#7 Feier nicht so hart

Lieber Horst,

Unser Sohn feiert heute seinen 16. Geburtstag!
Ich habe Schokoladenkuchen gebacken, Girlanden aufgehängt und den Tisch schön gedeckt. Ein Hauch Normalität in dieser seltsamen Zeit. (Er sei sehr dankbar, sagte er übrigens, dass es keine Kindergeburtstagsservietten gibt, er bekäme diese Bilder gar nicht mehr aus dem Kopf. Danke, Horst! soll ich ausrichten.)

Einer aus der Klasse hat ihm einen Glückwunsch über WhatsApp geschickt: Feier nicht so hart, Alter! Und naja, ich sag mal, bei maximal 2 Leuten und mindestens anderthalb Meter Abstand ist das wohl ein überaus realistischer Wunsch. Immerhin hat er mit ein paar Freunden online reingefeiert.

In meiner Familie haben fast alle im März Geburtstag. Anders gesagt: Da wo andere Bewegungsmangel haben, haben wir Bewegungsmangel mit Schlagsahne. Wo soll das nur hinführen. Gestern habe ich ein Fahrzeug von der Fettfeuerwehr gesehen und war ein bißchen erleichtert, dass sie nicht direkt in unsere Straße eingebogen sind.

Aber draußen Sport machen ist ja zur Zeit noch erlaubt.

Es sind Sätze wie dieser, über die ich im Moment oft schmunzeln muss. Vor ein paar Wochen hätten wir noch von „zum Sport gehen müssen“ geredet, mitmal reden wir über „Sport machen dürfen“.  Wir besprechen morgens, wer von uns einkaufen gehen darf.  Oder wann die Schule wohl endlich wieder losgeht. 

Das mit den Schularbeiten zu Hause erlebe ich übrigens wie wohl viele andere Eltern auch als ganz schöne Herausforderung. Und ich habe den Eindruck, Lehrer gehören neben den Pflegekräften zu den Berufsgruppen, die im Laufe dieser Krise nachhaltig an Respekt und Wertschätzung gewinnen werden. Oder um es mit den kleinlauten Worten einer anderen Mutter zu sagen: „Ich dachte ja immer, der Lehrer ist das Problem…“

So, das Abenteuer ruft, ich gehe mal einkaufen.

Gruß mit Sahne,
Susanne 

#15 Liebling, der Herbst lässt dich grüßen

Lieber Horst,

Ich weiß genau, was Du meinst! So viel Natur, das ist verstörend für uns Großstädter. Heute früh, als ich wieder einmal auf dem Balkon stand, um frische Luft zu schnappen, hörte ich plötzlich ein markerschütterndes Zetern und Schreien. Erst dachte ich, es gäbe wieder Streit in der Warteschlange vor der Apotheke. Aber es war nur der Ruf eines paarungswilligen Fuchses. Und was Dein Problem mit diesem Marder angeht, da könnte sich ja vielleicht der Bussard drum kümmern, der neuerdings immer über unserem Haus kreist. Ich meine – was kommt als Nächstes, Delfine im Teltowkanal? 
Ob ich mal nachgucken gehe? Zeit hätte ich gerade, in der Warteschlange zum IBB-Soforthilfe-Antrag sind immer noch 163.546 Menschen vor mir…

Gestern war ja nun mein Geburtstag. Ich wollte gar nicht so recht, irgendwie fühlt sich das nicht richtig an, in so einer sorgenvollen Zeit so etwas Banales wie Geburtstag zu haben.
Zudem muss ich gestehen, dass das Älterwerden zu den Dingen gehört, die mir mit zunehmendem Alter immer schwerer fallen. Ein schöner Indikator dafür ist, welche Melodien mir in den Sinn kommen, wenn ich morgens in den Spiegel gucke. Du kannst nicht immer siebzehn sein. Oder Zombie. Oder wie hieß noch dieser 30er Jahre-Schlager, Liebling, der Herbst lässt dich grüßen? Aber das nur am Rande.

Letztlich war es dann doch ein überraschend schöner Tag. Hast Du diesen schönen Schnee gesehen? Und ich habe neben einem selbst gebackenen Kuchen (…) viele unglaublich nette Nachrichten und ganz herzerwärmende Post bekommen. Echte Post! Die Menschen schreiben wieder, ist das nicht ein wunderbarer Nebeneffekt dieser Zeit? Einige formulierten bei der Gelegenheit zwar auch sehr wortreich ihre aktuellen Sorgen (im Fall meiner Tante Elise war in der Glückwunschkarte eine ausgeschnittene Statistik der Corona-Toten von Italien aufgeklebt), aber die guten Wünsche überwogen. Die meisten wünschen mir demnach für das kommende Lebensjahr Gesundheit, Glück und Klopapier. Das hätte mich vor einem Jahr wohl noch ein wenig irritiert.

Der Knaller war meine Freundin Nina. Nina hat ihren Gruß nicht geschrieben, sondern getanzt. Mitten auf der Straße, mit Luftballons in der Hand. Ich habe ihr aus gebotener Distanz aus dem 4. Stock zugesehen und mich sehr, sehr reich gefühlt.
Freundinnen wie Nina kannste ja bei keiner IBB beantragen. 

Ein bißchen sentimental, aber bester Dinge grüßt Dich

Susanne


PS: Heute früh fiel mir beim Blick in den Spiegel übrigens kein Lied ein, sondern direkt Inge Meysel.