#3 Philadelphus coronarius

Lieber Horst,

im Internet kursieren jetzt viele Videos von singenden Menschen auf italienischen Balkonen, das finde ich sehr berührend. Ich war gerade mal auf dem Balkon und habe mir vorgestellt, das hier auch zu machen, wenn die Ausgangssperre kommt. Ein Klavier wäre auch da. Allerdings steht zu befürchten, dass die Leute hier eher die Polizei rufen oder Blumentöpfe nach mir werfen würden. Ich wohne ja in Steglitz, das ist nicht immer einfach. 
Sagen wir mal so, in meiner ersten Wohnung hier in der Gegend hatte ich schon als seltsame Kräuterhexe gegolten, weil ich Basilikum besaß. Das war den Geranienmenschen sehr unheimlich. Wenn ich jetzt noch anfange zu singen …

Nachher soll es eine Ansprache der Kanzlerin geben. Allein die Tatsache bestärkt einen schon in diesem Gefühl von Ausnahmezustand, findest Du nicht? Ich bin gespannt. 

So lange gehe ich den Balkon bepflanzen. Von Lidl habe ich vorhin einen Zierstrauch mitgebracht, den ich den Bildern auf der Verpackung nach für wilden Jasmin halte. Zu Hause erst las ich den Namen: Philadelphus coronarius. Kein Scherz. Irgendwas sagt mir, der wird gut wachsen.  

Ich habe ja kein eigenes Zimmer, in das ich mich zurückziehen kann. „Aber du hast doch die Küche“ hat mein Sohn mal gesagt. Aber nur einmal.  Jedenfalls bin ich froh, dass ich immerhin den Balkon mehr oder weniger mein eigen nennen kann, auch wenn er im Moment voll mit Weinflaschen und Bierkisten steht. Ja nun, jeder hortet auf seine Weise. 

(Seit die Kinder letzte Woche einkaufen waren, haben wir auch genug Chips und Schokolade für Monate. Alwo theoretüff.)

Liebe Grüße,
Susanne

#7 Feier nicht so hart

Lieber Horst,

Unser Sohn feiert heute seinen 16. Geburtstag!
Ich habe Schokoladenkuchen gebacken, Girlanden aufgehängt und den Tisch schön gedeckt. Ein Hauch Normalität in dieser seltsamen Zeit. (Er sei sehr dankbar, sagte er übrigens, dass es keine Kindergeburtstagsservietten gibt, er bekäme diese Bilder gar nicht mehr aus dem Kopf. Danke, Horst! soll ich ausrichten.)

Einer aus der Klasse hat ihm einen Glückwunsch über WhatsApp geschickt: Feier nicht so hart, Alter! Und naja, ich sag mal, bei maximal 2 Leuten und mindestens anderthalb Meter Abstand ist das wohl ein überaus realistischer Wunsch. Immerhin hat er mit ein paar Freunden online reingefeiert.

In meiner Familie haben fast alle im März Geburtstag. Anders gesagt: Da wo andere Bewegungsmangel haben, haben wir Bewegungsmangel mit Schlagsahne. Wo soll das nur hinführen. Gestern habe ich ein Fahrzeug von der Fettfeuerwehr gesehen und war ein bißchen erleichtert, dass sie nicht direkt in unsere Straße eingebogen sind.

Aber draußen Sport machen ist ja zur Zeit noch erlaubt.

Es sind Sätze wie dieser, über die ich im Moment oft schmunzeln muss. Vor ein paar Wochen hätten wir noch von „zum Sport gehen müssen“ geredet, mitmal reden wir über „Sport machen dürfen“.  Wir besprechen morgens, wer von uns einkaufen gehen darf.  Oder wann die Schule wohl endlich wieder losgeht. 

Das mit den Schularbeiten zu Hause erlebe ich übrigens wie wohl viele andere Eltern auch als ganz schöne Herausforderung. Und ich habe den Eindruck, Lehrer gehören neben den Pflegekräften zu den Berufsgruppen, die im Laufe dieser Krise nachhaltig an Respekt und Wertschätzung gewinnen werden. Oder um es mit den kleinlauten Worten einer anderen Mutter zu sagen: „Ich dachte ja immer, der Lehrer ist das Problem…“

So, das Abenteuer ruft, ich gehe mal einkaufen.

