Lieber Horst,
was für ein schönes Foto! Ich finde, Du solltest Deine Lichterkette öfter offen tragen. Glanz, Spannkraft, strahlend schöne Farben: alle Verheißungen des Shampoo-Regals auf einmal, zack fertig. Genial!
Wir haben hier noch keine rechte Lösung gefunden für die friseurlose Zeit. Wir verwildern so vor uns hin. Der Jüngste stand heute früh vorm Spiegel und sagte: „Oh. Ich kriege Krisenlocken“, befand dann aber, dass die Corona-Ferien, wie er die aktuelle Schulzeit zu nennen pflegt, super geeignet seien, um mal lange Haare auszuprobieren. Noch so ein Zeichen der Zeit also. Auch in der Warteschlange vor dem Supermarkt konnte ich manche Frisur in der Krise entdecken.
Vor unserer Lidl-Filiale gibt es jetzt einen Türsteher, der aussieht als hätte er bis vor kurzem noch im Berghain gearbeitet. Er ist auffallend breitschultrig und guckt sehr wichtig, ihn umweht eine gewisse Aura der Macht und der Gefahr. Sehr rührend ist allerdings, wie er immer wieder versucht, die Flasche Glasreiniger, mit der er die Griffe der Einkaufswagen desinfiziert, in der Hand zu drehen wie einen Colt. Dabei fällt sie ihm leider ständig runter, was dann letztlich unheimlich viel Zeit und Würde kostet.
Im Laden selbst fühle ich mich derzeit immer wieder mal an die frühen Computerspiele der Achtziger erinnert. Pac Man oder Lady Bug, so muss das aus der Vogelperspektive aussehen wie die Leute versuchen, in größtmöglichem Abstand umeinander herum durch die Gänge zu fahren und dabei ihre goldenen Hefewürfel und andere Begehrlichkeiten einzusammeln. Beim letzten Einkauf habe ich mich tatsächlich dabei erwischt, wie ich den Sound dazu vor mich hin gemurmelt habe, diese Atari-Belohnungsgeräusche, Crabcrabcrab. Und Tüdelidütü. Ich glaube, wenn Corona irgendwann durch ist, werde ich mir den Ruf der durchgeknallten Frau aus der Nachbarschaft endgültig erarbeitet haben.
Und zu Hause? Eine schräge Art Alltag etabliert sich allmählich und alle sind redlich bemüht, sich nicht allzu sehr auf die Nerven zu gehen. Manchmal gibt es auch überraschend schöne Momente. Als ich mich neulich an einem Kreuzworträtsel zu schaffen machte, zum Beispiel, da legte mein Sohn doch glatt sein Smartphone zur Seite, setzte sich zu mir und wollte miträtseln.
„Indisches Frauengewand?“ fragte ich also. „Wasabi“, rief er stolz.
„Unterwelt der nordischen Mythologie?“ „Berghain.“
Wir haben das abschließende Lösungswort auf diese Weise natürlich nicht herausbekommen, aber wir hatten viel Spaß. Wie hieß es so klug auf einer meiner Geburtstagskarten? Wenn der Weg schön ist, dann frage nicht, wohin er führt.
In diesem Sinne:
Ein fröhliches Tüdelidütü aus Steglitz,
Susanne