#79 Auf uns…

Lieber Horst,

Gestern hatte ich einen Termin in Frohnau und bin nach sehr langer Zeit mal wieder so richtig ausgiebig S-Bahn gefahren.  Ich hatte mich wirklich ein bißchen darauf gefreut, einen weiteren kleinen Schritt zurück in die Normalität zu wagen – doch das erhebende Gefühl wollte sich nicht so recht einstellen.

Ich finde, an jeder vermeintlichen Normalität kleben momentan noch so kleine doofe Etiketten. Falsch steht darauf oder Achtung oder einfach nur Corona – weißt Du, was ich meine?
Es ist diese Art von Etiketten, die man selbst nach langem Einweichen und viel Schrubben nur schwer abkriegt und die noch ewig nerven und kleben, auch wenn man die Schrift längst nicht mehr erkennen kann.
So wird es wohl noch eine Weile sein.

Apropos, in der S Bahn sind jetzt überall so große rote Aufkleber, auf denen steht „Abstand halten, Mund und Nase bedecken“.
Nach längerem Beobachten würde ich sagen, dass viele eher den Abstand bedecken und den Mund nicht halten, aber was will man machen. Besonders krass war es auf dem Rückweg, im Schienenersatzverkehr.  Also versteh mich nicht falsch, ich will jetzt gar nicht meckern, Horst, ich habe mich in den letzten Monaten der Isolation wirklich sehr nach der Nähe anderer Menschen gesehnt, hatte dabei aber irgendwie mehr an welche gedacht, die ich kenne. Und mag. Und die kein Bier auf meine Schuhe gießen. Möglicherweise bin ich da  etwas kleinlich.

Ansonsten kann ich vermelden, dass ich heute früh schon beim Sport war. Kieser Training hatte geschrieben, dass sie wieder öffnen, sie werben jetzt mit dem Slogan Bei uns trainieren sie mit Abstand am besten. (Tätää.)
Ich war wirklich hochmotiviert, zumal, wie ich feststellen musste, der Anblick, den ich nach den bewegungsarmen Monaten in meiner pinkfarbenen Jogginghose biete, vage an einen Blueberry-Cheesecake-Muffin erinnert. Ja, ein Bild, das auch bei näherer Betrachtung in sich sehr stimmig ist.

Wenn ich wieder mal Gefahr laufe, mich in die ewige Schmach meiner Unsportlichkeit reinzusteigern, rufe ich mir ja immer gerne die Worte von Heinzi, dem Kneipenwirt meines Herzens, in Erinnerung:
„Fragt mich jestern so ne Pfeife, ob ick ooch ne Sportapp habe, so mit Schrittzähler und so. Hab ick jesacht, wie et is: Ey, wenn de bei mir da watt messen willst, reicht eigentlich n Bewegungsmelder.“

Und dann weiß ich wieder: Alles ist relativ.

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Lieber Horst,

nun gehen wir tatsächlich auf die Achtzig zu.
Als wir anfingen, uns zu schreiben, hatten wir das alles noch für eine kurze Zwischenphase gehalten. Damals, weißt Du noch, als der Flieder noch jung und die Witze über Klopapier noch komisch waren.

Die Krise ist noch lange nicht vorbei.
Aber man sagt ja, neue Wege entstehen beim Gehen, und insofern ist es wohl auch für uns an der Zeit, wieder ein bißchen loszulaufen.

Bevor wir diesen Krisenkalender in den Ruhestand versetzen, möchte mich bei all den treuen Mitlesenden bedanken, die uns in diesen seltsamen Tagen begleitet haben. Manchmal fühlte es sich an wie eine Gemeinschaft – Ihr wart unsere Verbündeten zwischen den Zeilen.

Vor allem aber will ich Dir Danke sagen, Horst. Und das von ganzem Herzen!

Für Dein Erzählen und Zuhören.
Für das tägliche Lächeln und das ehrliche Seufzen.
Für den gemeinsamen Blick auf das Schöne und Leichte inmitten des Schweren.

Wir sehen uns auf der einen oder anderen Seite. Ich freue mich darauf.

Sei umarmt und gegrüßt
von Deiner Krisenkollegin

Susanne

 

PS: Auf uns!