Gruß mit Sahne,
Susanne 

#9 Veilchen im Moose

Lieber Horst,

Erst einmal ein Nachtrag zum Montagabend: 
21 Uhr. Als der Nachbar zum Rauchen auf den Balkon geht, fangen alle plötzlich an zu klatschen. Überall in den umliegenden Häusern stehen Menschen an geöffneten Fenstern und auf den Balkonen. Er richtet sich auf und hält inne. Es braucht einen Moment bis er merkt, dass er gar nicht gemeint ist…
 
Das war wirklich sehr rührend, es sind Augenblicke wie dieser, die mich ein bißchen über diese elende Zeit der geschlossenen Theatersäle hinweg trösten. 

Das Zitat Deiner Tante, das mit der Sahne, gefällt mir. Es ist so genussfreundlich! Ich habe mal nachgedacht, ob irgendeine meiner Tanten auch mal durch eine nette Redensart aufgefallen wäre, aber ich entstamme da eher der Art Familie, in der Müßiggang aller Laster Anfang war, Bescheidenheit eine Zier und vor allem Undank der Welten Lohn. 
Vielleicht brauche ich deshalb heute so viel Schlagsahne.

Außerdem fiel mir in diesem Zusammenhang eine Szene ein, in der meine Tante Erna einen unvergessenen Auftritt hatte.
Es war bei der Hochzeitsfeier meiner Cousine, alle waren aufgestanden, um auf das frisch getraute Paar anzustoßen, und der Brautvater hob gerade an, einen Toast auszusprechen. Tante Erna als die Älteste der Gesellschaft wollte endlich auch mal was sagen. Feierlich reckte sie ihr Glas in die Höhe, holte tief Luft und rief mit der ihr eigenen energischen Stimme: „Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich nicht was Bess´res findet!“ 
Das muss man bei einer Hochzeit erstmal bringen. 

Ich gehe jetzt mal wieder auf meinen Balkon. Da ist die Welt noch in Ordnung, die Bienen summen und der Flieder blinzelt schon ganz zaghaft heraus. Hornveilchen habe ich auch gepflanzt. Sei wie ein Veilchen im Moose, haben meine Tanten auch immer gesagt, fällt mir dabei ein, bescheiden, sittsam und rein. Und nicht wie die stolze Rose die immer bewundert will sein. Und an Glaubenssätzen wie diesem arbeiten der Feminismus und ich uns nun seit Jahrzehnten ab.

Übrigens, der Tippfehler des Tages (siehe #5) kommt heute nicht von mir, sondern von meiner Freundin Marén: ich liebe es jetzt schon, das Buschwindhöschen!

Bunte Grüße,
Susanne

#11 Positiv bleiben

Lieber Horst,

Ich tippe auf die Jogginghose. Richtig? 
Karl Lagerfeld soll ja mal gesagt haben „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“ Ob dem so ist, sei mal dahingestellt. Aber schön finde ich, dass meine Kinder seither immer, wenn sie irgendwo ein Bild von Karl Lagerfeld erblicken, die großartige Frage stellen: „Ist das nicht der mit der Jogginghose?“

Das kann er nicht gewollt haben.  

Ja, auch ich bemerke, dass der Schluffilook des Home-Office was mit meinem Habitus macht. Nicht nur in den eigenen vier Wänden, ich gehe sogar so raus inzwischen. Angesichts all der existenziellen Fragen dieser Zeit verlieren irgendwie viele Dinge an Bedeutung, Modefragen gehören dazu.
Die große Schwester der Jogginghose ist bei mir übrigens die Home-Alone-Hose: eine eigentlich längst ausrangierte urgemütliche Cordhose, deren Anblick ich sonst nicht mal mehr meiner Familie zumute, an der mein Herz und meine Hüften aber sehr hängen. In der war ich gestern auch einkaufen. 

