#61 Im Angesicht der Outdoor-Socke

Lieber Horst,

Das mit der Funktionskleidung …
Ich fange mal anders an. 

Ich mag es nicht, wenn mich schon früh am Morgen jemand zutextet. Manchmal quatscht einen ja schon der Teebeutel zu, mit so seichten Lebensweisheiten in weißer Schrift auf rotem Grund. Und dann ziehst Du Deine Socken an und wenn Du Pech hast, dann sind es Funktionssocken, die sagen nämlich Bescheid, wo rechts und links ist. R und L. Klugscheißersocken! Ich gebe zu, manchmal regt mich das so auf, dass ich sie absichtlich falsch rum anziehe. 
Nur um es ihnen zu zeigen. Weil ich´s kann!

Ich bin nicht so der Morgenmensch…

Der große Bruder von Funktions- ist ja Outdoor
Und was nicht alles Outdoor ist, inzwischen. Ich habe im Onlineversand kürzlich sogar die Kategorie „Outdoor-Regenschirme“ entdeckt. Ich meine – wo benutzt Du Deinen Regenschirm? Und was kommt als Nächstes? Der Outdoor-Geländewagen? Der Outdoor-Baum?

Wenn man übrigens „Outdoor Aluhut“ in die Produktsuche eingibt, wird auch eine beträchtliche Zahl von Angeboten angezeigt.
Der Verschwörungsmarkt boomt. Die Welt ist gestern zwar wieder mal nicht untergegangen und bisher habe ich auch keine Reptiloiden in den Straßen entdeckt – aber die Nachfrage scheint weiterhin enorm. 

Und deshalb – verzeih, Horst, ich komme einfach nicht umhin, diese Frage zu stellen: 
Ist der Aluhut das neue Klopapier? 

Mir scheint das mal ein passender Verwendungszweck. 

Warst Du denn heut schon outdoor?
Oder bist Du gar eingekehrt?
Hier machen gerade nach und nach die Restaurants wieder auf. Es liegt noch eine gewisse Behutsamkeit über allem, das scheint alles ganz gut zu funktionieren. Es ist rührend die Menschen zu beobachten, wie sie das erste Pils im sonnigen Biergarten achtsam an die lächelnden Lippen führen.

Ich hatte meine Hoffnung in meine frühere Lieblingskneipe eine Straße weiter gesetzt. Nachdem das alte Wirts-Ehepaar aufgehört hatte, wechseln da ständig die nicht sehr freundlichen Gesichter und alle paar Monate heißt der Laden anders. Deshalb hatte ich mich gefreut, als ich den handgeschriebenen Zettel an der Tür gelesen habe:
„Und endlich schön!! Nähere Infos unter 0176 …“
Das klang vielversprechend und sympathisch. Nun war ich gestern mal gucken, das Biergartenwetter lockte auch mich.
Die Tür war auf. Es ist ein Hair & Beauty Salon. Der Name ist „Und endlich schön“.
Ich versuche, es mit Fasson zu tragen.

Bleib behütet und sei ganz herzlich gegrüßt von

Susanne

PS: Mir wird tatsächlich gerade Werbung für Funktionsunterwäsche eingeblendet. Unterwäsche, die funktioniert, sah ja früher auch mal anders aus.

#62 In einer Welt, in der es nur noch Montage gibt

Liebe Susanne,

als ich gestern Abend durch die Bergmannstrasse ging, durfte ich feststellen, daß die jetzt wieder fast normal aussieht. Also relativ gesehen. 

Eben von den Leuten, die in und vor den Lokalen sitzen her.

Oder sagen wir normal für einen Montagabend. Einen leicht verregneten Montagabend. 

Also nochmal von vorn: Die Bergmannstrasse sieht am Samstagabend immerhin schon wieder fast wie an einem durchschnittlichen Montagabend bei mittelschlechtem Wetter aus. 

Was allgemein als Schritt zurück zur Normalität angesehen wird. Schön.

Nachdem jetzt mehrere Wochen lang alles stets gefühlt wie Sonntagnachmittag ausgesehen hat, kommt nun vielleicht ein längeres Montagabendgefühl. Jeden Tag. 

Wie mag es sein, in einer Welt zu leben, in der es nur noch Montage gibt? 

