#57 Ich bin nicht wütend

Lieber Horst,

der Mann hat aus Schweden Lupinen mitgebracht. Jetzt wo der Flieder langsam verblüht ist, sind sie meine tägliche Freude, besonders wenn die Regentropfen sich darin fangen, sieht das spektakulär aus. 
Heute früh als ich gerade ein Foto davon machte, betrachtete mein Sohn die Blätter. „Hm. Sieht ein bißchen aus wie Hanf für Arme“ sagte er. 
Ich fürchte, er hat recht. Wie so oft.
Er sagt ja auch Sätze wie „Karl Lauterbach klingt ein bißchen wie Max Raabe in deprimiert“. Denk da mal kurz drüber nach… Ist was dran, oder? Das kriegt man nicht so leicht wieder aus dem Kopf, Horst, aber ich verspreche Dir, es steigert den Unterhaltungswert der Tagesschau enorm.

Auch mein anderer Sohn hatte schon früh einen sehr eigenen Blick für die Dinge.
Ich glaube, er war vier als wir ihm den Helmut Newton Fotoband wegnahmen und er sagte „Ach schade, ich wollte doch nur mal wieder mein Lieblingsfoto angucken.“
Im Museum hingegen blieb er schon mal ein paar Minuten gebannt vor dem Feuerlöscher stehen, im Zoo freute er sich an den Spatzen während hinter ihm die Giraffen flanierten. Und während andere Kinder Benjamin Blümchen hörten, lief bei uns Malediva rauf und runter. 

Kennst Du Malediva? Ein begnadetes Kabarettduo, dereinst, von dem bei uns zu Hause noch heute öfter die Rede ist, weil bestimmte Zitate von den CDs über die Jahre zu geflügelten Worten geworden sind. Rund um Weihnachten zum Beispiel singen wir gerne mal Lieder wie  Die dicken Mädchen sind nie die Maria, was aber vor allem geblieben ist, und zwar ganzjährig, das ist der Begriff der Muttihölle.

Die Muttihölle, so erzählen es Malediva, ist jenes emotionale Desaster, in das alle auch die noch so Erwachsenen geraten, wenn sie ihre Eltern enttäuschen.

Es ist der Moment, wo die Mutter sagt „Ich bin nicht wütend, ich bin nur enttäuscht…“ 
Ich glaube, fast alle kennen diese Muttihölle. Alle außer meinen Kindern. Sie haben das dank der Malediva-CD schon als Kleinkinder durchschaut. 
Wenn es denn doch mal vorkommt, dass ich auf irgendwas ein wenig verschnupft reagiere, aber meinen Ärger nicht offen äußere, wenn ich also so Dinge sage wie „Nee nee, lass, ist schon ok…“ – dann gucken sie sich nur an und sagen im Chor „Ich bin nicht wütend, ich bin nur enttäuscht!“  
Meist lachen wir dann alle einmal herzlich und können das Thema danach etwas entspannter weiterbereden.  Frei nach Professor Lupin: Ridiculus!
Manchmal funktioniert das auch im Alltag.

Warum ich gerade über all das nachdenke? 
Meine Nachrichten-App ploppte gestern auf und vermeldete: „Merkel enttäuscht von den Deutschen.“
Muttihölle, schoss es mir da durch den Kopf. 
Aber nur ganz kurz. 

Liebe Grüße,

Susanne & die Eisheiligen

PS: Cooler Bandname, eigentlich?  

#58 Ich war der Lastenausgleich

Liebe Susanne,

wie schön, daß Du Dich an die Muttihölle von Malediva erinnerst. Dadurch schieben sich auch in mein Hirn gleich ganze Schubkarrenladungen voll bester Nostalgie. Ein schöner Haufen, in dem ich jetzt einige Zeit lang wühlen konnte.

Irgendwann im Jahre neunzehnhundertweißnichmehr war ich bei Malediva in ihrer LateNight-Show in der Bar jeder Vernunft zu Gast. Lo und Tetta haben damals jeden Künstler mit einem Gedicht angekündigt. Meines endete mit den Zeilen:

„…doch will der Horst nen Abend, nen bunten,
geht er zu den singenden Tunten.“

Dieser Reim hat sich tief in mein Unterbewusstsein gefressen. Sobald heute jemand nur von einem bunten Abend spricht, kriege ich eine halbe Stunde lang nichts mehr mit. Denn in meinem Kopf singen und tanzen nun die bunten Tunten meiner Vergangenheit.

