Lieber Horst,
Heute Morgen, ich gebe es zu, habe ich zunächst wieder ein wenig Trübsal in meinen Kaffee geblasen. Heute Abend hätte ich eine Lesung gehabt, auf die ich mich schon sehr lange gefreut hatte. Aber nu. Hätte, hätte, … was weiß ich. Infektionskette vielleicht.
Mittlerweile konnte ich die trüben Gedanken wieder etwas beiseite schieben. Alles ist relativ, sage ich mir, andere Leute hatten vielleicht noch viel weitreichendere Pläne, die sie nun verschieben müssen?
An der Bushaltestelle bei uns gegenüber hängt seit gestern ein Hochzeitskleid.
Das ist wirklich ein seltsamer Anblick. Es ist an einem Stock befestigt und frei schwebend im Wartehäuschen aufgehängt, dadurch sieht es wirklich ein wenig unheimlich aus, vielleicht hast Du Fluch der Karibik gesehen.
Die Haltestelle ist gerade stillgelegt, wegen der Straßenarbeiten.
Es ist sozusagen ein stillgelegtes Hochzeitskleid an einer stillgelegten Haltestelle. Wenn es noch ein Symbolbild für den Shutdown braucht – voilà!
Ein umsichtiger Anwohner, der es vermutlich nicht aushielt, dass da so ohne jede Erklärung einfach ein Kleid hängt, hat nun einen Zettel daran angebracht:
„Motiv des Besitzers unklar. Vor Benutzung vorsichtshalber waschen.“
Irgendwie nett. Aber irgendwie auch sehr Steglitz. Mal gucken, wie es weitergeht.
Ich habe meinen Söhnen übrigens von dem jungen Mann mit der Fritteuse erzählt, beide kriegten sofort so einen Glanz in den Augen. „Stark“ meinte der eine ehrfürchtig. „Dann hat er alles“ befand auch der andere.
Meine Söhne sagen ja auch mal Sätze wie „Der Donut ist der coole Bruder vom Eierkuchen“. Sie probieren durchaus mal die Ingwer-Koriander-Suppe an Dinkelbaguette – aber irgendwas frittieren, das ist für sie der Olymp der Kochkunst. Sie würden auch Spargel frittieren.
Wenn der junge Mann also irgendwann Mitbewohner sucht, hier wären zwei Anwärter. Eine zusätzliche Anschaffung würden sie dann vielleicht doch noch tätigen, haben sie sich gerade überlegt: eine Microwelle. Wegen des Popcorns. Und so schließt sich dann wieder der Kreis, Horst. Didi didi didi dit.
Was sie bei einem Auszug auf jeden Fall auch mitnehmen würden, wäre die Spielkonsole.
Zurzeit spielen sie ein Spiel namens Animal Crossing, ein recht harmloses Real Time-Game, wie mir scheint, bei dem man als Dorfbewohner umherstreift, ab und zu einen Fisch fängt und Obst vom Baum schüttelt, um es im Laden von Tom Nook und seinen Neffen Nepp und Schlepp zu verkaufen. Es gibt Eugen, die Eule, und Thorsten, den Bären. Thorsten ist gut gebräunt und durchtrainiert, schenkt man ihm einen Fisch, kann es sein, dass er einem eine Klimmzugstange zurückschenkt. Ich glaube, Du hast ein Bild.
Die PETA hat nun eine Art Tutorial veröffentlicht, wie man dieses Spiel vegan spielt. Keine Fische fangen, Muscheln am Strand liegen lassen, achtsamer Umgang mit Bäumen und Früchten. Hammer. Und ein weiteres Beispiel dafür, dass manche Menschen tatsächlich ganz andere Sorgen haben.
Sind Ego Shooter Spiele eigentlich vegan?
Ach, apropos vegan. Letztes Jahr wollte der Jüngste nicht mit zum Sommerfest in Opas Pflegeheim, Begründung: „Die tanzen bestimmt wieder Bolognaise.“
Mit diesem schönen Bild lasse ich Dich jetzt mal alleine.
Sonnige Grüße aus dem Wartehäuschen
von
Susanne