Lieber Horst,
Gestern rief mich eine Freundin an – man telefoniert ja wieder – und fragte, ob mir denn auch schon die Decke auf den Kopf fällt.
Über diese Formulierung habe ich im Nachhinein tatsächlich noch eine Weile nachgedacht, und komme zu dem Schluss, dass sie meinen derzeitigen Zustand nicht wirklich gut beschreibt. Da fällt nichts mit Krawumms herab. Vielmehr rieselt leise und stet der Putz … Und das macht auf Dauer ganz schön nervös.
Ab und zu mit lieben Menschen zu sprechen tut gut. Oder wer halt sonst gerade da ist. Apropos, mein Deckenfluter lässt Deine Schreibtischlampe herzlich grüßen, schön, dass sie Dich von Berlin überzeugt hat, lässt er ausrichten. (Ja, er ist ganz nett, aber ehrlich gesagt, taugt er nur bedingt als Gesprächspartner. Ist mehr so der zerstreute Typ, mit integriertem Diffusor, da kann er wahrscheinlich nicht anders).
Doch zurück zur Decke auf dem Kopf. Mit Redewendungen ist es ja so eine Sache. Ich mag diese bildhafte Sprache und nutze sie sehr gerne, aber nicht jeder versteht sie.
Nehmen wir zum Beispiel meine Söhne. Bei Tisch erzählte einer der beiden neulich eine sehr anrührende Geschichte, da hielt ich kurz inne und sagte „Oh, mir wird das Herz ganz weit!“ …
Beide guckten mich daraufhin für einen Moment erschrocken an, sahen dann aber, dass es mir offenbar gut ging. „Kennt Ihr den Ausdruck nicht?“ fragte ich erstaunt. „Nee“ sagten sie „Aber das klingt doch voll ungesund, nach Anabolikamissbrauch oder so.“
So hat halt jeder seine Assoziationen.
Aber nun, auch mir ist das ja nicht fremd, dieses fatale Wörtlich-Nehmen, also zumindest im Kopf. Nehmen wir beispielsweise diese berüchtigte Reproduktionszahl, über die im Zusammenhang mit Corona immer wieder gerne gesprochen wird, und die im besten Fall unter 1 liegen sollte. Ein Wissenschaftler erklärte das im Inforadio heute mit den schönen Worten „Das bedeutet, dass ein Infizierter etwas weniger als einen Menschen ansteckt“. Da wird es mit den Bildern in meinem Kopf schon schwierig. Das ist wie mit den 1,6 Kindern pro Frau. Aber egal.
Was sie im Radio jedenfalls noch gesagt haben, ist, dass Bruno Labbadia als neuer Hertha-Trainer vorerst „auf weite Teile seines Gehalts verzichtet“.
Lieber Horst, ich sag´s jetzt mal wie es ist: wenn ich groß bin, will ich auch mal ein Gehalt haben, das man in „weiten Teilen“ bemessen kann.
So, jetzt gehe ich erstmal einkaufen. Im Kühlschrank ist Ebbe, wir haben uns das Wochenende wieder schön gegessen.
Ich war heute früh mal auf der Waage. Also – ich will hier keine Zahlen nennen, aber so langsam nähern wir uns den Frequenzbereichen gängiger Berliner Radiosender.
Wenn also bei den Nachbarn unter uns auch langsam der Putz von der Decke rieselt, könnte das ganz verschiedene Gründe haben.
Irgendwo zwischen Schwer und Mut,
Galgen und Humor,
Kaffee und Gin
grüßt Dich herzlich
Susanne