allem, das scheint alles ganz gut zu funktionieren. Es ist rührend die Menschen zu beobachten, wie sie das erste Pils im sonnigen Biergarten achtsam an die lächelnden Lippen führen.

Ich hatte meine Hoffnung in meine frühere Lieblingskneipe eine Straße weiter gesetzt. Nachdem das alte Wirts-Ehepaar aufgehört hatte, wechseln da ständig die nicht sehr freundlichen Gesichter und alle paar Monate heißt der Laden anders. Deshalb hatte ich mich gefreut, als ich den handgeschriebenen Zettel an der Tür gelesen habe:
„Und endlich schön!! Nähere Infos unter 0176 …“
Das klang vielversprechend und sympathisch. Nun war ich gestern mal gucken, das Biergartenwetter lockte auch mich.
Die Tür war auf. Es ist ein Hair & Beauty Salon. Der Name ist „Und endlich schön“.
Ich versuche, es mit Fasson zu tragen.

Bleib behütet und sei ganz herzlich gegrüßt von

Susanne

PS: Mir wird tatsächlich gerade Werbung für Funktionsunterwäsche eingeblendet. Unterwäsche, die funktioniert, sah ja früher auch mal anders aus.

#63 Ein Termin, ein Termin!

Lieber Horst,

gerade habe ich einen Zahnarzttermin gemacht. 
Für die ganze Familie, ich war gerade so in Schwung. 
Und ich habe bemerkt, wie gut es sich angefühlt hat, mal wieder etwas Verbindliches und halbwegs Sinnvolles in den Kalender einzutragen. Soweit ist es jetzt schon – ich mache Zahnarzttermine, um mich eines letzten Fünkchens Normalität zu vergewissern.  

Vielleicht werde ich an dem Tag sogar etwas früher hingehen, es ist ein sehr gemütliches Wartezimmer mit ansprechender Literatur, das Mineralwasser ist vorzüglich und das Behandlungszimmer gut isoliert, so dass man weder von Bohrgeräuschen noch von Schmerzensschreien belästigt wird, während man in Cartoonbänden schmökert, die Namen tragen wie „Im Land des Lächelns“, was ich für eine Zahnarztpraxis nun wirklich sehr passend  finde. 
Auch beim Friseur habe ich einen Termin bekommen, schon im Juni. Dort liegt immer „Zehn kleine Zappelfinger“ aus, fällt mir dabei ein, was ich persönlich für einen eher ungünstigen Titel halte bei jemandem, der mit einer Schere in Gesichtsnähe hantiert.

Sämtliche Termine, auch Zahnarzt und Friseur, trage ich immer gleich in den Online-Kalender ein. Es ist so ein synchronisierter Kalender für die ganze Familie, der uns dabei hilft, ein bißchen den Überblick zu behalten, was gerade bei wem anliegt. 

Ich habe mir angewöhnt, abgesagte Termine nicht komplett zu löschen, sondern nur mit dem Vermerk fällt aus zu versehen. In Corona-Zeiten hat das zur Folge, dass ständig Erinnerungen aufploppen an Veranstaltungen, bei denen ich jetzt auf der Bühne gestanden hätte. Das gibt mir jedes Mal die Gelegenheit für ein tiefes Seufzen und eine Art Gedenkminute, bevor ich weiter meinem fehlgesteuerten Alltag nachgehe, in dieser Minute denke ich an die Kolleginnen und Kollegen, die ich jetzt gesehen hätte, die Texte, die ich gelesen hätte, das Lampenfieber, das mich zermürbt hätte. 
Wie gerne wäre ich mal wieder rechtschaffen zermürbt. 

Jedenfalls – am Abend vor dem Einschlafen gucke ich immer nochmal in den besagten Kalender, ob für den nächsten Tag vielleicht doch etwas drinsteht, das ich auf dem Schirm haben sollte. So auch gestern. Der Mann war schon fast eingeschlafen, ich flüsterte noch beiläufig „Ach schön, Du hast morgen diese Online-Vorlesung“ und wollte gerade das Licht löschen. Doch da stand er plötzlich im Bett. Mit irrem Blick. Sehr blass und sehr wach.