Dabei war ich bei diesen Abenden ein völliger Exot. Meine Geschichten haben das Publikum dort eher ratlos bis verstört zurückgelassen. Dennoch waren alle sehr, sehr freundlich zu mir. Ein bisschen in die Richtung von: „Naja, sowas muss es ja auch geben. Warum nicht auch mal jemanden, der in Alltagsklamotten, mit einer Alltagsstimme, Alltagsgeschichten vorliest, auf die Bühne lassen. Die Welt ist bunt.“

Ich war so eine Art personifizierter, künstlerischer Lastenausgleich. 

Sowas soll ja jetzt eventuell wieder kommen. Ein Lastenausgleich, wie nach dem zweiten Weltkrieg, um die Kosten der Krise gerechter auf die Gesamtbevölkerung zu verteilen.

Damals war ich die Gesamtbevölkerung, auf die die Bühnenzeit gerechter verteilt wurde. 

Wobei diese Metapher weder gut noch angemessen ist, aber wenn das jetzt auch noch eine Kategorie ist, kann man ja irgendwann gar nichts mehr schreiben.

Meine Tochter war vor einigen Jahren beim Frühstück mal sehr genervt von meinem damaligen Lustigkeitsanfall. Irgendwann hat sie daher gefragt, was eigentlich mein Rekord im ohne Unterbrechung nicht witzig sein wäre? 

Damals wusste ich keine Antwort. Wenn ich heute so drüber nachdenke, dürfte es wohl einer dieser Auftritte aus den Neunzigern gewesen sein. 

Was würde ich darum geben, wenn ich heute Abend in einer tuntenlastigen Mixed-Show mit meinen Texten nochmal so richtig abschmieren könnte. Es war eine großartige Zeit.

Das muss man dem aktuellen Verbot schon lassen. Mit jedem Tag, wo mir weitere Auftritte untersagt sind, werden meine Erinnerungen noch leuchtender und schöner. Nicht schlecht, Herr Specht. Womöglich befinde ich mich ja gerade doch in einer win-win-Situation.

Bunte Grüße

Horst

#59 …und es hat Zoom gemacht

Lieber Horst,

14. Mai – der Namenstag der Heiligen Corona. 
Was es nicht alles gibt.
Man erbittet von ihr traditionell „Beistand und Schutz bei Hagel und Viehseuchen“, habe ich gerade gelesen, das klingt ja erstmal nicht verkehrt, da kann man seinen Aluhut ja mal in den Ring werfen.

Nach Deinem gestrigen Brief habe ich noch den ganzen Tag Malediva vor mich hingeträllert, hach, das war schön. Also für mich war das schön, für meine Familie, naja.  Und dieser wirklich zauberhafte Reim, an den Du Dich noch erinnern konntest, hat mir dann wiederum ins Gedächtnis gerufen, wie der Mann und ich vor ein paar Wochen mal auf dem Balkon gesessen und gedichtet haben. Ich weiß auch nicht, was da los war. Jedenfalls – an leisen Abenden mit leeren Straßen, wie wir sie nun öfter haben, kann man manchmal in der Ferne die S-Bahn hören. Eines Nachts hupte diese aus unerfindlichen Gründen, da haben wir uns so unsere Gedanken gemacht. Heraus kam dabei (Achtung, räusper)

Am Bahndamm sitzen Rassekröten
Und hören nicht die krassen Tröten 
Weshalb sie jetzt die Trasse röten.

Großes Kino, oder? Ich gestehe, es war Gin im Spiel. 

Doch zu etwas völlig anderem.
Mein Ohrwurm des heutigen Tages ist zur Abwechslung mal von Klaus Lage:  „…und es hat Zoom gemacht!“
Zoom
, Horst.
Diese unumschiffbare Geißel der Homeoffice-Debütanten.
Alle zoomen.
Heute Abend habe auch ich wieder eine Zoom-Konferenz, hurra.

Von Vorteil ist immerhin, dass der Bildausschnitt der Videos in der Regel nicht viel mehr zeigt als Kopf und Oberkörper des Teilnehmenden. Das ist mir in Anbetracht der bereits besungenen Folgen des Bewegungsmangels sehr angenehm und ermöglicht businessmäßiges Auftreten trotz Homealone-Hose.  
(Als ich mich vor einigen Jahren mal für ein Vorstellungsgespräch aufgebrezelt hatte und kritisch in den Spiegel schaute, sagte mein Sohn: „Mach Dir keine Sorgen, Mum, Du siehst voll aus wie ne Professionelle!“ … Aber das ist eine andere Geschichte.)