Bei unserem Supermarkt gibt es jetzt diese aufgemalten roten Linien auf dem Boden vor dem Kassenbereich. Manchmal sind sie nur schwer zu erkennen, weil so viele Menschen gleichzeitig darauf stehen. 
Man hört ja momentan viel über Streit und Zank in den Geschäften. In unserer Filiale ist der Ton, soweit ich das mitkriege, noch relativ höflich. Was vermutlich auch daran liegt, dass es so Menschen wie mich gibt, die es manchmal einfach nicht übers Herz bringen, jemandem den Marsch zu blasen, obwohl es vielleicht angebracht wäre.
Gestern zum Beispiel rückte eine alte Dame in der Schlange mir ganz fürchterlich auf die Pelle. Vorgelassen werden wollte sie leider auch nicht. Sie wollte lieber immer und immer wieder ganz verzückt den Stoff meiner Home-Alone-Hose befühlen (!) und mir davon erzählen, dass sie so eine auch gehabt hätte, damals in den Sechzigern. Als sie noch viel tanzen gegangen war, ihre Hände noch nähen konnten, ihr Mann noch lebte und ach. Meine Hinweise auf die Linien ignorierte sie souverän. Ich gab auf. Als ich meinen Einkauf verstaut hatte und den Laden verließ, war die alte Dame gerade am Bezahlen, ich hörte die Kassiererin noch sehr höflich sagen „Es wäre nett, wenn sie die Scheine nächstes Mal nicht anlecken…“ 

Es ist wirklich nicht immer leicht, sich richtig zu verhalten dieser Tage. Man weiß ja nie, wo die nächste Kontaktperson lauert?  Kontaktperson, auch so ein Wort der Stunde.  
Eine Freundin schrieb mir gestern:
„ Ich bin jetzt offiziell Kontaktperson. Warte noch auf das Testergebnis. Aber ich bleibe positiv.“ 

Das lass ich jetzt einfach mal so stehen.

Mit höflichem Gruß,
Susanne 

#13 Aufwachen wird überbewertet

Lieber Horst,

Oh Mann. Heute ist einer dieser Tage. 
Es fing schon mit dem Aufwachen an, der Himmel war grau, von guter Laune keine Spur, sogar der Wecker stand auf 08/15. Aufwachen wird meiner Meinung nach total überbewertet. 
Ich ließ meinen müden Blick durch das Zimmer schweifen. Und das Zimmer guckte zurück. 

Das ist definitiv einer der Nachteile der Quarantäne-Zeiten: Man hat keine Ausreden mehr.
Die Wohnung sieht nicht mehr so aus, weil man nie Zeit hat. 
Die Wohnung sieht so aus. 
Und man würde noch viel mehr davon sehen, wenn durch die dreckigen Fenster mehr Licht käme. Ja, vielleicht ist es in Wirklichkeit gar nicht so schlimm und es liegt nur am Wetter und meiner krisengebeutelten Grundstimmung. Aber ich sag mal so – wäre das hier eine Ferienwohnung, ich würde sofort reklamieren.

Ich war um ehrlich zu sein noch nie so die Putzfee.  Cafés und  Restaurants habe ich deshalb auch schon immer übelgenommen, wenn sie so vermeintlich einladende Namen tragen wie Como en Casa.  Ich gehe schließlich nicht weg, um mich zu fühlen wie zu Hause, Hallo? 
Mein Sohn wollte ja neulich auch nicht in dieses Restaurant rein, weil auf der Tafel was von Omas Küche stand. (Jeder, der schon mal in der Küche meiner Schwiegermutter – aber das ist ein anderes Thema.)

Naja, über Restaurantbesuche muss man sich ja nun momentan keinen Kopf machen. 
Es wird zu Hause gegessen. Alle sind immer da. Und alle essen. Auch der Kühlschrank sieht aus. Wenn das noch lange so weitergeht mit den Ausgangsbeschränkungen, brauche ich einen Sandsack. Also – nicht nur wegen der Figur. Im Sportgeschäft hatte ich schon mal einen gesehen, da steht praktischerweise gleich ALEX, der Name des Herstellers, drauf. (Ich würde Alex allerdings einräumen, auf die andere Seite SUSANNE drauf zu schreiben. An Tagen wie heute bin ich nämlich unerträglich.)