Was vor einigen Monaten noch ohne weiteres als reguläre Dystopie durchgegangen wäre, empfinden wir heute als stufenweise Rückkehr zur Normalität. Wer vom Sonntag kommt, für den ist Montag schon ein Schritt weiter. Wann werden wir auch die restlichen Wochentage zurückbekommen? Also vom Gefühl her.

Eine der unterschätzten Corona-Folgen war bei mir ja, daß ich die letzten Wochen viel zu viel Kaffee getrunken habe. Da ich so die ganzen Wirte in meiner Umgebung unterstützen wollte. Indem ich möglichst häufig ihr Coffee-to-go Angebot genutzt habe.

Einem meiner Lieblingswirte ist das auch aufgefallen, weshalb er vor ein paar Tagen sehr besorgt zu mir sagte:

„Du trinkst Zuviel Kaffee. Das ist nicht gut für Dich. Achte mehr auf Deine Gesundheit. Trink auch mal Bier oder Wein.“

Nur Wirte raten Dir, was Dir Wirte raten. Deswegen sind sie systemrelevant. 

Trotzdem bin ich froh, daß sie wieder mehr anbieten, als Kaffee und Flaschenbier.

 Ich hatte schon angefangen in der Musterung der Bürgersteigplatten die Grammatik einer jahrtausendealten Zeichensprache zu erkennen. 

Bislang konnte ich aber nur zwei Sätze aus der Maserung der Bürgersteigplatten entschlüsseln. Beide sind direkt vor meiner Haustür. Der erste lautet: „Hast Du den Herd ausgemacht?“ 

Der zweite Satz ist noch kryptischer, denn wenn ich mich nicht täusche steht da: „Es gibt keine jahrtausendealte Zeichensprache in der Maserung der Bürgersteigplatten und hier steht auch kein Satz.“ 

Schon seltsam, aber solange ich über solche Dinge nachdenke, laufe ich zumindest nicht Gefahr in den Sog von abstrusen Verschwörungstheorien zu geraten.

 Denn mein wesentlicher Vorwurf an die Verschwörungstheorien ist ja nach wie vor, daß die allesamt viel zu schlampig ausgedacht sind. 

Wenn die Verschwörungstheoretiker doch mal einmal ein bisschen Geld in die Hand nehmen und vernünftige Autoren oder Autorinnen verpflichten würden. 

In manchen Bereichen wäre es so einfach, diese Welt ein bisschen besser zu machen. Aber vielleicht wollen die Verschwörungstheoretiker genau das ja auch gar nicht.

Einen baldigen Dienstag wünscht Dir

Horst

#63 Ein Termin, ein Termin!

Lieber Horst,

gerade habe ich einen Zahnarzttermin gemacht. 
Für die ganze Familie, ich war gerade so in Schwung. 
Und ich habe bemerkt, wie gut es sich angefühlt hat, mal wieder etwas Verbindliches und halbwegs Sinnvolles in den Kalender einzutragen. Soweit ist es jetzt schon – ich mache Zahnarzttermine, um mich eines letzten Fünkchens Normalität zu vergewissern.  

Vielleicht werde ich an dem Tag sogar etwas früher hingehen, es ist ein sehr gemütliches Wartezimmer mit ansprechender Literatur, das Mineralwasser ist vorzüglich und das Behandlungszimmer gut isoliert, so dass man weder von Bohrgeräuschen noch von Schmerzensschreien belästigt wird, während man in Cartoonbänden schmökert, die Namen tragen wie „Im Land des Lächelns“, was ich für eine Zahnarztpraxis nun wirklich sehr passend  finde. 
Auch beim Friseur habe ich einen Termin bekommen, schon im Juni. Dort liegt immer „Zehn kleine Zappelfinger“ aus, fällt mir dabei ein, was ich persönlich für einen eher ungünstigen Titel halte bei jemandem, der mit einer Schere in Gesichtsnähe hantiert.

Sämtliche Termine, auch Zahnarzt und Friseur, trage ich immer gleich in den Online-Kalender ein. Es ist so ein synchronisierter Kalender für die ganze Familie, der uns dabei hilft, ein bißchen den Überblick zu behalten, was gerade bei wem anliegt. 