Immer wieder interessant ist ja auch der Einblick, den man beim Zoomen in die Alltagsumgebung des einen und der anderen bekommt. Dieses kleine bißchen Hintergrund, das lenkt mich immer total ab. Welche Bücher hat wer im Bücherregal, ist das ein Plattenspieler dort hinten, was steht da für ein Spruch auf dem Kaffeebecher?
Fabienne sagt, sie legt jetzt immer wie zufällig eine Yogamatte in den Hintergrund, wenn sie zoomt. „Dann denken die Leute: Was ne coole Socke.  Wer ne Yogamatte hat, denken die dann – der hat auch ne Obstschale!“
Ich glaube, von Fabienne kann ich noch eine Menge lernen. 

Ach ja, und André hatte neulich eine riesige Blumenvase direkt neben sich auf dem Tisch stehen, als wir privat miteinander zoomten, das fand ich etwas seltsam. Das sei noch das Überbleibsel aus der letzten Video-Konferenz mit seiner Chefin, sagte er etwas zerknirscht. Der Vorabend sei ihm etwas entglitten, und er war um 8 Uhr morgens noch im Niemandsland zwischen noch hackedicht und schon schlimm verkatert, konnte diesen sehr wichtigen Gesprächstermin aber auf gar keinen Fall absagen. 
Die Blumenvase war seine Absicherung für den Fall, dass er sich spontan hätte übergeben müssen. 

Womit wieder bewiesen wäre, dass auch hinter den profanen Dingen zuweilen die erstaunlichsten Geschichten lauern. 

Und Du so, Horst? Welche Geschichten lauern in Deinem Hintergrund? 

Neugierige Grüße von

Susanne

#60 Netflixhose oder Regenkleidung für drinnen

Liebe Susanne,

Ich sitze bei Videokonferenzen tatsächlich mittlerweile immer vor unserem Bild. Also wir besitzen genau ein richtiges Bild. Nicht wirklich teuer, aber man erkennt doch sofort, daß es von einer richtigen Malerin richtig gemalt wurde. Da wird man dann quasi selber zu Kunst.

Das musste ich aber auch erst lernen. Mein WDR-Redakteur macht sich heute noch darüber lustig, daß ich um 16.00 Uhr im Pyjama zum Zoomen erschienen bin. Ich habe ihm nicht verraten, daß es gar nicht mein Schlafanzug war. Den hatte ich nämlich sogar um 15.55 Uhr wirklich noch an gehabt. Bin dann aber schnell zum Angeben in meine Trainingssachen geschlüpft. 

Leider sieht mein Fitnessdress für WDR-Redakteure wohl wie ein Schlafanzug aus. 

Nun ja, tatsächlich habe ich in ihm ja auch häufiger geschlafen als trainiert. Vielleicht hat sich das arme Kleidungsstück einfach an sein Aufgabenfeld angepasst.

So wie meine Handwerkerhose, die mittlerweile auch eher wie eine Netflixhose aussieht. Ich habe überhaupt viel Funktionskleidung.

 Müslihemden, auf denen man die Joghurtflecken nicht so sieht. 

Müllrunterbringschuhe, die noch nicht kaputt genug zum wegschmeißen sind, aber doch schon zu gebrechlich, als daß man sich mit ihnen noch weiter, als bis in den Innenhof traut. 

Regenkleidung, die ich bei Regen trage, aber nur drinnen, weil sie empfindlich gegen Feuchtigkeit ist.

Außerdem natürlich jede Menge Schreibklamotten. Die ich extra zum Schreiben anziehe. Eigentlich nur, um die Zeit, in der ich so dasitze, vor mich hinstarre und vermutlich über etwas nachdenke, was ich sofort wieder vergesse, mit Sinn zu füllen.

Wenn ich meine Schreibsachen anhabe, ist es Arbeit. In normaler Kleidung wäre es ja nur ein vor mich hindösen. Das könnte ich mir schon rein zeitlich gar nichts leisten. 

Also ziehe ich mir meine Schreibsachen an und schon ist alles was ich mache quasi Dienst. 

Manchmal schlafe ich sogar in meinen Schreibsachen. Dann habe ich gefühlt die ganze Nacht durchgearbeitet. Danach bin ich dann aber auch ganz schön kaputt. Aber das ist ja ohnehin häufig. Also das ich direkt nach dem Aufstehen wahnsinnig müde bin. Ich nehme an, daß mich schlafen oft wahnsinnig anstrengt. Sonst wäre ich ja beim Aufstehn nicht so kaputt.

Gibt es eigentlich schon ein Start-Up, das auswechselbare Hintergründe für Videokonferenzen vertreibt?