„O Gott“ sagte er, „das ist morgen?“

Er hatte es völlig verpeilt. 

Leider handelt es sich bei dieser auf 8 Stunden angesetzten Vorlesung nicht etwa um was, woran er teilnehmen wollte, er ist der Dozent. In der Nacht machte er sich also wie wild Notizen und raufte sich die stündlich grauer werdenden Haare. Heute Morgen dann führte er zig Telefonate, in denen oft die Worte Hilfe und bitte fielen, denn er hatte es leider auch versäumt, sich einen Zugang zur Uni-Plattform einrichten zu lassen, den er für eine Online-Vorlesung braucht…
Kurzum – es ist alles nochmal gut gegangen. Kurz vor 10 stand der Zugang, das Seminar läuft, offenbar sogar ziemlich gut. 
Das Thema? Selbstorganisation. 

Das lass ich mal so stehen. 

Ein leicht hysterisches Kichern aus dem Land des Lächelns sendet Dir

Susanne

PS: Das F in Montag steht für Freude!

#64 Ableser und Vorleser

Liebe Susanne,

ich hatte gestern tatsächlich auch einen Termin. Sogar einen, für den ich um 6.00 Uhr aus dem Haus musste.

Was übrigens eine Art Termin ist, mit denen ich manchmal vor mir selber angebe. Da ich weiß, wie mich das beeindruckt, wenn ich mir von solchen Terminen erzähle. 

Der Ableser hatte sich angekündigt. Aber nicht für die Wohnung, sondern für den Schrebergarten, von dem ich an Ostern schon einmal erzählt habe. 

Da dieser Garten im äußeren Außenbezirk liegt, der Ableser sein Kommen jedoch in bewährter Sorglosigkeit zwischen 8.00 und 13.00 Uhr schätzte, musste ich also um sechse los. 

Nicht weil ich zwei Stunden für den Weg bräuchte, sondern weil ich, wenn ich spätestens um sieben zu gehen habe, absichtlich denke, daß ich um sechse los muss, damit ich es dann auch um sieben schaffe.

Ich war pünktlich. Der Ableser auch, was bei einer fünf-Stunden-Spanne nun aber auch nicht so die Leistung ist. Ich sag mal: So kann ich auch pünktlich sein. Vielleicht kann ich von ihm lernen.

„Ich komme dann Mittwoch zwischen 10.00 und 15.00 Uhr zum Mund öffnen vorbei. Bitten stellen Sie sicher, daß ich während dieser Zeit freien Zugang zu Ihrer Praxis habe und ein Zahnarzt zugegen ist.“

Ob ich bei meiner Zahnarztgemeinschaftspraxis auch einfach mal so einen Zettel einwerfen sollte? Oder besser noch beim Hautarzt. Da kriegt man sonst so schlecht einen Termin.

Nun fragt sich womöglich mancher, warum ich die Wasseruhr nicht einfach selber abgelesen habe. Gute Frage. Diese Wasseruhr jedoch ist in einem Gulli, am Ende eines Schachts. Der Gulli befindet sich leider im Schrebergarten der Freundin und da es in meinem Falle ja egal ist, wo ich das, was ich tagsüber zu machen habe, nicht mache, wurde ich beauftragt dem Ableser das Tor aufzusperren.

Irritierender weise kannte mich der Ableser als Vorleser.

 Er hat sich darüber total gefreut und meinte: „Lustig, da leben wir ja beide praktisch vom Ablesen.“

 Dann hat er gefragt, ob er ein Autogramm haben kann, weil ihm seine Frau das sonst nicht glaubt. Ich habe gesagt: „Klar, wenn Sie mir dafür die Wasseruhr signieren,“ was er dann auch gemacht hat.

Er fürchtete aber, daß ihm seine Frau auch das nicht glauben würde, weshalb ich ihm versprach, dies in der Blog zu schreiben, damit sie es dort nachlesen kann.

Nur falls sich jemand fragt, warum ich eigentlich diese ganze Geschichte hier erzähle. Weil die Frau es sonst nicht glaubt. Eine bessere Begründung hatte ich, glaube ich, noch nie für einen Text.

Vor- und ablesende Grüße

Horst