Lieber Horst,
Ich tippe auf die Jogginghose. Richtig?
Karl Lagerfeld soll ja mal gesagt haben „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“ Ob dem so ist, sei mal dahingestellt. Aber schön finde ich, dass meine Kinder seither immer, wenn sie irgendwo ein Bild von Karl Lagerfeld erblicken, die großartige Frage stellen: „Ist das nicht der mit der Jogginghose?“
Das kann er nicht gewollt haben.
Ja, auch ich bemerke, dass der Schluffilook des Home-Office was mit meinem Habitus macht. Nicht nur in den eigenen vier Wänden, ich gehe sogar so raus inzwischen. Angesichts all der existenziellen Fragen dieser Zeit verlieren irgendwie viele Dinge an Bedeutung, Modefragen gehören dazu.
Die große Schwester der Jogginghose ist bei mir übrigens die Home-Alone-Hose: eine eigentlich längst ausrangierte urgemütliche Cordhose, deren Anblick ich sonst nicht mal mehr meiner Familie zumute, an der mein Herz und meine Hüften aber sehr hängen. In der war ich gestern auch einkaufen.
Bei unserem Supermarkt gibt es jetzt diese aufgemalten roten Linien auf dem Boden vor dem Kassenbereich. Manchmal sind sie nur schwer zu erkennen, weil so viele Menschen gleichzeitig darauf stehen.
Man hört ja momentan viel über Streit und Zank in den Geschäften. In unserer Filiale ist der Ton, soweit ich das mitkriege, noch relativ höflich. Was vermutlich auch daran liegt, dass es so Menschen wie mich gibt, die es manchmal einfach nicht übers Herz bringen, jemandem den Marsch zu blasen, obwohl es vielleicht angebracht wäre.
Gestern zum Beispiel rückte eine alte Dame in der Schlange mir ganz fürchterlich auf die Pelle. Vorgelassen werden wollte sie leider auch nicht. Sie wollte lieber immer und immer wieder ganz verzückt den Stoff meiner Home-Alone-Hose befühlen (!) und mir davon erzählen, dass sie so eine auch gehabt hätte, damals in den Sechzigern. Als sie noch viel tanzen gegangen war, ihre Hände noch nähen konnten, ihr Mann noch lebte und ach. Meine Hinweise auf die Linien ignorierte sie souverän. Ich gab auf. Als ich meinen Einkauf verstaut hatte und den Laden verließ, war die alte Dame gerade am Bezahlen, ich hörte die Kassiererin noch sehr höflich sagen „Es wäre nett, wenn sie die Scheine nächstes Mal nicht anlecken…“
Es ist wirklich nicht immer leicht, sich richtig zu verhalten dieser Tage. Man weiß ja nie, wo die nächste Kontaktperson lauert? Kontaktperson, auch so ein Wort der Stunde.
Eine Freundin schrieb mir gestern:
„ Ich bin jetzt offiziell Kontaktperson. Warte noch auf das Testergebnis. Aber ich bleibe positiv.“
Das lass ich jetzt einfach mal so stehen.
Mit höflichem Gruß,
Susanne