#9 Veilchen im Moose

Lieber Horst,

Erst einmal ein Nachtrag zum Montagabend: 
21 Uhr. Als der Nachbar zum Rauchen auf den Balkon geht, fangen alle plötzlich an zu klatschen. Überall in den umliegenden Häusern stehen Menschen an geöffneten Fenstern und auf den Balkonen. Er richtet sich auf und hält inne. Es braucht einen Moment bis er merkt, dass er gar nicht gemeint ist…
 
Das war wirklich sehr rührend, es sind Augenblicke wie dieser, die mich ein bißchen über diese elende Zeit der geschlossenen Theatersäle hinweg trösten. 

Das Zitat Deiner Tante, das mit der Sahne, gefällt mir. Es ist so genussfreundlich! Ich habe mal nachgedacht, ob irgendeine meiner Tanten auch mal durch eine nette Redensart aufgefallen wäre, aber ich entstamme da eher der Art Familie, in der Müßiggang aller Laster Anfang war, Bescheidenheit eine Zier und vor allem Undank der Welten Lohn. 
Vielleicht brauche ich deshalb heute so viel Schlagsahne.

Außerdem fiel mir in diesem Zusammenhang eine Szene ein, in der meine Tante Erna einen unvergessenen Auftritt hatte.
Es war bei der Hochzeitsfeier meiner Cousine, alle waren aufgestanden, um auf das frisch getraute Paar anzustoßen, und der Brautvater hob gerade an, einen Toast auszusprechen. Tante Erna als die Älteste der Gesellschaft wollte endlich auch mal was sagen. Feierlich reckte sie ihr Glas in die Höhe, holte tief Luft und rief mit der ihr eigenen energischen Stimme: „Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich nicht was Bess´res findet!“ 
Das muss man bei einer Hochzeit erstmal bringen. 

Ich gehe jetzt mal wieder auf meinen Balkon. Da ist die Welt noch in Ordnung, die Bienen summen und der Flieder blinzelt schon ganz zaghaft heraus. Hornveilchen habe ich auch gepflanzt. Sei wie ein Veilchen im Moose, haben meine Tanten auch immer gesagt, fällt mir dabei ein, bescheiden, sittsam und rein. Und nicht wie die stolze Rose die immer bewundert will sein. Und an Glaubenssätzen wie diesem arbeiten der Feminismus und ich uns nun seit Jahrzehnten ab.

Übrigens, der Tippfehler des Tages (siehe #5) kommt heute nicht von mir, sondern von meiner Freundin Marén: ich liebe es jetzt schon, das Buschwindhöschen!

Bunte Grüße,
Susanne