#11 Positiv bleiben

Lieber Horst,

Ich tippe auf die Jogginghose. Richtig? 
Karl Lagerfeld soll ja mal gesagt haben „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“ Ob dem so ist, sei mal dahingestellt. Aber schön finde ich, dass meine Kinder seither immer, wenn sie irgendwo ein Bild von Karl Lagerfeld erblicken, die großartige Frage stellen: „Ist das nicht der mit der Jogginghose?“

Das kann er nicht gewollt haben.  

Ja, auch ich bemerke, dass der Schluffilook des Home-Office was mit meinem Habitus macht. Nicht nur in den eigenen vier Wänden, ich gehe sogar so raus inzwischen. Angesichts all der existenziellen Fragen dieser Zeit verlieren irgendwie viele Dinge an Bedeutung, Modefragen gehören dazu.
Die große Schwester der Jogginghose ist bei mir übrigens die Home-Alone-Hose: eine eigentlich längst ausrangierte urgemütliche Cordhose, deren Anblick ich sonst nicht mal mehr meiner Familie zumute, an der mein Herz und meine Hüften aber sehr hängen. In der war ich gestern auch einkaufen. 

Bei unserem Supermarkt gibt es jetzt diese aufgemalten roten Linien auf dem Boden vor dem Kassenbereich. Manchmal sind sie nur schwer zu erkennen, weil so viele Menschen gleichzeitig darauf stehen. 
Man hört ja momentan viel über Streit und Zank in den Geschäften. In unserer Filiale ist der Ton, soweit ich das mitkriege, noch relativ höflich. Was vermutlich auch daran liegt, dass es so Menschen wie mich gibt, die es manchmal einfach nicht übers Herz bringen, jemandem den Marsch zu blasen, obwohl es vielleicht angebracht wäre.
Gestern zum Beispiel rückte eine alte Dame in der Schlange mir ganz fürchterlich auf die Pelle. Vorgelassen werden wollte sie leider auch nicht. Sie wollte lieber immer und immer wieder ganz verzückt den Stoff meiner Home-Alone-Hose befühlen (!) und mir davon erzählen, dass sie so eine auch gehabt hätte, damals in den Sechzigern. Als sie noch viel tanzen gegangen war, ihre Hände noch nähen konnten, ihr Mann noch lebte und ach. Meine Hinweise auf die Linien ignorierte sie souverän. Ich gab auf. Als ich meinen Einkauf verstaut hatte und den Laden verließ, war die alte Dame gerade am Bezahlen, ich hörte die Kassiererin noch sehr höflich sagen „Es wäre nett, wenn sie die Scheine nächstes Mal nicht anlecken…“ 

Es ist wirklich nicht immer leicht, sich richtig zu verhalten dieser Tage. Man weiß ja nie, wo die nächste Kontaktperson lauert?  Kontaktperson, auch so ein Wort der Stunde.  
Eine Freundin schrieb mir gestern:
„ Ich bin jetzt offiziell Kontaktperson. Warte noch auf das Testergebnis. Aber ich bleibe positiv.“ 

Das lass ich jetzt einfach mal so stehen.

Mit höflichem Gruß,
Susanne 

#24 failed mate

Liebe Susanne,

daß die Ostereinkäufe mal als nationale Bewährungsprobe gelten würden, gehört zu den vielen Dingen dieser Zeit, die ich mir nie hätte vorstellen können.

Wir kaufen ja schon länger gemäß der Corona-Regeln ein. Lieber ein großer Einkauf, als viele kleine. Haushaltsübliche Mengen. Nur ein Einkäufer pro Markt. Konkret heisst dies bei uns: Wir mieten uns ein Auto, fahren zu viert zu einem zentralen Parkplatz und gehen dann zeitgleich in Supermarkt, Getränkehandel, Bioladen und Discounter. Jeder in ein Geschäft. Mit durchgehender  Konferenzschaltung, damit nichts vergessen oder mehrfach erworben wird. Das Ganze fühlt sich an, wie eine koordinierte Geheimagentenmission, was mir natürlich ausgezeichnet gefällt.

Irgendwie hat es sich ergeben, daß die anfänglich zufällige Verteilung der Geschäfte beibehalten wurde. Dies bedeutet, daß ich immer in den Discounter gehe, die Tochter hingegen jedesmal in den Biomarkt. Da wir ja aber sonst praktisch keine sozialen Kontakte außerhalb der Wohnung mehr haben, lebt sie also in einer Bioladen-Welt und ich in einem Discounter-Universum.

Manchmal habe ich das Gefühl, sie hält sich dadurch mittlerweile insgeheim für etwas Besseres. Dies wird noch verstärkt, da im Bio-Markt vor allem Obst und Gemüse eingekauft werden. Die ganzen Quarantäne-Süßigkeiten hingegen vornehmlich von mir beim Discounter eingesackt.

Sie steht für gesunde Vitamine. Ich bin der Kalorienbomber. Das schlägt sich längst auch aufs Erscheinungsbild nieder. Während sie auch in der Krise auf ihr Äußeres achtet, habe ich irgendwann aufgehört, mich zum Einkaufen umzuziehen. Eigentlich habe ich sogar ganz aufgehört, mich umzuziehen. Stattdessen werde ich jetzt oft auch für die Süßigkeiten, die andere essen, verantwortlich gemacht. Da ich sie ja in die Wohnung gebracht habe. Ich bin der schlechte Einfluss. Der gefallene Freund. The „failed mate“…

Nachdem ich der Familie von meinem Leid, also meinem gefühlten sozialen Absturz berichtet hatte, durfte ich gestern für die Ostereinkäufe in den Bioladen. Das war toll.

Ich habe mich trotzdem nicht umgezogen und dann da vor allem Süßigkeiten gekauft. Hat niemanden gestört. Die Tochter hingegen war im Discounter und hat dort das Biogemüse und -obst erstanden. Geht doch.

Einen schönen Karfreitag (Jeder nur ein Kreuz!)

wünscht Dir

Horst