 Also bedruckte Leinwände, die man hinter sich aufhängt. So daß man immer das passende Ambiente mit nur wenigen Handgriffen herstellen kann? 

Wollen wir nicht sowas gründen? 

Eine Firma für schnell austauschbare Videokonferenzhintergründe? 

Oder ein Fachgeschäft für Arbeitskleidung für Alleine-Zuhause-Arbeiter und innen.

Wie reich man wahrscheinlich werden könnte, wenn man Lust hätte zu machen, was einem so einfällt. Gut, daß wir auch so zurechtkommen.

Zufriedene Grüße

Horst 

#61 Im Angesicht der Outdoor-Socke

Lieber Horst,

Das mit der Funktionskleidung …
Ich fange mal anders an. 

Ich mag es nicht, wenn mich schon früh am Morgen jemand zutextet. Manchmal quatscht einen ja schon der Teebeutel zu, mit so seichten Lebensweisheiten in weißer Schrift auf rotem Grund. Und dann ziehst Du Deine Socken an und wenn Du Pech hast, dann sind es Funktionssocken, die sagen nämlich Bescheid, wo rechts und links ist. R und L. Klugscheißersocken! Ich gebe zu, manchmal regt mich das so auf, dass ich sie absichtlich falsch rum anziehe. 
Nur um es ihnen zu zeigen. Weil ich´s kann!

Ich bin nicht so der Morgenmensch…

Der große Bruder von Funktions- ist ja Outdoor
Und was nicht alles Outdoor ist, inzwischen. Ich habe im Onlineversand kürzlich sogar die Kategorie „Outdoor-Regenschirme“ entdeckt. Ich meine – wo benutzt Du Deinen Regenschirm? Und was kommt als Nächstes? Der Outdoor-Geländewagen? Der Outdoor-Baum?

Wenn man übrigens „Outdoor Aluhut“ in die Produktsuche eingibt, wird auch eine beträchtliche Zahl von Angeboten angezeigt.
Der Verschwörungsmarkt boomt. Die Welt ist gestern zwar wieder mal nicht untergegangen und bisher habe ich auch keine Reptiloiden in den Straßen entdeckt – aber die Nachfrage scheint weiterhin enorm. 

Und deshalb – verzeih, Horst, ich komme einfach nicht umhin, diese Frage zu stellen: 
Ist der Aluhut das neue Klopapier? 

Mir scheint das mal ein passender Verwendungszweck. 

Warst Du denn heut schon outdoor?
Oder bist Du gar eingekehrt?
Hier machen gerade nach und nach die Restaurants wieder auf. Es liegt noch eine gewisse Behutsamkeit über allem, das scheint alles ganz gut zu funktionieren. Es ist rührend die Menschen zu beobachten, wie sie das erste Pils im sonnigen Biergarten achtsam an die lächelnden Lippen führen.

Ich hatte meine Hoffnung in meine frühere Lieblingskneipe eine Straße weiter gesetzt. Nachdem das alte Wirts-Ehepaar aufgehört hatte, wechseln da ständig die nicht sehr freundlichen Gesichter und alle paar Monate heißt der Laden anders. Deshalb hatte ich mich gefreut, als ich den handgeschriebenen Zettel an der Tür gelesen habe:
„Und endlich schön!! Nähere Infos unter 0176 …“
Das klang vielversprechend und sympathisch. Nun war ich gestern mal gucken, das Biergartenwetter lockte auch mich.
Die Tür war auf. Es ist ein Hair & Beauty Salon. Der Name ist „Und endlich schön“.
Ich versuche, es mit Fasson zu tragen.

Bleib behütet und sei ganz herzlich gegrüßt von

Susanne

PS: Mir wird tatsächlich gerade Werbung für Funktionsunterwäsche eingeblendet. Unterwäsche, die funktioniert, sah ja früher auch mal anders aus.

#62 In einer Welt, in der es nur noch Montage gibt

Liebe Susanne,

als ich gestern Abend durch die Bergmannstrasse ging, durfte ich feststellen, daß die jetzt wieder fast normal aussieht. Also relativ gesehen. 

Eben von den Leuten, die in und vor den Lokalen sitzen her.

Oder sagen wir normal für einen Montagabend. Einen leicht verregneten Montagabend. 

Also nochmal von vorn: Die Bergmannstrasse sieht am Samstagabend immerhin schon wieder fast wie an einem durchschnittlichen Montagabend bei mittelschlechtem Wetter aus. 

Was allgemein als Schritt zurück zur Normalität angesehen wird. Schön.

