Lieber Horst,
Stadionbesuch ohne Fußball finde ich eine geniale Idee. Man könnte sich auf das Wesentliche konzentrieren und auch der Rasen käme mal ein bißchen zur Ruhe. Aber uns fragt ja wieder keiner.
Um den Mangel an Publikum zu kompensieren wurde ja inzwischen sogar eine App entwickelt, mit der die Leute von zu Hause aus Stimmung machen sollen. Es gibt vier Buttons: Jubel, Klatschen, Singen, Pfeifen, die dann entsprechend ins Stadion übertragen werden. Für die Berliner Edition soll es zusätzlich noch die Funktionen Bengalos, Schiri beschimpfen und Senf an die Jacke vom Nachbarn schmieren geben. Okay, das habe ich mir jetzt ausgedacht, aber der Rest stimmt wirklich. In manchen Stadions soll man sogar einen Sitzplatz und so eine Art Pappfigur mit dem eigenen Gesicht drauf mieten können. Ich glaube, dann wird es wirklich spooky.
Weil ja heute Tag der Befreiung und deshalb Feiertag ist, gibt es endlich mal wieder andere Gesprächsthemen bei Tisch und im Radio. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich mit meinen Söhnen mal einen so spannenden und ausführlichen Austausch über die Familiengeschichten aus dem Zweiten Weltkrieg hatte.
„Das waren ja heute mal richtig unterflächliche Gespräche“ sagte der eine beim Tischabräumen. Das trifft es ziemlich gut.
Und nicht nur bei meinen Kindern scheint der Feiertag gut anzukommen. Beim Spazierengehen vorhin schnappte ich in einem Gespräch zwischen zwei Teenagern den schönen Satz auf „Warum ist das nicht immer ein Feiertag, Mann? Ich meine, ist doch viel wichtiger, so ein Kriegsende, als dass Jesus vor Ewigkeiten mal irgendwelche Eier versteckt hat.“
Zugegeben, da kriegt der geneigte Protestant ein bißchen Schnappatmung. Aber diesen Gedankengang fand ich schon auch bemerkenswert.
Auch bemerkenswert ist, dass unser Junior gerade seine Begeisterung für die klassische Fotografie entdeckt. Wir haben einiges an alten Kameras und Objektiven, die er nun durchprobiert, und ab und zu muss ich als Motiv herhalten, wenn er was ausprobieren will.
Früher haben wir für das Lächeln auf dem Klassenfoto immer Cheese gesagt, in den letzten Jahren hat sich ja mehr und mehr Ameisenscheiße durchgesetzt.
Auch mein Sohn hat beim Fotos machen vorhin versucht, mich zum Lächeln zu bringen: „Okay“ sagte er, „jetzt denk mal an Döner!“
Hat geklappt.
Mit Salat alles
grüßt Dich
Susanne