Liebe Susanne,
jetzt wird es Ernst. Der Frühling fängt an. Mitten in die Kontaktsperre rein. Jetzt wird sich zeigen, wer wirklich gut im zuhause bleiben ist. Bei Regen und Kälte kann ja jeder. Aber jetzt… Ich bin heute mal rausgegangen, um zu gucken, wer es so alles nicht gepackt hat. Es waren einige, aber die im Großen und Ganzen erstaunlich diszipliniert. Auch in den Kreuzberger Parks. Alle halten den Mindestabstand ein. Oder versuchen es zumindest aufrichtig. Nur wenn die großen Polizeiwannen zur Kontrolle durch die Grünanlage rollen, muss man manchmal kurz ein bisschen zusammenrücken, damit die durchkommen. Doch ich will gar nicht meckern. Über nichts und niemanden. Ich bin im Gegenteil gerade einigermaßen stolz auf die Stadt. Oder auf das, was ich von ihr sehe. Wie entspannt, freundlich, rücksichtsvoll und verantwortungsbewusst alle miteinander umgehen. Nicht, daß ich es nicht auch genau so erwartet hätte. Aber ich gehöre ja zu den Menschen, die immer eher überrascht sind, wenn sie tatsächlich mal recht gehabt haben. Ich suche dann immer nach dem Fehler. Aber vielleicht liegt es auch nur daran, daß in einer Stadt, in der es sonst 90 % der Menschen eilig haben, fast jeder Zeit hat.
Eines meiner Lieblingscafés wirbt heute mit „Draußen nur Ständchen“. Ich weiß nicht genau, ob sie damit verquast ausdrücken wollen, daß man nichts, was man dort gekauft hat, vor dem Lokal im Sitzen verzehren soll. Oder ob sie die Menschen dazu animieren möchten, auf der Strasse im Stehen zu singen. Mit Mindestabstand. Das fände ich hübsch, habe es mich aber erstmal nicht getraut.
Am Dümmer-See im Landkreis Diepholz gibt es eine Strandbar, die früher immer Themenabende veranstaltet hat. Also Thema war jeweils Malediven, Karibik, Seychellen und so. Man braucht viel Phantasie, um sich im Landkreis Diepholz an einem kühlen Regenabend im April wie auf den Malediven zu fühlen. War aber für uns kein Problem. Phantasie konnten wir. Wir hatten ja sonst nichts.
Manchmal gab es im Landkreis auch Wettbewerbe, wo man sich Slogans für Diepholz ausdenken sollte. Ich habe da immer mitgemacht und nie gewonnen. Als der Landkreis beispielsweise junge Unternehmen anlocken wollte, habe ich für die Kampagne eingereicht:„Wer sich aus dem Nichts etwas aufbauen will, braucht erstmal ein ordentliches Nichts. Wir haben jede Menge davon.“An den damaligen Gewinnerspruch erinnere ich mich nicht mehr. Aber daran, daß sich kein Unternehmen daraufhin angesiedelt hat. Weshalb ich bis heute der Meinung bin, man hätte meine Sätze nehmen sollen. Mit denen hätten wir zwar auch niemanden angelockt, aber alle hätten vermutet, daß es am Slogan lag. Das wäre weniger demütigend gewesen. Doch das wollte ich ja gar nicht erzählen. Ich wollte vom einzigen Werbespruch von mir berichten, der jemals genommen wurde. Nämlich für den Themenabend Mallorca in der Strandbar. Für den habe ich getextet: „Draußen nur Eimer“. Ich finde, wenn ich heute eine derart dunkle Episode aus meinem Schaffen, so frei heraus erzählen kann, ist das ein gutes Zeichen. Wofür auch immer.
Wie sagen wir bei den Frühschoppenliedern stets so schön: „Wer nicht mitsingen will, muss hören“.
Mögest Du immer einen Zusammenhang finden
Horst