Nachdem jetzt mehrere Wochen lang alles stets gefühlt wie Sonntagnachmittag ausgesehen hat, kommt nun vielleicht ein längeres Montagabendgefühl. Jeden Tag. 

Wie mag es sein, in einer Welt zu leben, in der es nur noch Montage gibt? 

Was vor einigen Monaten noch ohne weiteres als reguläre Dystopie durchgegangen wäre, empfinden wir heute als stufenweise Rückkehr zur Normalität. Wer vom Sonntag kommt, für den ist Montag schon ein Schritt weiter. Wann werden wir auch die restlichen Wochentage zurückbekommen? Also vom Gefühl her.

Eine der unterschätzten Corona-Folgen war bei mir ja, daß ich die letzten Wochen viel zu viel Kaffee getrunken habe. Da ich so die ganzen Wirte in meiner Umgebung unterstützen wollte. Indem ich möglichst häufig ihr Coffee-to-go Angebot genutzt habe.

Einem meiner Lieblingswirte ist das auch aufgefallen, weshalb er vor ein paar Tagen sehr besorgt zu mir sagte:

„Du trinkst Zuviel Kaffee. Das ist nicht gut für Dich. Achte mehr auf Deine Gesundheit. Trink auch mal Bier oder Wein.“

Nur Wirte raten Dir, was Dir Wirte raten. Deswegen sind sie systemrelevant. 

Trotzdem bin ich froh, daß sie wieder mehr anbieten, als Kaffee und Flaschenbier.

 Ich hatte schon angefangen in der Musterung der Bürgersteigplatten die Grammatik einer jahrtausendealten Zeichensprache zu erkennen. 

Bislang konnte ich aber nur zwei Sätze aus der Maserung der Bürgersteigplatten entschlüsseln. Beide sind direkt vor meiner Haustür. Der erste lautet: „Hast Du den Herd ausgemacht?“ 

Der zweite Satz ist noch kryptischer, denn wenn ich mich nicht täusche steht da: „Es gibt keine jahrtausendealte Zeichensprache in der Maserung der Bürgersteigplatten und hier steht auch kein Satz.“ 

Schon seltsam, aber solange ich über solche Dinge nachdenke, laufe ich zumindest nicht Gefahr in den Sog von abstrusen Verschwörungstheorien zu geraten.

 Denn mein wesentlicher Vorwurf an die Verschwörungstheorien ist ja nach wie vor, daß die allesamt viel zu schlampig ausgedacht sind. 

Wenn die Verschwörungstheoretiker doch mal einmal ein bisschen Geld in die Hand nehmen und vernünftige Autoren oder Autorinnen verpflichten würden. 

In manchen Bereichen wäre es so einfach, diese Welt ein bisschen besser zu machen. Aber vielleicht wollen die Verschwörungstheoretiker genau das ja auch gar nicht.

Einen baldigen Dienstag wünscht Dir

Horst

#63 Ein Termin, ein Termin!

Lieber Horst,

gerade habe ich einen Zahnarzttermin gemacht. 
Für die ganze Familie, ich war gerade so in Schwung. 
Und ich habe bemerkt, wie gut es sich angefühlt hat, mal wieder etwas Verbindliches und halbwegs Sinnvolles in den Kalender einzutragen. Soweit ist es jetzt schon – ich mache Zahnarzttermine, um mich eines letzten Fünkchens Normalität zu vergewissern.  

Vielleicht werde ich an dem Tag sogar etwas früher hingehen, es ist ein sehr gemütliches Wartezimmer mit ansprechender Literatur, das Mineralwasser ist vorzüglich und das Behandlungszimmer gut isoliert, so dass man weder von Bohrgeräuschen noch von Schmerzensschreien belästigt wird, während man in Cartoonbänden schmökert, die Namen tragen wie „Im Land des Lächelns“, was ich für eine Zahnarztpraxis nun wirklich sehr passend  finde. 
Auch beim Friseur habe ich einen Termin bekommen, schon im Juni. Dort liegt immer „Zehn kleine Zappelfinger“ aus, fällt mir dabei ein, was ich persönlich für einen eher ungünstigen Titel halte bei jemandem, der mit einer Schere in Gesichtsnähe hantiert.

Sämtliche Termine, auch Zahnarzt und Friseur, trage ich immer gleich in den Online-Kalender ein. Es ist so ein synchronisierter Kalender für die ganze Familie, der uns dabei hilft, ein bißchen den Überblick zu behalten, was gerade bei wem anliegt. 

