Liebe Susanne,
auch wenn der Muttertag gestern war, möchte ich Dir noch von einer erstaunlichen Begebenheit berichten.
Ein VW Tiguan hält vor dem Blumenladen Mehringdamm/Ecke Bergmannstrasse, lässt die Scheibe runter und brüllt vom Beifahrersitz die ziemlich lange Warteschlange an:
„Ihr wisst aber schon, daß dieser Scheiß-Muttertag, den ihr da feiert, von den Nazis kommt, oder?“
Alle sind perplex. Außer einer älteren Dame, die nach kurzem Überlegen mit bemerkenswert tragender Stimme antwortet:
„Abgesehen davon, daß der Muttertag in den USA erfunden wurde, werde ich in dem Moment aufhören ihn zu begehen, wo Du aufhörst, die Autobahnen zu benutzen.“
Nachdem sich der bedröppelte Tiguan mit runtergelassenem Fenster vom Bordstein gemacht hatte, hat sie uns anvertraut:
„Eigentlich habe ich selbst ja auch gar nichts mit dem Muttertag am Hut. Ich bin nur wegen den Blumen hier. Und außerdem habe ich manchmal einfach Lust, böse zu den Blöden zu sein.“
Böse zu den Blöden sein. Welch schöne Formulierung. Wenngleich einen das böse zu den Blöden sein, ab und an auch selbst zum Blöden machen kann.
Als ich das letzte Mal böse zu einem Blöden war, habe ich mich zumindest auch nicht mit Ruhm bekleckert. Es passierte im Zug. Nach einem Sitzplatz-Disput. Ich war im Recht, aber er hatte den Platz, weil der Klügere nachgibt.
Woran man sieht, was man davon hat, der Klügere zu sein. Nämlich ein schlechtes Gefühl und keinen Tischplatz. Ihm hingegen ging es sichtbar sehr gut.
Als wollte er mich ärgern, hat er den Tisch dann gar nicht benutzt und nur gelesen. „Das zweite Zeichen“, ein Krimi von Ian Rankin. Also habe ich im Affekt den Roman gegoogelt und ihm kurz vor meinem Aussteigen den Mörder verraten. Als er mich nur verwundert angestarrt hat, habe ich ihm auch noch die Herleitung der Auflösung erläutert und geschlossen mit den Worten: „Schade, ist eigentlich ein ziemlich gutes und spannendes Buch, aber jetzt, wo sie alles wissen, wird es ihnen langweilig vorkommen.“
Woraufhin er tatsächlich ankündigte, mir gleich eins in die Fresse zu geben. Weshalb ich ihn aufklärte, daß ich mir den Mörder und die Herleitung nur ausgedacht hatte, um ihn zu ärgern. Denn selbst wenn man absichtlich böse ist, gibt es Grenzen.
Eigentlich zumindest. Leider war es nämlich auch gelogen, daß ich mir den Mörder und die Herleitung ausgedacht hatte. Da ich es noch perfider fand, wenn er nun weiterlesen und erst nach und nach feststellen würde, daß er alles schon wusste. Von mir. Und mir jetzt keins mehr in die Fresse geben konnte.
Womit ich zusammenfassend sagen kann, daß ich mich hier wohl ziemlich blöde verhalten habe.
Blöde, aber reuevolle Grüße
Horst