Im Kühlschrank, ganz unten im Gemüsefach, habe ich vorhin einen Hefewürfel gefunden. Das neue Gold. Vielleicht backe ich heute noch ein Brot? 
Auch dieser Tag wird schon irgendwie rumgehen, und – um abschließend noch was Positives zu sagen: dank dieser elenden Zeitumstellung ist er ja wenigstens eine Stunde kürzer. 

Die Hefe geht. Johnny Walker kommt. 

Einen harmonischen Tag wünscht Dir

Susanne

PS: In Axel Hackes Geschichten hört ja sein Kühlschrank auf den Namen Bosch. In der Studenten-WG eines Freundes heißt der Kühlschrank jetzt Boschido.  Wie heißt Dein Kühlschrank, Horst?  

#15 Liebling, der Herbst lässt dich grüßen

Lieber Horst,

Ich weiß genau, was Du meinst! So viel Natur, das ist verstörend für uns Großstädter. Heute früh, als ich wieder einmal auf dem Balkon stand, um frische Luft zu schnappen, hörte ich plötzlich ein markerschütterndes Zetern und Schreien. Erst dachte ich, es gäbe wieder Streit in der Warteschlange vor der Apotheke. Aber es war nur der Ruf eines paarungswilligen Fuchses. Und was Dein Problem mit diesem Marder angeht, da könnte sich ja vielleicht der Bussard drum kümmern, der neuerdings immer über unserem Haus kreist. Ich meine – was kommt als Nächstes, Delfine im Teltowkanal? 
Ob ich mal nachgucken gehe? Zeit hätte ich gerade, in der Warteschlange zum IBB-Soforthilfe-Antrag sind immer noch 163.546 Menschen vor mir…

Gestern war ja nun mein Geburtstag. Ich wollte gar nicht so recht, irgendwie fühlt sich das nicht richtig an, in so einer sorgenvollen Zeit so etwas Banales wie Geburtstag zu haben.
Zudem muss ich gestehen, dass das Älterwerden zu den Dingen gehört, die mir mit zunehmendem Alter immer schwerer fallen. Ein schöner Indikator dafür ist, welche Melodien mir in den Sinn kommen, wenn ich morgens in den Spiegel gucke. Du kannst nicht immer siebzehn sein. Oder Zombie. Oder wie hieß noch dieser 30er Jahre-Schlager, Liebling, der Herbst lässt dich grüßen? Aber das nur am Rande.

Letztlich war es dann doch ein überraschend schöner Tag. Hast Du diesen schönen Schnee gesehen? Und ich habe neben einem selbst gebackenen Kuchen (…) viele unglaublich nette Nachrichten und ganz herzerwärmende Post bekommen. Echte Post! Die Menschen schreiben wieder, ist das nicht ein wunderbarer Nebeneffekt dieser Zeit? Einige formulierten bei der Gelegenheit zwar auch sehr wortreich ihre aktuellen Sorgen (im Fall meiner Tante Elise war in der Glückwunschkarte eine ausgeschnittene Statistik der Corona-Toten von Italien aufgeklebt), aber die guten Wünsche überwogen. Die meisten wünschen mir demnach für das kommende Lebensjahr Gesundheit, Glück und Klopapier. Das hätte mich vor einem Jahr wohl noch ein wenig irritiert.

Der Knaller war meine Freundin Nina. Nina hat ihren Gruß nicht geschrieben, sondern getanzt. Mitten auf der Straße, mit Luftballons in der Hand. Ich habe ihr aus gebotener Distanz aus dem 4. Stock zugesehen und mich sehr, sehr reich gefühlt.
Freundinnen wie Nina kannste ja bei keiner IBB beantragen. 

Ein bißchen sentimental, aber bester Dinge grüßt Dich

Susanne


PS: Heute früh fiel mir beim Blick in den Spiegel übrigens kein Lied ein, sondern direkt Inge Meysel.

#17 Krisenlocken und Kreuzworträtsel

Lieber Horst,

was für ein schönes Foto! Ich finde, Du solltest Deine Lichterkette öfter offen tragen. Glanz, Spannkraft, strahlend schöne Farben: alle Verheißungen des Shampoo-Regals auf einmal, zack fertig. Genial!

