Lieber Horst,
Großartig! Solche kleinen Begebenheiten wie Deine gestrige Begegnung mit dem Ableser tragen mich ja immer mit einem kleinen Lächeln durch den Rest des Tages, geht es Dir auch so? Dann laufe ich manchmal durch die Straßen und denke: ach guck, die anderen Leute haben heute auch alle gute Laune, dabei liegt es wahrscheinlich nur daran, dass ich selber mit diesem Lächeln unterwegs bin. Die lächeln einfach zurück. Auch etwas, das mir fehlt, mit Mundschutz sehen die meisten eben doch latent übellaunig aus.
Stell Dir vor – vor einiger Zeit, als wir noch keine Masken trugen, bin ich auch schon mal erkannt worden! Also gewissermaßen.
An der Bushaltestelle vor dem Wilmersdorfer Krankenhaus, in dem ich damals arbeitete, kam eine mir völlig unbekannte Frau schnurstracks auf mich zu und sagte „Frau Riedel! Wie schön!“ Signiert habe ich nichts, sie bat mich dann noch, Ihr beim Entziffern des Fahrplans zu helfen, und wir plauderten ein bißchen. Sehr nett. Das war auch so ein Tag: überall aufmerksame Menschen, ein Lächeln hier, ein Plaudern da.
Erst als ich zu Hause angekommen war und am Spiegel vorbeikam, bemerkte ich, dass ich mein Namensschild noch am Revers trug.
„Sozialdienst – Frau Riedel“.
Wenn mich jemand fragt, ob ich in meinem Leben mal was Mutiges gemacht habe, kann ich immerhin sagen: Ich bin mit einem Schild, auf dem „Sozialdienst – Frau Riedel“ stand, in die U7 eingestiegen. Zumindest in Sozialarbeiterkreisen ernte ich dafür schon mal ein anerkennendes Raunen.
Ich habe nach Deinem Brief gestern mal mein Gedächtnis durchforstet nach ähnlich netten Begegnungen mit Ablesern oder Handwerkern.
Sieht man mal von den optischen Herausforderungen manches Klempnerdekolletés ab, die ich hier jetzt nicht weiter vertiefen will, waren da viele wirklich nette Momente dabei. (Wenn man über Dinge redet, die man um keinen Preis vertiefen will, ist das Klempnerdekolleté ja per se ganz weit vorn.)
Am einprägsamsten allerdings war wie leider allzu oft ein negativer Ausreißer in der Serie. Ein Fliesenleger, der mal im Auftrag des Vermieters unser Bad neu gemacht hat. Er hatte die alten Fliesen nicht abgeschlagen, sondern die neuen einfach darüber geklebt. Das sah soweit ok aus, deshalb hatte ich es auch erstmal so abgenickt, als er fertig war.
Kurz darauf musste ich allerdings feststellen, dass man nun leider das Fenster nicht mehr aufkriegte, da die Fliesen so weit von der Wand abstanden. Ich rief sofort den Handwerker an, der sich dreist für nicht zuständig erklärte und mit dem unvergessenen Satz antwortete:
„Ich bin Fliesenleger, gute Frau. Fenster machen wir gar nicht.“
An dem Mann konnte ich in den folgenden Tagen viel ruhiges Atmen und klare Kommunikation üben, so hat doch am Ende wieder alles auch sein Positives. So konnte ich die Sache mit den Dachdeckern dann auch deutlich abkürzen, die ihre leeren Bierflaschen und Essensreste unter den Dachziegeln entsorgt hatten und als ich sie erwischte meinten, das sei alles Absicht. „Wegen der Isolierung.“
Zu dem Zeitpunkt hatte ich das mit der klaren Kommunikation schon so gut drauf, dass ich gar kein Wort mehr sagen musste. Gucken reichte.
Wenn Du mal Ärger hast und jemanden brauchst, der guckt, Horst – jederzeit!
Sonnige Grüße von
Susanne