#51 DJ Housearrest legt auf

Lieber Horst,

den Fünfzigsten begehen am 05.05. – wer hat das schon? 
Ich finde auch, wir haben uns ganz gut gehalten. Und nach Deinem gestrigen Brief hing mir dann doch tatsächlich ein kleiner Tropfen im Augenwinkel. Aber vielleicht war das auch der Regen. Ja, genau, so wird es gewesen sein, es hat ja viel geregnet gestern. Gehagelt sogar.

Kaum ist der Mai da, schon kommt das Aprilwetter, oder? Ich kann das ja gut haben. Wenigstens was los am Himmel, wo doch sonst alles so gebremst ist derzeit. Denn bei allem Tröstlichen des Frühlings – dieses andauernde Blau scheint mir angesichts der Sorgen der Welt manchmal auch ein bißchen übertrieben. Ein ehrlicher Regen zwischendurch ist wohltuend.
Und wenn es dann vielleicht doch mal eine Träne ist – die vermutlich auch…

Am allerliebsten würde ich mir ja den Himmel gerade vom Ostseestrand aus begucken. Den bräsigen Kopf ein bißchen durchpusten lassen und aufs Meer starren. 

Ich erinnere mich an meinen letzten Ostseetrip, Anfang letzten Jahres. Das war im Winter, absolut außerhalb jeder Saison. Deshalb hatte ich auch nicht die Bohne damit gerechnet, dass dort ausgerechnet an dem Wochenende eine große Feier angesagt war. 
Die Fressmeile erstreckte sich den gesamten Strand entlang, bis zum Leuchtturm. Aus der ganzen Region waren Menschen angereist, die nun hackedicht zur Schlagermusik johlten, welche aus den diversen Boxen schepperte. Ich erinnere mich unter anderem an den fröhlichen Refrain „Geh ma Bier hol´n, du wirst schon wieder hässlich“.  
Dass ich an der Ostsee war, merkte ich in erster Linie daran, dass auf den Wurstbuden Möwen saßen statt Tauben. 

Einige Schreckstunden und diverse Fluchtgedanken später hatte ich dann beschlossen, mir die Laune nicht vermiesen zu lassen, meinen Erholungsbedarf wegzuatmen und einfach mitzufeiern. 

Am Abend gab es eine große Party im Zelt am Strand, „DJ Housearrest“ legte auf (der hieß wirklich so) und gab alles, um ein bißchen Stimmung zu machen. Es gab die üblichen Fragen an die Menge „Hände hooooch, wer ein echter Rostocker ist!“ und so weiter. Nur bei „Hände hoch, wer nicht aus Deutschland ist!“, traute sich niemand, sich zu melden. Danach spielte er unter viel Beifall „einen Protestsong gegen das Nichtraucherschutzgesetz“. Ein Smokie Medley. Ich wollte mir was zu trinken holen, ich erinnere mich, auf den handgeschriebenen Preislisten standen Bier, Weinschorle, Caipirinha, Sex on the Beach und AFG zur Auswahl. 
AFG kannte ich noch nicht, das klang interessant, ich fragte die Frau am Tresen, was genau das sei. Sie guckte wie ein Schaf. 
„Na, alkoholfreie Getränke“ sagte sie dann, „AFG halt.“ Später merkte ich, dass sie immer guckte wie ein Schaf, aber in diesem Moment fühlte ich mich halt einfach sehr gemeint. Und darüber kann man schon auch mal einen Moment nachdenken. Ich meine, andere müssen womöglich fragen, was sich hinter den Namen der Cocktails verbirgt, das einzige, was ich nicht kenne, sind die alkoholfreien Getränke.

Um es kurz zu machen, ich bestellte daraufhin alles außer AFG, in unterschiedlicher Reihenfolge, trank mir die Musik schön und hatte eine sehr lustige Party. Ich erinnere mich verschwommen, dass ich irgendwann lauthals „Ich will zurück nach Westerland“ mitsang, was für Warnemünde bei näherer Betrachtung doch ein recht seltsames Lied ist.

Am nächsten Morgen, als ich den Frühstücksraum der kleinen Pension betrat, in der ich untergekommen war, hörte ich die eine Angestellte zur anderen bei meinem Anblick raunen: „Oha, da kommt ein doppelter Espresso.“ Das fand ich sehr schön.

Mein Bruder und seine Freundin gehen beim Mexikaner immer Cocktails trinken. Wenn sie da zur Tür reinkommen, ruft der Barmann schon von Weitem: „Zwei Zombies!“
Das muss man ja auch erstmal aushalten können. 

Au weia, jetzt habe ich mich ja heute ganz schön verplaudert.
Aber so ist das halt im Leben. Wenn nix mehr geht, zehrt man von den Erinnerungen. 

Mit einer frischen Ostseebrise aus Südwest grüßt Dich
ganz herzlich

Susanne  

PS: Wäre mein heutiger Gemütszustand ein Obst, es wäre ein Erdbeer-Daiquiri.