#49 Die Husche

Lieber Horst,

was schwebt Dir vor, so ein klassischer Jutesack oder mehr was Modernes? 
In beidem sehe ich sehr gut aus, ich habe es gerade mal ausprobiert, das kaschiert auch ungemein.  

Ich bin in puncto Begrüßung jedenfalls für Lösungsvorschläge aller Art offen. 
Wenn ich derzeit gute Freunde auf der Straße oder im Park treffe, ist es immer die gleiche traurige Szene:  ich laufe freudig auf sie zu – und erstarre dann mit ausgebreiteten Armen mitten in der Bewegung. So stehe ich dann erstmal da, in visueller Umarmung quasi. „Das sieht immer aus, als würdest Du gerade zur Pirouette ansetzen“, sagt mein Sohn, „wie zur Salzstange erstarrt.“ 

Mit Redewendungen haben wir manchmal so unsere Schwierigkeiten. Aber auch mit diesem Bild konnte ich was anfangen. 

Heute früh hatte ich mit Blick in den Himmel gesagt: „Oh, ich glaube da kommt eine Husche!“
Er schaute darauf sehr skeptisch und folgte fragend meinem Blick. 
„Na… ein kurzer Regenschauer“ ergänzte ich deshalb, „eine Husche eben!“ 
„Ach so, ich hab jetzt nach irgendeinem Insekt geguckt!“ Auch eine schöne Idee. Eine Husche eben. Wir befanden dann, dass es auch ein guter Codename für die wirre Nachbarin von schräg gegenüber wäre, die wir manchmal beim Einkaufen treffen. 

Ich höre mich im Moment aber manchmal auch wirklich seltsame Sachen sagen.  
Dass es zieht, zum Beispiel. Kannst Du Dich erinnern, dass es in unseren jungen Jahren jemals gezogen hätte?! Zugluft, das war doch was für alte Leute. Ich habe das Nina mal erzählt, als wir neulich telefonierten.  „Ich weiß genau, was du meinst“ meinte sie. „Ich habe vorhin das Radio angemacht und dabei laut gesagt: Ich habe jetzt Lust auf was Flottes!“ 
Es ist immer wieder das Ridiculus-Prinzip, das uns rettet: Gemeinsam darüber zu lachen macht, dass das schlechte Gefühl verpufft. 

Was sonst so los ist? Nicht viel. 

Ich gehe immer wieder mal raus, am Flieder riechen. Ähnlich wie andere Leute eine rauchen gehen. Kette riechen, quasi. Ich liebe diesen Duft. 

Und so oft ich kann, gehe ich spazieren. Alle gehen spazieren. Lili sagt, der Hund ist schon ganz fertig, weil alle ständig mit ihm spazieren gehen. 

Mein Handy ist jetzt unter die Verschwörungstheoretiker gegangen. Wenn ich Vermummung schreibe, will es immer Verdummung daraus machen. 
Apropos, ich hatte doch erzählt, dass ich jetzt meine Lieblingsmaske gefunden habe. Ein Foto hänge ich an. 

Ach und guck, immerhin schon Text #49 heute, Horst. Kurz vor 50, wie im wirklichen Leben. Da darf man doch schon mal reden wie ne Alte?

Mit einem liebevollen Kniff in die Wange – zumal aus sicherer Entfernung –
grüßt Dich

Susanne

PS:  Ohrwurm des Tages: I´m on the Highway to Health!

#72 Die Maske steht Dir wirklich gut

Liebe Susanne,

eine bislang eher wenig beachtete Corona-Folge sind ja tatsächlich die zwiespältigen Komplimente, die diese Zeit so mit sich bringt.

„Die Maske steht Dir wirklich gut,“ habe ich mittlerweile weit mehr als einmal gehört. 

Aber auch schon die Varianten:

 „Durch die Maske bekommt Dein Gesicht etwas irgendwie besonderes.“ 

„Mit Maske merkt man mal, dass Deine Augen ganz schön sind.“ 

und „Du hast echt ein Maskengesicht.“

Durfte ich alles schon hören.

Leider war jeder dieser Sätze glaubhaft gut gemeint und damit natürlich noch zusätzlich niederschmetternd.

Zudem habe ich große Schwierigkeiten, andere unter ihrer Maske zu erkennen. Seit Wochen schon grüße ich praktisch täglich einen Mann in unserem Viertel, von dem ich keine Ahnung habe, wer er sein könnte.

 Er trägt immer seine Maske. So ein Spidermann-Muster. Genau genommen grüße ich nur die Maske. Wahrscheinlich gibt es mehrere Spidermänner in unserer Ecke, die ich alle für denselben Menschen halte und grüße. Vermutlich hält man deshalb Spiderman für einen Superhelden. Weil er ständig praktisch überall ist.

Grundsätzlich wäre jetzt natürlich mal die Zeit auch selbst Superheld zu sein. Also zumindest von der Maske her. Aber welcher Superheld möchte ich eigentlich sein? Karl Liebknecht? Frida Kahlo? Professor Drosten? Franz Kafka? Saul Goodman? 

Irgendwie fällt mir kein richtiger Superheld ein, in dessen Rolle ich mich mir vorstellen könnte. Aber vielleicht zumindest eine Superheldenkraft?

Ich glaube, wenn ich von allen Superhelden und Superheldinnen der Menschheits-, Kultur-, und Popkulturgeschichte mir eine Superheldenfähigkeit aussuchen dürfte, würde ich wahrscheinlich die von Daniel Düsentrieb nehmen. 