Ich habe mir angewöhnt, abgesagte Termine nicht komplett zu löschen, sondern nur mit dem Vermerk fällt aus zu versehen. In Corona-Zeiten hat das zur Folge, dass ständig Erinnerungen aufploppen an Veranstaltungen, bei denen ich jetzt auf der Bühne gestanden hätte. Das gibt mir jedes Mal die Gelegenheit für ein tiefes Seufzen und eine Art Gedenkminute, bevor ich weiter meinem fehlgesteuerten Alltag nachgehe, in dieser Minute denke ich an die Kolleginnen und Kollegen, die ich jetzt gesehen hätte, die Texte, die ich gelesen hätte, das Lampenfieber, das mich zermürbt hätte. 
Wie gerne wäre ich mal wieder rechtschaffen zermürbt. 

Jedenfalls – am Abend vor dem Einschlafen gucke ich immer nochmal in den besagten Kalender, ob für den nächsten Tag vielleicht doch etwas drinsteht, das ich auf dem Schirm haben sollte. So auch gestern. Der Mann war schon fast eingeschlafen, ich flüsterte noch beiläufig „Ach schön, Du hast morgen diese Online-Vorlesung“ und wollte gerade das Licht löschen. Doch da stand er plötzlich im Bett. Mit irrem Blick. Sehr blass und sehr wach.

„O Gott“ sagte er, „das ist morgen?“

Er hatte es völlig verpeilt. 

Leider handelt es sich bei dieser auf 8 Stunden angesetzten Vorlesung nicht etwa um was, woran er teilnehmen wollte, er ist der Dozent. In der Nacht machte er sich also wie wild Notizen und raufte sich die stündlich grauer werdenden Haare. Heute Morgen dann führte er zig Telefonate, in denen oft die Worte Hilfe und bitte fielen, denn er hatte es leider auch versäumt, sich einen Zugang zur Uni-Plattform einrichten zu lassen, den er für eine Online-Vorlesung braucht…
Kurzum – es ist alles nochmal gut gegangen. Kurz vor 10 stand der Zugang, das Seminar läuft, offenbar sogar ziemlich gut. 
Das Thema? Selbstorganisation. 

Das lass ich mal so stehen. 

Ein leicht hysterisches Kichern aus dem Land des Lächelns sendet Dir

Susanne

PS: Das F in Montag steht für Freude!

#64 Ableser und Vorleser

Liebe Susanne,

ich hatte gestern tatsächlich auch einen Termin. Sogar einen, für den ich um 6.00 Uhr aus dem Haus musste.

Was übrigens eine Art Termin ist, mit denen ich manchmal vor mir selber angebe. Da ich weiß, wie mich das beeindruckt, wenn ich mir von solchen Terminen erzähle. 

Der Ableser hatte sich angekündigt. Aber nicht für die Wohnung, sondern für den Schrebergarten, von dem ich an Ostern schon einmal erzählt habe. 

Da dieser Garten im äußeren Außenbezirk liegt, der Ableser sein Kommen jedoch in bewährter Sorglosigkeit zwischen 8.00 und 13.00 Uhr schätzte, musste ich also um sechse los. 

Nicht weil ich zwei Stunden für den Weg bräuchte, sondern weil ich, wenn ich spätestens um sieben zu gehen habe, absichtlich denke, daß ich um sechse los muss, damit ich es dann auch um sieben schaffe.

Ich war pünktlich. Der Ableser auch, was bei einer fünf-Stunden-Spanne nun aber auch nicht so die Leistung ist. Ich sag mal: So kann ich auch pünktlich sein. Vielleicht kann ich von ihm lernen.

„Ich komme dann Mittwoch zwischen 10.00 und 15.00 Uhr zum Mund öffnen vorbei. Bitten stellen Sie sicher, daß ich während dieser Zeit freien Zugang zu Ihrer Praxis habe und ein Zahnarzt zugegen ist.“

Ob ich bei meiner Zahnarztgemeinschaftspraxis auch einfach mal so einen Zettel einwerfen sollte? Oder besser noch beim Hautarzt. Da kriegt man sonst so schlecht einen Termin.