Wir haben hier noch keine rechte Lösung gefunden für die friseurlose Zeit. Wir verwildern so vor uns hin. Der Jüngste stand heute früh vorm Spiegel und sagte: „Oh. Ich kriege Krisenlocken“, befand dann aber, dass die Corona-Ferien, wie er die aktuelle Schulzeit zu nennen pflegt, super geeignet seien, um mal lange Haare auszuprobieren. Noch so ein Zeichen der Zeit also. Auch in der Warteschlange vor dem Supermarkt konnte ich manche Frisur in der Krise entdecken.

Vor unserer Lidl-Filiale gibt es jetzt einen Türsteher, der aussieht als hätte er bis vor kurzem noch im Berghain gearbeitet. Er ist auffallend breitschultrig und guckt sehr wichtig, ihn umweht eine gewisse Aura der Macht und der Gefahr. Sehr rührend ist allerdings, wie er immer wieder versucht, die Flasche Glasreiniger, mit der er die Griffe der Einkaufswagen desinfiziert, in der Hand zu drehen wie einen Colt. Dabei fällt sie ihm leider ständig runter, was dann letztlich unheimlich viel Zeit und Würde kostet. 

Im Laden selbst fühle ich mich derzeit immer wieder mal an die frühen Computerspiele der Achtziger erinnert. Pac Man oder Lady Bug, so muss das aus der Vogelperspektive aussehen wie die Leute versuchen, in größtmöglichem Abstand umeinander herum durch die Gänge zu fahren und dabei ihre goldenen Hefewürfel und andere Begehrlichkeiten einzusammeln. Beim letzten Einkauf habe ich mich tatsächlich dabei erwischt, wie ich den Sound dazu vor mich hin gemurmelt habe, diese Atari-Belohnungsgeräusche, Crabcrabcrab. Und Tüdelidütü. Ich glaube, wenn Corona irgendwann durch ist, werde ich mir den Ruf der durchgeknallten Frau aus der Nachbarschaft endgültig erarbeitet haben.

Und zu Hause? Eine schräge Art Alltag etabliert sich allmählich und alle sind redlich bemüht, sich nicht allzu sehr auf die Nerven zu gehen. Manchmal gibt es auch überraschend schöne Momente. Als ich mich neulich an einem Kreuzworträtsel zu schaffen machte, zum Beispiel, da legte mein Sohn doch glatt sein Smartphone zur Seite, setzte sich zu mir und wollte miträtseln. 
„Indisches Frauengewand?“ fragte ich also. „Wasabi“, rief er stolz.
„Unterwelt der nordischen Mythologie?“ „Berghain.“
Wir haben das abschließende Lösungswort auf diese Weise natürlich nicht herausbekommen, aber wir hatten viel Spaß. Wie hieß es so klug auf einer meiner Geburtstagskarten? Wenn der Weg schön ist, dann frage nicht, wohin er führt. 
In diesem Sinne:

Ein fröhliches Tüdelidütü aus Steglitz,

Susanne

#19 Kornkreise und andere Baustellen

Lieber Horst,

ja, so schließt sich der Kornkreis. In unserer Familie sind die Kinder für das tägliche Update der Verschwörungstheorien zuständig, die sind da immer sehr gut informiert. Weißt Du denn schon von den Maschinenelfen in den Führungsetagen des Silicon Valley? Das erklärt ja so viel!

Mir persönlich gefiel auch die knappe Meldung „Zewa hat Apple gekauft“ sehr gut. Aber möglicherweise handelte es sich dabei auch nur um einen schlichten Aprilscherz. Wer weiß das schon noch zu unterscheiden, dieser Tage?! Wo Regierungen auf Flughäfen Mundschutzraub betreiben wie die Piraten, angeführt von einem verwirrten Mann, der aussieht als hätte er ein Eichhörnchen, um genau zu sein: ein schon sehr lange verstorbenes Eichhörnchen auf dem Kopf und der seinen Teint auf das böse Licht der Energiesparlampenindustrie zurückführt. 
Also, bei all dem Reden über alte weiße Männer – wir müssen auch die alten orangen Männer dringend im Auge behalten.     

