#63 Ein Termin, ein Termin!

Lieber Horst,

gerade habe ich einen Zahnarzttermin gemacht. 
Für die ganze Familie, ich war gerade so in Schwung. 
Und ich habe bemerkt, wie gut es sich angefühlt hat, mal wieder etwas Verbindliches und halbwegs Sinnvolles in den Kalender einzutragen. Soweit ist es jetzt schon – ich mache Zahnarzttermine, um mich eines letzten Fünkchens Normalität zu vergewissern.  

Vielleicht werde ich an dem Tag sogar etwas früher hingehen, es ist ein sehr gemütliches Wartezimmer mit ansprechender Literatur, das Mineralwasser ist vorzüglich und das Behandlungszimmer gut isoliert, so dass man weder von Bohrgeräuschen noch von Schmerzensschreien belästigt wird, während man in Cartoonbänden schmökert, die Namen tragen wie „Im Land des Lächelns“, was ich für eine Zahnarztpraxis nun wirklich sehr passend  finde. 
Auch beim Friseur habe ich einen Termin bekommen, schon im Juni. Dort liegt immer „Zehn kleine Zappelfinger“ aus, fällt mir dabei ein, was ich persönlich für einen eher ungünstigen Titel halte bei jemandem, der mit einer Schere in Gesichtsnähe hantiert.

Sämtliche Termine, auch Zahnarzt und Friseur, trage ich immer gleich in den Online-Kalender ein. Es ist so ein synchronisierter Kalender für die ganze Familie, der uns dabei hilft, ein bißchen den Überblick zu behalten, was gerade bei wem anliegt. 

Ich habe mir angewöhnt, abgesagte Termine nicht komplett zu löschen, sondern nur mit dem Vermerk fällt aus zu versehen. In Corona-Zeiten hat das zur Folge, dass ständig Erinnerungen aufploppen an Veranstaltungen, bei denen ich jetzt auf der Bühne gestanden hätte. Das gibt mir jedes Mal die Gelegenheit für ein tiefes Seufzen und eine Art Gedenkminute, bevor ich weiter meinem fehlgesteuerten Alltag nachgehe, in dieser Minute denke ich an die Kolleginnen und Kollegen, die ich jetzt gesehen hätte, die Texte, die ich gelesen hätte, das Lampenfieber, das mich zermürbt hätte. 
Wie gerne wäre ich mal wieder rechtschaffen zermürbt. 

Jedenfalls – am Abend vor dem Einschlafen gucke ich immer nochmal in den besagten Kalender, ob für den nächsten Tag vielleicht doch etwas drinsteht, das ich auf dem Schirm haben sollte. So auch gestern. Der Mann war schon fast eingeschlafen, ich flüsterte noch beiläufig „Ach schön, Du hast morgen diese Online-Vorlesung“ und wollte gerade das Licht löschen. Doch da stand er plötzlich im Bett. Mit irrem Blick. Sehr blass und sehr wach.

„O Gott“ sagte er, „das ist morgen?“

Er hatte es völlig verpeilt. 

Leider handelt es sich bei dieser auf 8 Stunden angesetzten Vorlesung nicht etwa um was, woran er teilnehmen wollte, er ist der Dozent. In der Nacht machte er sich also wie wild Notizen und raufte sich die stündlich grauer werdenden Haare. Heute Morgen dann führte er zig Telefonate, in denen oft die Worte Hilfe und bitte fielen, denn er hatte es leider auch versäumt, sich einen Zugang zur Uni-Plattform einrichten zu lassen, den er für eine Online-Vorlesung braucht…
Kurzum – es ist alles nochmal gut gegangen. Kurz vor 10 stand der Zugang, das Seminar läuft, offenbar sogar ziemlich gut. 
Das Thema? Selbstorganisation. 

Das lass ich mal so stehen. 

Ein leicht hysterisches Kichern aus dem Land des Lächelns sendet Dir

Susanne

PS: Das F in Montag steht für Freude!