Nun fragt sich womöglich mancher, warum ich die Wasseruhr nicht einfach selber abgelesen habe. Gute Frage. Diese Wasseruhr jedoch ist in einem Gulli, am Ende eines Schachts. Der Gulli befindet sich leider im Schrebergarten der Freundin und da es in meinem Falle ja egal ist, wo ich das, was ich tagsüber zu machen habe, nicht mache, wurde ich beauftragt dem Ableser das Tor aufzusperren.

Irritierender weise kannte mich der Ableser als Vorleser.

 Er hat sich darüber total gefreut und meinte: „Lustig, da leben wir ja beide praktisch vom Ablesen.“

 Dann hat er gefragt, ob er ein Autogramm haben kann, weil ihm seine Frau das sonst nicht glaubt. Ich habe gesagt: „Klar, wenn Sie mir dafür die Wasseruhr signieren,“ was er dann auch gemacht hat.

Er fürchtete aber, daß ihm seine Frau auch das nicht glauben würde, weshalb ich ihm versprach, dies in der Blog zu schreiben, damit sie es dort nachlesen kann.

Nur falls sich jemand fragt, warum ich eigentlich diese ganze Geschichte hier erzähle. Weil die Frau es sonst nicht glaubt. Eine bessere Begründung hatte ich, glaube ich, noch nie für einen Text.

Vor- und ablesende Grüße

Horst

#65 Fenster machen wir gar nicht

Lieber Horst,

Großartig! Solche kleinen Begebenheiten wie Deine gestrige Begegnung mit dem Ableser tragen mich ja immer mit einem kleinen Lächeln durch den Rest des Tages, geht es Dir auch so? Dann laufe ich manchmal durch die Straßen und denke: ach guck, die anderen Leute haben heute auch alle gute Laune, dabei liegt es wahrscheinlich nur daran, dass ich selber mit diesem Lächeln unterwegs bin. Die lächeln einfach zurück. Auch etwas, das mir fehlt, mit Mundschutz sehen die meisten eben doch latent übellaunig aus.

Stell Dir vor – vor einiger Zeit, als wir noch keine Masken trugen, bin ich auch schon mal erkannt worden! Also gewissermaßen.
An der Bushaltestelle vor dem Wilmersdorfer Krankenhaus, in dem ich damals arbeitete, kam eine mir völlig unbekannte Frau schnurstracks auf mich zu und sagte „Frau Riedel! Wie schön!“ Signiert habe ich nichts, sie bat mich dann noch, Ihr beim Entziffern des Fahrplans zu helfen, und wir plauderten ein bißchen. Sehr nett. Das war auch so ein Tag: überall aufmerksame Menschen, ein Lächeln hier, ein Plaudern da.
Erst als ich zu Hause angekommen war und am Spiegel vorbeikam, bemerkte ich, dass ich mein Namensschild noch am Revers trug. 
„Sozialdienst – Frau Riedel“. 

Wenn mich jemand fragt, ob ich in meinem Leben mal was Mutiges gemacht habe, kann ich immerhin sagen: Ich bin mit einem Schild, auf dem „Sozialdienst – Frau Riedel“ stand, in die U7 eingestiegen. Zumindest in Sozialarbeiterkreisen ernte ich dafür schon mal ein anerkennendes Raunen. 

Ich habe nach Deinem Brief gestern mal mein Gedächtnis durchforstet nach ähnlich netten Begegnungen mit Ablesern oder Handwerkern. 
Sieht man mal von den optischen Herausforderungen manches Klempnerdekolletés ab, die ich hier jetzt nicht weiter vertiefen will, waren da viele wirklich nette Momente dabei. (Wenn man über Dinge redet, die man um keinen Preis vertiefen will, ist das Klempnerdekolleté ja per se ganz weit vorn.)