Ansonsten wackeln bei uns weiterhin die Wände: Eines der wenigen Dinge, die auch in dieser seltsamen Zeit der Corona-Krise Bestand haben, ist der Lärm der nahgelegenen Baustelle. Homeoffice hat sich hier noch nicht durchgesetzt. 
Seit anderthalb Jahren ist die Birkbuschstraße auf knapp 1 km Länge aufgerissen. Ich erinnere mich noch an diese Ankündigung der „vorübergehenden Einschränkungen“, die 2018 an unserer Haustür klebte. Die Kinder hatten erstmal nur die Überschrift gelesen – „Ausbau des Netzes“ – und waren in unbändigen Jubel ausgebrochen, bis sie feststellten, dass es um Warmwasserrohre ging.  

Ich mag es ja immer, wenn Dinge Namen haben, die zu ihnen passen. Die Baufirma, die nun also seit anderthalb Jahren lautstark, Tag für Tag und vor allem ohne jeden ersichtlichen Fortschritt die Straße in Schutt und Asche legt, heißt Alda. Das ist doch sehr Berlin, oder? Und entspricht auch ziemlich genau dem, was ich jeden Morgen um 7 Uhr vor mich hin brumme, wenn der Presslufthammer seinen Morgengruß morst. Alda. Ob es schon eine Firma namens Digga gibt?
Tagsüber sieht man dann immer wieder mal Anzugträger mit Bauhelmen auf dem Kopf und Verzweiflung im Blick die Straße abschreiten… Ja, ich spreche es jetzt einfach mal aus, Horst:
Nach Lage der Dinge glaube ich, dass hier heimlich ein Flughafen gebaut wird.

Und apropos Fliegen: die ersten Störche sind da!
In einem Bericht im Info-Radio habe ich gelernt, dass Störche nicht unbedingt partnertreu, aber durchaus „horsttreu“ sind.

Mit diesem schönen Wort grüßt Dich

Susanne

#21 Siri vs. Hilde

Lieber Horst,

Draußen nur Eimer gefällt mir. Es muss ja auch nicht immer Sangria sein, so einen Eimer Gin Tonic könnte ich mir auch gut vorstellen. Und draußen ist sowieso gut. Alles, was draußen ist, ist gerade gut, Draußen ist mein Freund. Ich habe lange nicht so intensiv den Wunsch verspürt, draußen zu sein, wie jetzt in der Zeit der Ausgangsbeschränkungen. 
In den Neunzigern gab es in Mitte übrigens mal einen Underground-Club namens Eimer, da konnte man dann getrost sagen „Ich bin im Eimer“ und hatte damit meist in jeder Hinsicht recht. Aber das nur am Rande.

Trägst Du eigentlich schon Mundschutz, Horst? Oder nähst Du noch? 
Gestern habe ich für meinen täglichen Spaziergang so einen OP-Kittel-grünen Standardlappen hervorgekramt, den ich vor Jahren mal in meiner Hausapotheke archiviert hatte. Ich dachte, ich zeige mal Engagement und lege ein wenig Compliance an den Tag. Aber hast Du Dich mal umgeguckt?  Mit so einem schlichten Modell kann man sich ja kaum noch aus dem Haus trauen. Blümchenmuster, bunte Bändchen, feinste Stoffe, bei vielen Leuten ist da inzwischen richtig was los im Gesicht! Und viele nähen ja jetzt auch selbst. Davon verstehe ich leider überhaupt nichts. Häkeln könnte ich. Aber ein gehäkelter Mundschutz wird´s in puncto fiese Viren wohl nicht bringen, der würde mich maximal vor dem Einatmen von Maikäfern beschützen. 

Ein recht unterhaltsamer Aspekt des Mundschutzes ist ja, dass der Mann jetzt nicht mehr von seinem I-Phone erkannt wird. Er ist ein bißchen gekränkt. 
In der Zeitung habe ich über eine Designerin gelesen, die diese Lücke schließen will: man kann ihr ein eingescanntes Portrait schicken, sie druckt dann den entsprechenden Bereich des Gesichts auf den Mundschutz drauf, damit die Gesichtserkennung keine Schwierigkeiten bereitet. Hammer. Krisen setzen ja immer eine gewisse Kreativität frei bei den Menschen. Ich bin nur manchmal erstaunt, an welchen Stellen. 