Ich habe mir angewöhnt, abgesagte Termine nicht komplett zu löschen, sondern nur mit dem Vermerk fällt aus zu versehen. In Corona-Zeiten hat das zur Folge, dass ständig Erinnerungen aufploppen an Veranstaltungen, bei denen ich jetzt auf der Bühne gestanden hätte. Das gibt mir jedes Mal die Gelegenheit für ein tiefes Seufzen und eine Art Gedenkminute, bevor ich weiter meinem fehlgesteuerten Alltag nachgehe, in dieser Minute denke ich an die Kolleginnen und Kollegen, die ich jetzt gesehen hätte, die Texte, die ich gelesen hätte, das Lampenfieber, das mich zermürbt hätte. 
Wie gerne wäre ich mal wieder rechtschaffen zermürbt. 

Jedenfalls – am Abend vor dem Einschlafen gucke ich immer nochmal in den besagten Kalender, ob für den nächsten Tag vielleicht doch etwas drinsteht, das ich auf dem Schirm haben sollte. So auch gestern. Der Mann war schon fast eingeschlafen, ich flüsterte noch beiläufig „Ach schön, Du hast morgen diese Online-Vorlesung“ und wollte gerade das Licht löschen. Doch da stand er plötzlich im Bett. Mit irrem Blick. Sehr blass und sehr wach.

„O Gott“ sagte er, „das ist morgen?“

Er hatte es völlig verpeilt. 

Leider handelt es sich bei dieser auf 8 Stunden angesetzten Vorlesung nicht etwa um was, woran er teilnehmen wollte, er ist der Dozent. In der Nacht machte er sich also wie wild Notizen und raufte sich die stündlich grauer werdenden Haare. Heute Morgen dann führte er zig Telefonate, in denen oft die Worte Hilfe und bitte fielen, denn er hatte es leider auch versäumt, sich einen Zugang zur Uni-Plattform einrichten zu lassen, den er für eine Online-Vorlesung braucht…
Kurzum – es ist alles nochmal gut gegangen. Kurz vor 10 stand der Zugang, das Seminar läuft, offenbar sogar ziemlich gut. 
Das Thema? Selbstorganisation. 

Das lass ich mal so stehen. 

Ein leicht hysterisches Kichern aus dem Land des Lächelns sendet Dir

Susanne

PS: Das F in Montag steht für Freude!

#64 Ableser und Vorleser

Liebe Susanne,

ich hatte gestern tatsächlich auch einen Termin. Sogar einen, für den ich um 6.00 Uhr aus dem Haus musste.

Was übrigens eine Art Termin ist, mit denen ich manchmal vor mir selber angebe. Da ich weiß, wie mich das beeindruckt, wenn ich mir von solchen Terminen erzähle. 

Der Ableser hatte sich angekündigt. Aber nicht für die Wohnung, sondern für den Schrebergarten, von dem ich an Ostern schon einmal erzählt habe. 

Da dieser Garten im äußeren Außenbezirk liegt, der Ableser sein Kommen jedoch in bewährter Sorglosigkeit zwischen 8.00 und 13.00 Uhr schätzte, musste ich also um sechse los. 

Nicht weil ich zwei Stunden für den Weg bräuchte, sondern weil ich, wenn ich spätestens um sieben zu gehen habe, absichtlich denke, daß ich um sechse los muss, damit ich es dann auch um sieben schaffe.

Ich war pünktlich. Der Ableser auch, was bei einer fünf-Stunden-Spanne nun aber auch nicht so die Leistung ist. Ich sag mal: So kann ich auch pünktlich sein. Vielleicht kann ich von ihm lernen.

„Ich komme dann Mittwoch zwischen 10.00 und 15.00 Uhr zum Mund öffnen vorbei. Bitten stellen Sie sicher, daß ich während dieser Zeit freien Zugang zu Ihrer Praxis habe und ein Zahnarzt zugegen ist.“

Ob ich bei meiner Zahnarztgemeinschaftspraxis auch einfach mal so einen Zettel einwerfen sollte? Oder besser noch beim Hautarzt. Da kriegt man sonst so schlecht einen Termin.

Nun fragt sich womöglich mancher, warum ich die Wasseruhr nicht einfach selber abgelesen habe. Gute Frage. Diese Wasseruhr jedoch ist in einem Gulli, am Ende eines Schachts. Der Gulli befindet sich leider im Schrebergarten der Freundin und da es in meinem Falle ja egal ist, wo ich das, was ich tagsüber zu machen habe, nicht mache, wurde ich beauftragt dem Ableser das Tor aufzusperren.

Irritierender weise kannte mich der Ableser als Vorleser.