Am einprägsamsten allerdings war wie leider allzu oft ein negativer Ausreißer in der Serie. Ein Fliesenleger, der mal im Auftrag des Vermieters unser Bad neu gemacht hat. Er hatte die alten Fliesen nicht abgeschlagen, sondern die neuen einfach darüber geklebt. Das sah soweit ok aus, deshalb hatte ich es auch erstmal so abgenickt, als er fertig war. 
Kurz darauf musste ich allerdings feststellen, dass man nun leider das Fenster nicht mehr aufkriegte, da die Fliesen so weit von der Wand abstanden. Ich rief sofort den Handwerker an, der sich dreist für nicht zuständig erklärte und mit dem unvergessenen Satz antwortete:
„Ich bin Fliesenleger, gute Frau. Fenster machen wir gar nicht.“

An dem Mann konnte ich in den folgenden Tagen viel ruhiges Atmen und klare Kommunikation üben, so hat doch am Ende wieder alles auch sein Positives. So konnte ich die Sache mit den Dachdeckern dann auch deutlich abkürzen, die ihre leeren Bierflaschen und Essensreste unter den Dachziegeln entsorgt hatten und als ich sie erwischte meinten, das sei alles Absicht. „Wegen der Isolierung.“ 
Zu dem Zeitpunkt hatte ich das mit der klaren Kommunikation schon so gut drauf, dass ich gar kein Wort mehr sagen musste. Gucken reichte. 

Wenn Du mal Ärger hast und jemanden brauchst, der guckt, Horst – jederzeit!

Sonnige Grüße von

Susanne

#66 Warn Se da schon selba dran?

Liebe Susanne,

Handwerkergeschichten sind vielleicht ein sehr passendes Thema für den Vatertag.

Nun denn. Meine Familie ist gewiss nicht sehr furchtsam. Aber mit einer Sache kann ich sie verlässlich in Panik versetzen. Wenn ich ankündige, irgendetwas in der Wohnung selbst reparieren zu wollen. Dann haben plötzlich alle irgendwelche Termine außerhalb. Die im Idealfall rund eine Woche dauern. Denn solange braucht es in der Regel, bis ich häufig und ausdauernd genug gescheitert bin und einen Fachmann bestellt habe.

 Über die Zeit zwischen meinem ersten Versuch und den Anruf beim Handwerksbetrieb möchte ich nicht reden. Ich rede ja auch nicht darüber, wie ich mal meinen Studienschwerpunkt gewechselt habe, weil ich in der ersten Semesterwoche zwei Seminarräume verwechselt habe. Erst nach vier Wochen habe ich gemerkt, daß ich im falschen Kurs sitze, was ich aber weder vor mir, noch vor anderen zugeben wollte, weshalb ich dann eben meinen Studienschwerpunkt gewechselt habe. Solche Geschichten interessieren keinen und deshalb erzähle ich sie auch nicht.

Mittlerweile reicht es meistens, der Familie nur damit zu drohen, ich würde etwas selbst reparieren. Dann bestellen sie meistens hektisch jemanden, schaffen es aber doch, daß ich den später empfangen muss. 

Meine Tochter hat mir hierzu vor zwei Weihnachten ein T-Shirt geschenkt, auf welchem steht: „Alles muss man selber machen…  lassen.“

Dennoch habe ich im Laufe der Jahre viel über den Umgang mit Handwerkern gelernt. Die drei wichtigsten Regeln sind meines Erachtens:

1. Tue nie so, als ob Du Ahnung hättest. Du hast nämlich keine Ahnung. Du hast sogar so wenig Ahnung, daß Du nichtmal weißt, wie wenig keine Ahnung du hast. Solltest Du das nicht von selbst einsehen, wird der Handwerker es Dir erklären. Fordere ihn niemals heraus. Du verlierst in 11 von 10 Fällen.

2. Lobe nie vor ihm andere Handwerker. Er ist Dein Handwerker. Du sollst keine anderen Handwerker neben ihm haben. Zumindest keine besseren. Auch keine gleich guten. Das es überhaupt andere Handwerker gibt, ist schon schlimm genug.

3. Die aller-, allerwichtigste Regel: Wenn er fragt: „War’n Sie da schon selba dran?“, ist deine Antwort immer: „nein“. Und nur nein. Selbst wenn es noch so offensichtlich ist, daß Du lügst. Bleibe Deiner Lüge treu. Denn wenn Du einmal zugibst, irgendwo schon dran gewesen zu sein, bist Du für immer schuld. An jedem weiteren Problem. Alles wird damit angefangen haben, daß Du da schon dran warst.

In der Wohnung auf dem Wedding hat die Hausverwaltung mal jemanden geschickt, um den Wasserboiler im Bad zu reparieren. Er hat dann den Heizkörper in der Küche repariert. 