Eben weil ich so schlecht im Dinge bauen bin. Ich kann nur über meine Erfindungen quatschen. Von all dem, was ich mir so ausdenke groß daherreden. Das kann ich.

Aber Erfindungen machen, im Sinne von bauen findet bei mir nicht statt.

Insofern bin ich wohl ein bisschen wie Berlin. Ist Berlin eine Superheldenfähigkeit? Oder überhaupt eine Fähigkeit? Und wenn ja, gibt es Berlin als Maske?

Fragen über Fragen. Welche Superheldinnenfähigkeit würdest Du Dir wünschen?

Es winkt und grüßt

Horst

#76 Unterwegs in der sterilen Gesellschaft

Liebe Susanne,

Ja es stimmt, die „neue Normalität“ nimmt langsam Formen an.

Ich zum Beispiel schreibe diesen Brief aus dem ICE nach München. Es ist lange her, daß ich was in der Bahn geschrieben habe. Es war der erste Beitrag für den Krisenkalender am 17. März.

Damals schrieb ich:
„Am Wochenende in Leipzig bin ich noch auf einen Zug gehastet. Ich hab ihn gerade so geschafft. Also eigentlich, denn als ich am Bahnhof ankam, musste ich feststellen, daß er ersatzlos gestrichen war. Habe deshalb einen Bahnmitarbeiter gefragt: 

„Oje, ist das wegen Corona?“

Er hat mich sehr freundlich und traurig angesehen, um dann emotionslos zu antworten.

„Nein, nein, das ist einfach ganz normal wegen Bahn.“

Seitdem ist viel passiert. Nun, da ich zurück im ICE bin, muss ich feststellen:

 Er fährt. Er ist pünktlich. Er ist extrem sauber und fast leer. 

Vielleicht ist ja doch was dran an der These, daß sich alle Probleme der Bahn von allein lösen würden, wenn man nur auf die Fahrgäste verzichten täte.

Dies ist nun allerdings auch der erste Text, den ich mit Mund- und Nasenschutz schreibe. Ich habe fünf verschiedene Masken mitgenommen, um nach und nach herauszufinden, mit welcher man am Besten schreiben kann. Nach nur einer Stunde Fahrt glaube ich schon ein recht belastbares Ergebnis ermittelt zu haben:

Mit keiner.

Verändert es die Geschichten, wenn man sie mit Atemschutz schreibt? Werden sie hygienischer? Klinischer? Kurzatmiger? Schlechtgelaunter? Müder? Neurotischer? Alles?

Die sterile Gesellschaft. Das haben wir nun bekommen. Was wird das mit den Menschen machen?

Als Bauernhofkind, dem zur Sauberkeit ein eher pragmatisches Verhältnis anerzogen wurde, waren mir die Putz- und Ordnungsliebhaber immer eher suspekt. 

Offen gestanden habe ich ihren Reinlichkeitswahn stets mehr für eine Marotte, wenn nicht gar eine Verhaltensstörung gehalten. Nun jedoch triumphieren sie. 

Täglich beobachte ich, wie sie aufblühen und die sterile Gesellschaft geniessen oder verlangen. Die Aggressivität mit der dies zeitweise geschieht, verunsichert mich.

Mir ist klar, daß vieles von dem, was ich in der Schule gelernt habe, nicht mehr aktuell ist. Oft erfahre ich das erst mit jahrelanger Verzögerung und denke solange weiter den Unsinn aus meiner Kindheit.

 Gilt dies auch für die Annahme, daß eine keimfreie Gesellschaft immer weniger widerstandsfähig gegen Alltagskeime wird? Habe ich, wie so oft, wieder einfach nur was verpasst?

Ich schreibe dies tatsächlich alles nur, weil gerade wirklich ein Fahrgast durch den Zug spaziert und alle anderen Reisenden unterrichtet, wie sie ihre Maske richtig zu tragen haben. 

Einerseits bin ich ein wenig irritierend stolz, daß er bei mir nichts zu beanstanden hatte. Andererseits macht mich die Rigorosität, mit der er andere anherrscht, ratlos.

 Gott sei Dank sind so wenige unterwegs. Da war er nicht sehr lange in unserem Waggon. Dennoch reichte es für zwei massive Wortgefechte. Ich sag mal: Im mittleren Westen der USA wäre jetzt mindestens einer tot.

Auf dem Rückweg beließ er es bei einem fatalistischen „Immernoch verkehrt!“ gegen die, die es immernoch verkehrt machten. Ich bekam ein freundliches Lächeln mit den Augen und erwischte mich dabei, wie ich mich darüber freute. 

Mehr noch, wie ich dachte: „Wieso können es die Anderen nicht auch einfach richtig machen. Die sehen doch, daß er kommt. So schwer ist es ja nun wirklich nicht.“

Womit ich ja nun andrerseits auch wieder recht habe.

Nun gut. Zur Frage, wie Texte mit Maske werden, kann ich fürs Erste schonmal sagen:

Länger

…und mürrischer wohl auch. Wenn ich demnächst wieder häufiger im Zug sitze, werde ich mir da vermutlich was überlegen müssen. Doch jetzt lasse ich das erstmal so stehen. Als Zeitzeugnis quasi.

Fahrende Grüße sendet Dir

Horst