Lieber Horst,
Ich weiß genau, was Du meinst! So viel Natur, das ist verstörend für uns Großstädter. Heute früh, als ich wieder einmal auf dem Balkon stand, um frische Luft zu schnappen, hörte ich plötzlich ein markerschütterndes Zetern und Schreien. Erst dachte ich, es gäbe wieder Streit in der Warteschlange vor der Apotheke. Aber es war nur der Ruf eines paarungswilligen Fuchses. Und was Dein Problem mit diesem Marder angeht, da könnte sich ja vielleicht der Bussard drum kümmern, der neuerdings immer über unserem Haus kreist. Ich meine – was kommt als Nächstes, Delfine im Teltowkanal?
Ob ich mal nachgucken gehe? Zeit hätte ich gerade, in der Warteschlange zum IBB-Soforthilfe-Antrag sind immer noch 163.546 Menschen vor mir…
Gestern war ja nun mein Geburtstag. Ich wollte gar nicht so recht, irgendwie fühlt sich das nicht richtig an, in so einer sorgenvollen Zeit so etwas Banales wie Geburtstag zu haben.
Zudem muss ich gestehen, dass das Älterwerden zu den Dingen gehört, die mir mit zunehmendem Alter immer schwerer fallen. Ein schöner Indikator dafür ist, welche Melodien mir in den Sinn kommen, wenn ich morgens in den Spiegel gucke. Du kannst nicht immer siebzehn sein. Oder Zombie. Oder wie hieß noch dieser 30er Jahre-Schlager, Liebling, der Herbst lässt dich grüßen? Aber das nur am Rande.
Letztlich war es dann doch ein überraschend schöner Tag. Hast Du diesen schönen Schnee gesehen? Und ich habe neben einem selbst gebackenen Kuchen (…) viele unglaublich nette Nachrichten und ganz herzerwärmende Post bekommen. Echte Post! Die Menschen schreiben wieder, ist das nicht ein wunderbarer Nebeneffekt dieser Zeit? Einige formulierten bei der Gelegenheit zwar auch sehr wortreich ihre aktuellen Sorgen (im Fall meiner Tante Elise war in der Glückwunschkarte eine ausgeschnittene Statistik der Corona-Toten von Italien aufgeklebt), aber die guten Wünsche überwogen. Die meisten wünschen mir demnach für das kommende Lebensjahr Gesundheit, Glück und Klopapier. Das hätte mich vor einem Jahr wohl noch ein wenig irritiert.
Der Knaller war meine Freundin Nina. Nina hat ihren Gruß nicht geschrieben, sondern getanzt. Mitten auf der Straße, mit Luftballons in der Hand. Ich habe ihr aus gebotener Distanz aus dem 4. Stock zugesehen und mich sehr, sehr reich gefühlt.
Freundinnen wie Nina kannste ja bei keiner IBB beantragen.
Ein bißchen sentimental, aber bester Dinge grüßt Dich
Susanne
PS: Heute früh fiel mir beim Blick in den Spiegel übrigens kein Lied ein, sondern direkt Inge Meysel.