Das I-Phone des Mannes ist sowieso so ein Thema. Dieses erotische Gesäusel von Siri macht mich nochmal ganz verrückt. Selbst wenn es nur um Abfahrzeiten oder Kochrezepte geht, ich habe irgendwie immer ein bißchen das Gefühl, ich würde stören, wenn die zwei sich unterhalten. Er provoziert mich damit auch gerne mal, indem er im Vorbeigehen so Sätze raunt wie „Siri, kommst Du mit mir in die Badewanne?“ und Siri haucht dann wirklich zurück „Das ist alleine Deine Entscheidung, Alexander…“ Irgendwann werde ich sagen „Komm, Siri, lass uns vor die Tür gehen und das regeln wie Frauen“, und dann bin ich mal gespannt, wer das letzte Wort hat.

Ich hätte überhaupt große Lust, mal eine eigene Sprachassistentin zu programmieren. So eine renitente, mit ein bißchen Berliner Schnauze.  Ich würde sie vielleicht Hilde nennen, nach meiner alten Tante. Dann fragt der geneigte I Phone-Mann vielleicht „Hilde, suche Rezepte für Sellerieauflauf“ und Hilde antwortet „Such doch selber, du fauler Sack“. Oder „Hilde, wann fährt der nächste Bus zum Rathaus Steglitz?“ „Die fahrn doch eh wie se wollen, und n bißchen loofen würde dir ooch nich schaden“. Und bei „Hilde, kommst Du mit mir in die Badewanne?“ würde ein energisches „ABA SONZ JEHT`S JUT, JA?“ reichen. 

Oooh ja, ich glaube, das würde mir wirklich Spaß machen.

Und Du so, Hotte? Allet frisch oder drehste ooch langsam am Rad?

Tschüssikowski,

Susanne & Hilde

#23 Gesundheit!

Lieber Horst, 

Das Alter wird es gut mit Dir gemeint haben, wie schön! Mit so einem Bild könnte man doch dann theoretisch heute schon die Kontaktanzeige von morgen entwerfen, überlege ich gerade? 
Ich habe in der Tat auch schon mal mit so einem Morphing-Programm herumgespielt. Eine Freundin hatte mir ganz aufgewühlt gezeigt, dass ihr gealtertes Ich genau so aussehen würde wie ihre Mutter, es war wirklich verblüffend, und sie wußte nicht so genau wie sie das finden sollte. Ich hatte es daraufhin auch ausprobiert, und tatsächlich, auch ich fand es sehr verblüffend, denn demnach werde ich in dreißig Jahren genau so aussehen wie mein Vater. Und wußte auch recht spontan wie ich das finde. 

Mein Vater hat seine späte Liebe ja noch offline kennengelernt, beim Plausch auf dem Friedhof. Ich glaube, das ist nach wie vor die gängigste Plattform in seiner Altersgruppe. Also die Platt-Form, sozusagen. Im Rheinland gibt es unter älteren Frauen übrigens die schöne Formulierung „Ich geh ma den Mann gießen“, hat mir eine Freundin erzählt, aber das nur am Rande. 

Ach ja, apropos offline. Um mich herum machen jetzt alle Online-Sport. Ich konnte mich bisher noch nicht durchringen. Aber Frau Merkels erster Auftritt nach der 14tägigen Quarantäne hat mich nachdenklich werden lassen.
Hefe ist übrigens durch, Langhanteln sind das neue Klopapier, habe ich mir sagen lassen. Aber auch das möchte man sich ja plastisch nicht vorstellen. 

Ansonsten: Der Frühling blüht, die Pollen fliegen. Ich merke es daran, dass ich morgens jetzt manchmal vom Niesen der Bauarbeiter geweckt werde. Achte mal drauf, die wenigsten Menschen niesen ja auf Hatschi. Heute morgen zum Beispiel war es Letscho und Hassan. 

Tja, man muss die Abwechslung halt auch mal würdigen, die der so Alltag bereithält. 

Viele Grüße und Gesundheit,
Susanne

PS: Anbei ein Jugendfoto.