 Er hat sich darüber total gefreut und meinte: „Lustig, da leben wir ja beide praktisch vom Ablesen.“

 Dann hat er gefragt, ob er ein Autogramm haben kann, weil ihm seine Frau das sonst nicht glaubt. Ich habe gesagt: „Klar, wenn Sie mir dafür die Wasseruhr signieren,“ was er dann auch gemacht hat.

Er fürchtete aber, daß ihm seine Frau auch das nicht glauben würde, weshalb ich ihm versprach, dies in der Blog zu schreiben, damit sie es dort nachlesen kann.

Nur falls sich jemand fragt, warum ich eigentlich diese ganze Geschichte hier erzähle. Weil die Frau es sonst nicht glaubt. Eine bessere Begründung hatte ich, glaube ich, noch nie für einen Text.

Vor- und ablesende Grüße

Horst

#65 Fenster machen wir gar nicht

Lieber Horst,

Großartig! Solche kleinen Begebenheiten wie Deine gestrige Begegnung mit dem Ableser tragen mich ja immer mit einem kleinen Lächeln durch den Rest des Tages, geht es Dir auch so? Dann laufe ich manchmal durch die Straßen und denke: ach guck, die anderen Leute haben heute auch alle gute Laune, dabei liegt es wahrscheinlich nur daran, dass ich selber mit diesem Lächeln unterwegs bin. Die lächeln einfach zurück. Auch etwas, das mir fehlt, mit Mundschutz sehen die meisten eben doch latent übellaunig aus.

Stell Dir vor – vor einiger Zeit, als wir noch keine Masken trugen, bin ich auch schon mal erkannt worden! Also gewissermaßen.
An der Bushaltestelle vor dem Wilmersdorfer Krankenhaus, in dem ich damals arbeitete, kam eine mir völlig unbekannte Frau schnurstracks auf mich zu und sagte „Frau Riedel! Wie schön!“ Signiert habe ich nichts, sie bat mich dann noch, Ihr beim Entziffern des Fahrplans zu helfen, und wir plauderten ein bißchen. Sehr nett. Das war auch so ein Tag: überall aufmerksame Menschen, ein Lächeln hier, ein Plaudern da.
Erst als ich zu Hause angekommen war und am Spiegel vorbeikam, bemerkte ich, dass ich mein Namensschild noch am Revers trug. 
„Sozialdienst – Frau Riedel“. 

Wenn mich jemand fragt, ob ich in meinem Leben mal was Mutiges gemacht habe, kann ich immerhin sagen: Ich bin mit einem Schild, auf dem „Sozialdienst – Frau Riedel“ stand, in die U7 eingestiegen. Zumindest in Sozialarbeiterkreisen ernte ich dafür schon mal ein anerkennendes Raunen. 

Ich habe nach Deinem Brief gestern mal mein Gedächtnis durchforstet nach ähnlich netten Begegnungen mit Ablesern oder Handwerkern. 
Sieht man mal von den optischen Herausforderungen manches Klempnerdekolletés ab, die ich hier jetzt nicht weiter vertiefen will, waren da viele wirklich nette Momente dabei. (Wenn man über Dinge redet, die man um keinen Preis vertiefen will, ist das Klempnerdekolleté ja per se ganz weit vorn.)

Am einprägsamsten allerdings war wie leider allzu oft ein negativer Ausreißer in der Serie. Ein Fliesenleger, der mal im Auftrag des Vermieters unser Bad neu gemacht hat. Er hatte die alten Fliesen nicht abgeschlagen, sondern die neuen einfach darüber geklebt. Das sah soweit ok aus, deshalb hatte ich es auch erstmal so abgenickt, als er fertig war. 
Kurz darauf musste ich allerdings feststellen, dass man nun leider das Fenster nicht mehr aufkriegte, da die Fliesen so weit von der Wand abstanden. Ich rief sofort den Handwerker an, der sich dreist für nicht zuständig erklärte und mit dem unvergessenen Satz antwortete:
„Ich bin Fliesenleger, gute Frau. Fenster machen wir gar nicht.“

An dem Mann konnte ich in den folgenden Tagen viel ruhiges Atmen und klare Kommunikation üben, so hat doch am Ende wieder alles auch sein Positives. So konnte ich die Sache mit den Dachdeckern dann auch deutlich abkürzen, die ihre leeren Bierflaschen und Essensreste unter den Dachziegeln entsorgt hatten und als ich sie erwischte meinten, das sei alles Absicht. „Wegen der Isolierung.“ 
Zu dem Zeitpunkt hatte ich das mit der klaren Kommunikation schon so gut drauf, dass ich gar kein Wort mehr sagen musste. Gucken reichte. 

