#46 Hauptsache nix mit Arbeit

Liebe Susanne,

Es soll jetzt wirklich keine Gewohnheit werden, hier die schlechten Witze meiner Kindheit zu zitieren. Doch wo ich schonmal von meinem Onkel angefangen habe und heute ja nun der erste Mai ist, muss ich doch erwähnen, daß der, immer wenn das Wetter am Tag der Arbeit so ein unsteter Wechsel von Sonne und Regen war, sich selbst begeisterte mit dem Ausruf:

 „Das ist ja gar nicht der erste Mai. Das ist ja der 31. April.“

Und als ich genau diesen Scherz gerade bei der offiziellen Wettervorhersage vom Sprecher im Radio hörte, da war das fast wie ein Heimkehren in die ländliche Kindheit. Aber mitten in Berlin. So weit ist es schon. Das jetzt sogar die schlechten Witze meiner Jugendjahre zu einem Stück Heimat und Geborgenheit für mich geworden sind.

Nun habe ich schon soviele erste Maie in Berlin erlebt. Doch erstmalig denke ich am Tag der Arbeit tatsächlich an Arbeit. Also Arbeit als etwas Positives. Das hätte ich nie erwartet. 

Als ich noch davon ausgegangen war, ich würde einmal so etwas wie einen Beruf ergreifen, war mein wichtigstes Kriterium für die Auswahl: „Hauptsache nix mit Arbeit!“.

 Eben irgendeine Beschäftigung, wo man für möglichst wenig Tätigkeit, sehr viel Geld bekommt.

Kurze Zeit später musste ich lernen. Man ergreift keinen Beruf. Das ist eine dieser Lügen, die sie Dir als Kind erzählen. Man wird von einem Beruf ergriffen. 

In meinem Falle war es ja dann einer, wo ich zunächst für erschütternd viel Tätigkeit deprimierend wenig Geld bekommen habe. Und dennoch davon überzeugt war (und immernoch bin), daß ich unfassbares Glück gehabt habe. 

Zum ersten Mal habe ich am Tag der Arbeit das Gefühl, ich würde mich gerne dafür bedanken. Wie ich mich eben für sowas bedanke. Mit einer Demonstration zum Beispiel. Wie genau das jetzt ablaufen könnte, weiß ich aber auch noch nicht. Zuviel Tätigkeit fände ich am Tag der Arbeit nun auch wieder unangemessen. Und soweit, daß ich mich dafür durchregnen lasse, geht der Wunsch mich zu bedanken ja nu natürlich auch wieder nicht.

Doch andere haben ganz andere Sorgen.

Ein Freund, der ein richtig großes Fest an diesem Wochenende absagen musste, tröstete sich gestern mit den Worten: „Naja, zum Glück hätten wir wenigstens Pech mit dem Wetter gehabt.“

Eine Nachbarin, die unter einem richtig heftigen Frühlingsschnupfen leidet, einer ständig laufenden Nase, meinte wörtlich: „Für mich persönlich ist dadurch diese Maskenpflicht in U-Bahn und Geschäften gerade die ekligste Erfahrung seit… das willste gar nicht wissen!“

Eine Bekannte meinte, in ihrem Haus gebe es mehrere Bewohner, die die Masken ablehnen, aber das Abstandsgebot durch den ununterbrochenen Verzehr von Knoblauch und rohen Zwiebeln durchsetzen wollen. Langsam dringt der Geruch vom Treppenhaus in die Wohnung.

Dagegen ist das seltsam Behagliche, welches ich bei schlechten Witzen aus meiner Kindheit verspüre, natürlich nichts worüber man sich Gedanken machen sollte.

Hoffe ich.

Einen schönen 31. April wünscht Dir 

Horst

#47 Im Schatten des Basilikum

Lieber Horst, 

Beim Stichwort 31. April ist mir plötzlich ein ganzes Päckchen Erinnerungen aus dem Gedächtnis gepurzelt…

Die frühen Neunziger, ich wohnte damals in meiner ersten eigenen Wohnung und hatte es geschafft, diese in einem ansonsten wirklich formvollendeten Schreiben „zum 31. April“ zu kündigen. Der Hausbesitzer, ein Lankwitzer Blockwart mit Polyesterpulli und beigefarbener Schiebermütze, der noch dazu im Nebenhaus wohnte, hat dann extra bis zum Monatsersten gewartet, mich dann auf den Fehler aufmerksam gemacht – und mir mit süffisantem Lächeln erklärt, dass er in Ermangelung eines 31. April auch mein Schreiben als nicht existent betrachte. Meine Kündigungsfrist verlängerte sich so um einen Monat. 
Das war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Mit dem Mieterschutzverein. Aber nun – letztlich war es auch ein stimmiger Abschluss für ein ziemlich schräges Kapitel.
Nur ein Jahr hatte ich es dort ausgehalten und immerhin so einiges gelernt. Dass es Leute gibt, die den Rasen vor ihrem Fenster mit einer Nagelschere schneiden, zum Beispiel. Oder dass es Mietverträge gibt, in denen man zur „ortsüblichen Bepflanzung des Balkons (Geranien)“ verpflichtet wird.
Ich hatte dann neben den Geranien auch einen Basilikumtopf eingepflanzt. Im Treppenhaus sprach man hinter vorgehaltener Hand fortan nur noch über die „Kräuterhexe aus dem 3. Stock“…

Hach ja. Dabei war ich zu der Zeit eigentlich so menschenfreundlich drauf, gerade erst von einem halben Jahr auf Amrum zurückgekehrt und bester Dinge. 
Meine Amrumer Freunde – echte Insulaner, für die Föhr die große weite Welt war, weil es dort eine Ampel gab – riefen mich in den folgenden Jahren dann übrigens immer am 1. Mai an. Wenn ich ans Telefon ging, hörte ich aufgeregte Sätze wie „Ach, Gott sei Dank, Deern, bist du in Sicherheit? Brauchst du Hilfe?“, dann hatten sie im Fernsehen wieder Bilder vom 1. Mai in Kreuzberg gesehen. Das hat mich wirklich sehr gerührt. 

So, Schluss jetzt mit sentimentalen Erinnerungen.
Die Musik ist aus, nun gucke ich mal nach, wie es in der Küche aussieht. In einer pfiffigen Sekunde habe ich den Kindern nämlich erlaubt, ihre Wunschmusik volle Pulle aufzudrehen – solange sie sich währenddessen in der Küche nützlich machen.
Fröhliche Sätze wie „Darf ich den Geschirrspüler jetzt ausräumen?“ sind seither an der Tagesordnung. Ich liebe es. Und ihre ganz eigene Art, das Geschirr einzuräumen, sorgt obendrein für Abwechslung und Nervenkitzel.

Was will ich denn mehr? 

Heitere Grüße durch die verhagelte Stadt sendet Dir

Susanne

PS: Ich habe endlich eine Maske gefunden, die zu mir passt. Mehr morgen!