Mit der wortwörtlichen Begründung: Er hätte nicht die richtigen Teile für den Wasserboiler gehabt. Also habe er dann eben den Heizkörper repariert. Den Heizkörper, mit dem es überhaupt kein Problem gab.

 Ich habe das reklamiert und hätte damit auch fast beim Handwerksbetrieb Erfolg gehabt. Bis ich in einem Nebensatz zugegeben habe, selbstständig die Wasserzufuhr zum defekten Boiler abgedreht zu haben. Ab dem Moment hatte ich keine Chance mehr. Ich war schliesslich sogar Schuld daran, daß der Handwerker nicht die richtigen Teile für den Wasserboiler dabei hatte. 

Und das erstaunlichste: Ich habe meine Schuld eingesehen. Da ich endlich begriffen hatte, daß ich keine Ahnung hatte, was man alleine daran erkannte, daß ich den früheren Klempner lobte, obwohl der doch mit der ursprünglichen Installation des Boilers, fünf Jahre vorher, das ganze Elend in Gang getreten hatte.

Dennoch war es eine wertvolle Erfahrung. Das sind eben Dinge, die lernste auf keiner Schule.

Gut Schraube wünscht Dir

Horst

#67 Von Einhörnern und Amseln

Lieber Horst,

Was den guten Willen und die linken Hände beim Werken angeht – da haben wir was gemeinsam.
Als ich das letzte Mal ein Ikea-Schrankteil zusammengebaut habe…
Ich sag mal so, es kam aus der Serie Lekman, und das Wort hab ich beim Aufbauen dann auch immer mal wieder laut gerufen.

Ach ja, und noch etwas fiel mir wieder ein.
Ein kurzer Dialog, der auf meiner letzten Dienstreise stattfand. In einer kleinen Pension im niedersächsischen Nirgendwo, die damit wirbt, dass sie „Monteurzimmer / Frühstück ab 6 Uhr“ anbietet,  kam ich mit einem Vertreter am Nebentisch ins Gespräch, der sich mir mit den grandiosen Worten vorstellte: „Ich mache in Sanitäranlagen!“
Ich fragte mich sofort: Tun wir das nicht alle?, sagte es dann aber doch nicht laut.

Vom Vatertag habe ich in diesem Jahr gar nichts mitbekommen, hier war es total still in den Straßen, kein bierseliger Bollerwagen weit und breit. Ob es am Aufruf der Berliner Polizei lag? Die hatte morgens auf Twitter zur Einhaltung der Anstandsregeln gemahnt:
„Liebe Herren, bitte seien Sie bei Ihren Ausflügen wie das Einhorn – freundlich und flauschig. Man sieht Einhörner selten, sie treten wohl nicht in größeren Gruppen auf.“
Deeskalation zum Liebhaben. So hab ich´s gern.

Ansonsten bin ich heute ein wenig neben der Spur, ich habe einfach viel zu wenig geschlafen.
Eine Freundin hatte neulich erzählt, sie habe gehört, dass die Vögel in der Stadt derzeit viel leiser seien, seit sie nicht mehr gegen so viel Flug- und Straßenlärm ansingen müssen. Ich kann das nicht bestätigen. Was ich sagen kann: Morgens um vier ist bei mir die Spanne zwischen den Gedanken „Oh wie schön, da singt eine Amsel“ und „Kann man Amseln eigentlich grillen?“ sehr gering.  Gott sei Dank wurde dann um  sechs das Altglas abgeholt, das hat mich sehr wirkungsvoll von der Amsel abgelenkt.

An Tagen, die so anfangen, sollte man sich nichts Wichtiges vornehmen und ein bißchen Nachsicht mit sich selbst haben. Zwischendurch sollte man sich immer mal wieder selber in den Arm nehmen.
Meine Clematis macht das genauso, guck!

Ein bißchen verpeilt und überaus herzlich grüßt Dich

Susanne

#68 In der Sickergrube der öffentlichen Debatte

Liebe Susanne,

tatsächlich hatte auch ich heute einen windschiefen Tag. Dies merke ich daran, wenn ich plötzlich im Netz tagespolitische Debattenbeiträge lese. Alle Psychologen sind sich ja einig, daß das das Gemüt nicht sonniger macht.