Wenn Du mal Ärger hast und jemanden brauchst, der guckt, Horst – jederzeit!

Sonnige Grüße von

Susanne

#66 Warn Se da schon selba dran?

Liebe Susanne,

Handwerkergeschichten sind vielleicht ein sehr passendes Thema für den Vatertag.

Nun denn. Meine Familie ist gewiss nicht sehr furchtsam. Aber mit einer Sache kann ich sie verlässlich in Panik versetzen. Wenn ich ankündige, irgendetwas in der Wohnung selbst reparieren zu wollen. Dann haben plötzlich alle irgendwelche Termine außerhalb. Die im Idealfall rund eine Woche dauern. Denn solange braucht es in der Regel, bis ich häufig und ausdauernd genug gescheitert bin und einen Fachmann bestellt habe.

 Über die Zeit zwischen meinem ersten Versuch und den Anruf beim Handwerksbetrieb möchte ich nicht reden. Ich rede ja auch nicht darüber, wie ich mal meinen Studienschwerpunkt gewechselt habe, weil ich in der ersten Semesterwoche zwei Seminarräume verwechselt habe. Erst nach vier Wochen habe ich gemerkt, daß ich im falschen Kurs sitze, was ich aber weder vor mir, noch vor anderen zugeben wollte, weshalb ich dann eben meinen Studienschwerpunkt gewechselt habe. Solche Geschichten interessieren keinen und deshalb erzähle ich sie auch nicht.

Mittlerweile reicht es meistens, der Familie nur damit zu drohen, ich würde etwas selbst reparieren. Dann bestellen sie meistens hektisch jemanden, schaffen es aber doch, daß ich den später empfangen muss. 

Meine Tochter hat mir hierzu vor zwei Weihnachten ein T-Shirt geschenkt, auf welchem steht: „Alles muss man selber machen…  lassen.“

Dennoch habe ich im Laufe der Jahre viel über den Umgang mit Handwerkern gelernt. Die drei wichtigsten Regeln sind meines Erachtens:

1. Tue nie so, als ob Du Ahnung hättest. Du hast nämlich keine Ahnung. Du hast sogar so wenig Ahnung, daß Du nichtmal weißt, wie wenig keine Ahnung du hast. Solltest Du das nicht von selbst einsehen, wird der Handwerker es Dir erklären. Fordere ihn niemals heraus. Du verlierst in 11 von 10 Fällen.

2. Lobe nie vor ihm andere Handwerker. Er ist Dein Handwerker. Du sollst keine anderen Handwerker neben ihm haben. Zumindest keine besseren. Auch keine gleich guten. Das es überhaupt andere Handwerker gibt, ist schon schlimm genug.

3. Die aller-, allerwichtigste Regel: Wenn er fragt: „War’n Sie da schon selba dran?“, ist deine Antwort immer: „nein“. Und nur nein. Selbst wenn es noch so offensichtlich ist, daß Du lügst. Bleibe Deiner Lüge treu. Denn wenn Du einmal zugibst, irgendwo schon dran gewesen zu sein, bist Du für immer schuld. An jedem weiteren Problem. Alles wird damit angefangen haben, daß Du da schon dran warst.

In der Wohnung auf dem Wedding hat die Hausverwaltung mal jemanden geschickt, um den Wasserboiler im Bad zu reparieren. Er hat dann den Heizkörper in der Küche repariert. 

Mit der wortwörtlichen Begründung: Er hätte nicht die richtigen Teile für den Wasserboiler gehabt. Also habe er dann eben den Heizkörper repariert. Den Heizkörper, mit dem es überhaupt kein Problem gab.

 Ich habe das reklamiert und hätte damit auch fast beim Handwerksbetrieb Erfolg gehabt. Bis ich in einem Nebensatz zugegeben habe, selbstständig die Wasserzufuhr zum defekten Boiler abgedreht zu haben. Ab dem Moment hatte ich keine Chance mehr. Ich war schliesslich sogar Schuld daran, daß der Handwerker nicht die richtigen Teile für den Wasserboiler dabei hatte. 

Und das erstaunlichste: Ich habe meine Schuld eingesehen. Da ich endlich begriffen hatte, daß ich keine Ahnung hatte, was man alleine daran erkannte, daß ich den früheren Klempner lobte, obwohl der doch mit der ursprünglichen Installation des Boilers, fünf Jahre vorher, das ganze Elend in Gang getreten hatte.

Dennoch war es eine wertvolle Erfahrung. Das sind eben Dinge, die lernste auf keiner Schule.

Gut Schraube wünscht Dir

Horst