#68 In der Sickergrube der öffentlichen Debatte

Liebe Susanne,

tatsächlich hatte auch ich heute einen windschiefen Tag. Dies merke ich daran, wenn ich plötzlich im Netz tagespolitische Debattenbeiträge lese. Alle Psychologen sind sich ja einig, daß das das Gemüt nicht sonniger macht.

Dennoch mache ich das manchmal, denn wenn ich nur Dinge täte, die mir gut tun, hätte ich ein schlechtes Gewissen gegenüber den Menschen, die nicht nur Dinge tun können, die ihnen gut tun. 

Wenn die das allerdings genau so machen würden, wüsste man wenigstens mal, warum eigentlich kaum jemand die Dinge tut, die ihm gut tun.

Doch ich schweife ab. Ich habe also in einem konservativen Leitmedium einen politischen Kommentar gelesen. Trotz besseren Wissens. Es ging um die die Frage, ob der Staat seine Konjunkturankurbelungsgelder wirklich einsetzen sollte, um Menschen, die sich einen neuen S-Klasse-Mercedes kaufen, dabei finanziell unter die Arme zu greifen.

Der Autor meinte, kurz zusammengefasst, ja, das klinge erstmal befremdlich. Aber es sei trotzdem richtig, denn wenn der Mercedes-S-Klasse-Fahrer sich einen neuen Mercedes-S-Klasse kaufe, helfe das in erster Linie nicht ihm (er hatte ja wahrscheinlich auch vorher schon ein gutes Auto), sondern uns allen. Nicht zuletzt auch aufgrund des Sickereffektes.

Abgesehen davon, daß ich nicht weiß, wielange wieviel wovon versickern muss, damit von seinem Mercedes S-Klasse irgendwann bei mir womöglich ein VW Polo oder auch (was mir lieber wäre) ein altes klappriges Damenrad ankommt, ist der „Sickereffekt“ meines Erachtens wohl das halbseidenste aller politischen Dampfplaudererargumente. Also quasi der Friedrich Merz der Debattenbeiträge.

Letztlich vertraut der Sickereffekt immer darauf, daß man Millionären eine neue Million gibt, zum Beispiel durch Steuererleichterungen, damit die dann ihre alte Million, die sie ja denn nicht mehr brauchen, an weniger Wohlhabende weitergeben. Eigentlich eine total durchdachte und logische Überlegung. Warum es trotzdem nie funktioniert, weiß keiner. Wahrscheinlich weil die Flüchtlinge soviel kosten.

Im selben Medium gab es noch einen weiteren Kommentar, der darauf hinwies, daß wir der harten Wahrheit ins Gesicht sehen müssen. Denn am Ende werden wir nicht allen helfen können. 

Das denke ich auch. Zum Beispiel diesen beiden Kommentatoren werde ich sicher nicht mehr helfen können.

Aber das war ja nur ein vertaner Tag. Morgen werde ich wieder ganz, ganz viel nicht lesen, sondern ein Buch. Da freue ich mich schon drauf.

Fröhliche Grüße

Horst

Eine Antwort auf „#68 In der Sickergrube der öffentlichen Debatte“

  1. Lieber Horst, wer weiß denn schon, was ihm oder ihr gut tut, z.B. in Bezug auf so ein S-Klasse Teil? Wozu? Mal abgesehen vielleicht vom Sickereffekt!
    Und dann noch schönes buchlesen!
    Bernd

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