Dennoch mache ich das manchmal, denn wenn ich nur Dinge täte, die mir gut tun, hätte ich ein schlechtes Gewissen gegenüber den Menschen, die nicht nur Dinge tun können, die ihnen gut tun. 

Wenn die das allerdings genau so machen würden, wüsste man wenigstens mal, warum eigentlich kaum jemand die Dinge tut, die ihm gut tun.

Doch ich schweife ab. Ich habe also in einem konservativen Leitmedium einen politischen Kommentar gelesen. Trotz besseren Wissens. Es ging um die die Frage, ob der Staat seine Konjunkturankurbelungsgelder wirklich einsetzen sollte, um Menschen, die sich einen neuen S-Klasse-Mercedes kaufen, dabei finanziell unter die Arme zu greifen.

Der Autor meinte, kurz zusammengefasst, ja, das klinge erstmal befremdlich. Aber es sei trotzdem richtig, denn wenn der Mercedes-S-Klasse-Fahrer sich einen neuen Mercedes-S-Klasse kaufe, helfe das in erster Linie nicht ihm (er hatte ja wahrscheinlich auch vorher schon ein gutes Auto), sondern uns allen. Nicht zuletzt auch aufgrund des Sickereffektes.

Abgesehen davon, daß ich nicht weiß, wielange wieviel wovon versickern muss, damit von seinem Mercedes S-Klasse irgendwann bei mir womöglich ein VW Polo oder auch (was mir lieber wäre) ein altes klappriges Damenrad ankommt, ist der „Sickereffekt“ meines Erachtens wohl das halbseidenste aller politischen Dampfplaudererargumente. Also quasi der Friedrich Merz der Debattenbeiträge.

Letztlich vertraut der Sickereffekt immer darauf, daß man Millionären eine neue Million gibt, zum Beispiel durch Steuererleichterungen, damit die dann ihre alte Million, die sie ja denn nicht mehr brauchen, an weniger Wohlhabende weitergeben. Eigentlich eine total durchdachte und logische Überlegung. Warum es trotzdem nie funktioniert, weiß keiner. Wahrscheinlich weil die Flüchtlinge soviel kosten.

Im selben Medium gab es noch einen weiteren Kommentar, der darauf hinwies, daß wir der harten Wahrheit ins Gesicht sehen müssen. Denn am Ende werden wir nicht allen helfen können. 

Das denke ich auch. Zum Beispiel diesen beiden Kommentatoren werde ich sicher nicht mehr helfen können.

Aber das war ja nur ein vertaner Tag. Morgen werde ich wieder ganz, ganz viel nicht lesen, sondern ein Buch. Da freue ich mich schon drauf.

Fröhliche Grüße

Horst

#69 Na, was machst du gerade?

Lieber Horst,

Ach ja, der Sickereffekt.
„Es darf kein Freibier für alle geben“ ist ja mein persönlicher Satz des Tages, das hat der Chef der Wirtschaftsweisen vorhin gesagt. Das „Freibier“ – in dem Fall Familienboni und Konsumgutscheine für die breite Bevölkerung – würde vermutlich auch nicht von unten nach oben sickern.
Ich verstehe seinen Punkt  und meine Bereitschaft, auf das Freibier zu verzichten, ist durchaus gegeben – wenn wir im Gegenzug denn bitte auch den Champagnerfluss am anderen Ende der finanzwirtschaftlichen Nahrungskette ein wenig drosseln könnten, bitte. Aber dann würden die Wirtschaftsweisen am Ende womöglich zu Wirtschaftswaisen? Wer weiß.
Und bevor ich mich da jetzt reinsteigere, nutze ich die Gelegenheit doch lieber anderweitig.
Achtung, es folgt eine virtuelle Umarmung.

Ich will an dieser Stelle nämlich einfach mal Danke sagen.
Uns erreichen in all diesem Krisenfrust immer wieder so freundliche, aufmunternde Worte und auch in unserem Spendenhut hat sich inzwischen mancher Taler angefunden.
Beides ist großartig.
Ihr seid großartig!

So, das musste mal gesagt werden…

Dass Du beim Surfen im Netz bei tagespolitischen Debatten landest, Horst, finde ich beachtlich. Bei mir endet sowas meistens im völlig sinnfreien Raum.
Seit es das Internet gibt, ist Prokrastinieren ja so viel leichter geworden. Und wenn ich was kann, dann ist es prokrastinieren. Wenn ich im nächsten Bewerbungsgespräch gefragt werde: „Frau Riedel, wo sehen sie denn ihre persönlichen Stärken?“ kann ich mit großer Überzeugung sagen: Im Prokrastinieren macht mir keiner was vor.

Wenn man jemanden anruft, ist „Na? Was machst Du gerade?“ sicher eine der gängigsten Einstiegsfragen. Nicht besonders originell, aber nun, auch ich stelle sie häufig. Die schönsten Antworten, die ich darauf in letzter Zeit bekommen habe, waren
„Ich lerne Georgisch“
„Ich nähe den Insektenschutz meines Fahrradhelms“
„Ich baue ein Hochbeet“ und, mein Favorit:
„Ich sauge den Keller“.

Merkst Du was? Die Leute tun alle so sinnvolle Dinge, Horst.
Und es macht mir ein bißchen Angst, dass andere Leute offenbar Keller haben, die man saugen kann. Bei uns ginge das gar nicht. Den Boden unseres Kellers habe ich das letzte mal bei unserm Einzug gesehen, vor etwa 18 Jahren. Und auch da nur ganz kurz.

Jedenfalls bin ich sehr froh, dass gestern niemand angerufen und gefragt hat: Was machst Du gerade.
Die Antwort hätte nämlich  gelautet: Ich sitze seit Stunden am Computer und denke mir unsinnige Bandnamen aus.
Kollege Jakob hatte nämlich auf Facebook dazu aufgerufen, Bandnamen zu ruinieren, indem man nur einen einzigen Buchstaben austauscht. Also Rolling Scones zum Beispiel.

Was ich immerhin beisteuern konnte waren (Trommelwirbel):

  • die Pot Shop Boys
  • Afrosmith und
  • Rasenstolz.

    Womit wir ja fast schon wieder beim Fußball wären.

    Mit dieser Steilvorlage lasse ich Dich jetzt mal alleine und sende Dir viele helle Grüße in den verhangenen Tag,

Susanne

#70 Die Familienplanung der Anderen

Liebe Susanne,

am Wochenende habe ich zufällig einen ehemaligen Fast-Mitschüler getroffen. 

Soll heissen, wir waren zwar nicht im selben Jahrgang, aber haben doch beide an der Graf-Friedrich-Schule in Diepholz unser Abitur gemacht. Also jeder sein eigenes natürlich.

In jedem Falle erzählte er mir von einem gemeinsamen Bekannten, der mittlerweile vier Kinder von vier verschiedenen Frauen hat. Alle unehelich, denn verheiratet war er die ganzen Jahre mit einer anderen Frau, die wiederum drei Kinder von drei verschiedenen Männern hat. Keines jedoch von ihm. Wohlgemerkt: Alle Kinder sind während ihrer gemeinsamen Ehe geboren.

Wann immer ich solche Geschichten höre, denke ich denselben Gedanken. Gut, so eine Geschichte hatte ich vorher noch nie gehört. Aber wann immer ich ähnliche Geschichten höre, denke ich wirklich stets denselben Gedanken.

Ich denke: Alle anderen erleben mehr als ich. Bei denen ist einfach mehr los in ihrem Leben. Irgendwie.

Ich habe kein einziges uneheliches Kind, Also außer meinem eigenen. Aber das ist ja nur unehelich, weil wir nicht verheiratet sind. Das gilt nicht. Ich habe kein normal uneheliches Kind. Außerhalb der Beziehung. Und da bin ich mir zu allem Überfluss auch noch ganz, ganz sicher. Das macht es nicht besser.

Dabei wäre ich garantiert ein sehr guter unehelicher Vater. Ich würde alles richtig machen. Wäre verständnisvoll, behutsam mit dem Kind und aufrichtig interessiert die Mutter kennenzulernen. Immerhin hätte ich die ja noch nie in meinem Leben gesehen. Aber wenn unser Kind uns einander vorstellen wollte, würde ich mich dem nicht verweigern.

Regentage haben ihre ganz eigenen Gedanken sagt man. Der heutige hat das bei mir aber mal so richtig bestätigt.

Es winkt und grüßt Dich

Horst